Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Fortschritte der Systematik und der Kenntniß einzelner Classen. die Reihenfolge und die Verbindung, in welcher die einzelnen Gattungenbei ihm erscheinen, viel natürlicher sind, als es die Charakterisirung seiner Ordnungen ist. Entschieden unnatürlicher und künstlicher ist das System, welches Joh. Anton Scopoli (1723-1788) aufstellte (1777): er hält sich streng an den Aufenthaltsort und die adaptive Bildung der Füße und trennt demzufolge z. B. die Otter von den Wieseln, den Biber von den übrigen Nagern u. dergl. mehr. Ausge- zeichnet durch die Beschreibung der einzelnen Arten, aber jeder weitern Eintheilung der Classe entsagend führt Joh. Christ. Polycarp Erx- leben (geb. 1744, starb 1777 als Professor in Göttingen) die Gat- tungen in einer Reihe auf, wie Scopoli mit dem Menschen beginnend, wobei er zwar im Allgemeinen die Zähne an erster Stelle, aber auch, freilich nicht immer, mit Glück den Gesammthabitus berücksichtigte. In den Schilderungen folgte er Linne's Beispiel, häufig dessen Worte benutzend; er gibt zahlreiche Synonyme und Trivialnamen; sein Werk ist daher nicht bloß für die Zeit seines Erscheinens als Quelle zu be- zeichnen (1777), es enthält aber nur wenige entschiedene Fortschritte. Während der Mensch aus dem Systeme des Brisson und Pennant weg- gelassen wurde, eröffnet derselbe bei Blumenbach (1779) die Reihe der Säugethiere als "Waffenloser" (Inermis), in jedenfalls geistvoller Weise auf den Mangel angeborner Waffen, Kunsttriebe und Bedeckun- gen hinweisend. Bei den übrigen Ordnungen, deren Blumenbach im Ganzen zwölf aufstellte (später verminderte er ihre Zahl), hat er sich doch dem Einflusse äußerlicher Verhältnisse und adaptiver Merkmale nicht zu entziehen gewußt; denn er vereinigt z. B. Igel und Stachel- schwein nach der Form der Hautbedeckung, Biber und Otter nach den Schwimmfüßen, Maus, Spitzmaus und Beutelratte mit den Wieseln und dem Dachse in dieselben Ordnungen, in deren Charakteristik zum erstenmale das Auftreten mit der ganzen Sohle im Gegensatze zu dem Gehen auf den Zehenballen als Merkmal benutzt wird. Eine entschieden viel naturgemäßere Anordnung bietet der "Prodrom einer Methode der Säugethiere" von Gottlieb Conr. Christ. Storr dar (geb. 1749, Professor der Naturgeschichte in Tübingen, starb 1821). Storr theilt in der 1780 erschienenen Differtation die Classe zunächst nach den Füßen 35*
Fortſchritte der Syſtematik und der Kenntniß einzelner Claſſen. die Reihenfolge und die Verbindung, in welcher die einzelnen Gattungenbei ihm erſcheinen, viel natürlicher ſind, als es die Charakteriſirung ſeiner Ordnungen iſt. Entſchieden unnatürlicher und künſtlicher iſt das Syſtem, welches Joh. Anton Scopoli (1723-1788) aufſtellte (1777): er hält ſich ſtreng an den Aufenthaltsort und die adaptive Bildung der Füße und trennt demzufolge z. B. die Otter von den Wieſeln, den Biber von den übrigen Nagern u. dergl. mehr. Ausge- zeichnet durch die Beſchreibung der einzelnen Arten, aber jeder weitern Eintheilung der Claſſe entſagend führt Joh. Chriſt. Polycarp Erx- leben (geb. 1744, ſtarb 1777 als Profeſſor in Göttingen) die Gat- tungen in einer Reihe auf, wie Scopoli mit dem Menſchen beginnend, wobei er zwar im Allgemeinen die Zähne an erſter Stelle, aber auch, freilich nicht immer, mit Glück den Geſammthabitus berückſichtigte. In den Schilderungen folgte er Linné's Beiſpiel, häufig deſſen Worte benutzend; er gibt zahlreiche Synonyme und Trivialnamen; ſein Werk iſt daher nicht bloß für die Zeit ſeines Erſcheinens als Quelle zu be- zeichnen (1777), es enthält aber nur wenige entſchiedene Fortſchritte. Während der Menſch aus dem Syſteme des Briſſon und Pennant weg- gelaſſen wurde, eröffnet derſelbe bei Blumenbach (1779) die Reihe der Säugethiere als „Waffenloſer“ (Inermis), in jedenfalls geiſtvoller Weiſe auf den Mangel angeborner Waffen, Kunſttriebe und Bedeckun- gen hinweiſend. Bei den übrigen Ordnungen, deren Blumenbach im Ganzen zwölf aufſtellte (ſpäter verminderte er ihre Zahl), hat er ſich doch dem Einfluſſe äußerlicher Verhältniſſe und adaptiver Merkmale nicht zu entziehen gewußt; denn er vereinigt z. B. Igel und Stachel- ſchwein nach der Form der Hautbedeckung, Biber und Otter nach den Schwimmfüßen, Maus, Spitzmaus und Beutelratte mit den Wieſeln und dem Dachſe in dieſelben Ordnungen, in deren Charakteriſtik zum erſtenmale das Auftreten mit der ganzen Sohle im Gegenſatze zu dem Gehen auf den Zehenballen als Merkmal benutzt wird. Eine entſchieden viel naturgemäßere Anordnung bietet der „Prodrom einer Methode der Säugethiere“ von Gottlieb Conr. Chriſt. Storr dar (geb. 1749, Profeſſor der Naturgeſchichte in Tübingen, ſtarb 1821). Storr theilt in der 1780 erſchienenen Differtation die Claſſe zunächſt nach den Füßen 35*
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die Reihenfolge und die Verbindung, in welcher die einzelnen Gattungen
bei ihm erſcheinen, viel natürlicher ſind, als es die Charakteriſirung
ſeiner Ordnungen iſt. Entſchieden unnatürlicher und künſtlicher iſt das
Syſtem, welches Joh. Anton Scopoli (1723-1788) aufſtellte
(1777): er hält ſich ſtreng an den Aufenthaltsort und die adaptive
Bildung der Füße und trennt demzufolge z. B. die Otter von den
Wieſeln, den Biber von den übrigen Nagern u. dergl. mehr. Ausge-
zeichnet durch die Beſchreibung der einzelnen Arten, aber jeder weitern
Eintheilung der Claſſe entſagend führt Joh. Chriſt. Polycarp Erx-
leben (geb. 1744, ſtarb 1777 als Profeſſor in Göttingen) die Gat-
tungen in einer Reihe auf, wie Scopoli mit dem Menſchen beginnend,
wobei er zwar im Allgemeinen die Zähne an erſter Stelle, aber auch,
freilich nicht immer, mit Glück den Geſammthabitus berückſichtigte.
In den Schilderungen folgte er Linné's Beiſpiel, häufig deſſen Worte
benutzend; er gibt zahlreiche Synonyme und Trivialnamen; ſein Werk
iſt daher nicht bloß für die Zeit ſeines Erſcheinens als Quelle zu be-
zeichnen (1777), es enthält aber nur wenige entſchiedene Fortſchritte.
Während der Menſch aus dem Syſteme des Briſſon und Pennant weg-
gelaſſen wurde, eröffnet derſelbe bei Blumenbach (1779) die Reihe
der Säugethiere als „Waffenloſer“ (Inermis), in jedenfalls geiſtvoller
Weiſe auf den Mangel angeborner Waffen, Kunſttriebe und Bedeckun-
gen hinweiſend. Bei den übrigen Ordnungen, deren Blumenbach im
Ganzen zwölf aufſtellte (ſpäter verminderte er ihre Zahl), hat er ſich
doch dem Einfluſſe äußerlicher Verhältniſſe und adaptiver Merkmale
nicht zu entziehen gewußt; denn er vereinigt z. B. Igel und Stachel-
ſchwein nach der Form der Hautbedeckung, Biber und Otter nach den
Schwimmfüßen, Maus, Spitzmaus und Beutelratte mit den Wieſeln
und dem Dachſe in dieſelben Ordnungen, in deren Charakteriſtik zum
erſtenmale das Auftreten mit der ganzen Sohle im Gegenſatze zu dem
Gehen auf den Zehenballen als Merkmal benutzt wird. Eine entſchieden
viel naturgemäßere Anordnung bietet der „Prodrom einer Methode der
Säugethiere“ von Gottlieb Conr. Chriſt. Storr dar (geb. 1749,
Profeſſor der Naturgeſchichte in Tübingen, ſtarb 1821). Storr theilt
in der 1780 erſchienenen Differtation die Claſſe zunächſt nach den Füßen
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