Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Periode der Morphologie. phischen Gehalt oder ihrer Form, sondern dem Umstande, daß sie dererste Versuch war, die empirisch gegebenen Thatsachen philosophisch zu ordnen. Derselbe fand als solcher Anklang; man ergriff das erste sich darbietende Band für die sich immer mehr häufenden Thatsachen. Dies ist Alles; daß Oken die Inangriffnahme der Entwickelungsgeschichte indirect veranlaßte, hängt nur lose mit seiner Philosophie zusammen. Die eigenthümliche Art des Philosophirens in dieser Schule hat nur geschadet; nur der Philosophie und der allgemeinen Auffassung von Welt und Leben entsprungen, in keiner Weise in der Entwickelung der Naturwissenschaften begründet, hat sie zuweilen selbst bei ruhigen und nüchternen Forschern die Täuschung hervorgerufen, als enthielten ober- flächlich, aber geheimnißvoll oder unverständlich ausgedrückte Sätze einen tiefen philosophischen Sinn. Dieses sogenannte "Geistreiche" hat durch die Leerheit an wirklichen Wahrheiten leider schließlich zur Ver- nachlässigung aller philosophischen Vorbildung geführt und namentlich die metaphysischen Grundlagen, auch der Zoologie, und die Nothwen- digkeit ihrer Klärung vollständig verkennen lassen. Andrerseits zog auch die einseitige physiologische Auffassung und Untersuchung der Thiere sich noch eine Zeit lang durch die dem Thierreiche gewidmete Thätigkeit. Hier zeigten sich indessen auch nutzbringende Folgen. Zunächst ist die Gründung der allgemeinen Anatomie, welche in ihrer weiteren Fort- bildung dann zur Erkenntniß der gleichartigen elementaren Bildung der Thierkörper führte, auf eine Anregung von Seiten der Physiologie (und Pathologie) zurückzuführen. Ferner hieng mit ähnlichen Gesichts- punkten auch die teleologische Auffassung zusammen, welche, allerdings ihrer methodologischen Bedeutung nach verkannt, doch durch den Nach- weis der Wechselwirkung oder, allgemeiner, Wechselbeziehung zwischen den einzelnen Organen zur Auffindung auch mehrerer morphologischen Wahrheiten führte. Wie sehr man sich aber im Ganzen von der ver- schiedenen Wichtigkeit der einzelnen Functionen und Functionsgruppen beeinflussen ließ, beweisen zahlreiche Thatsachen. So gieng auch Cuvier von ihr aus; der Anordnung des Stoffes in seinen Vorlesungen über vergleichende Anatomie gründete sich auf sie; und bis auf die neueste Zeit ist in den meisten allgemeinen Darstellungen der vergleichenden Periode der Morphologie. phiſchen Gehalt oder ihrer Form, ſondern dem Umſtande, daß ſie dererſte Verſuch war, die empiriſch gegebenen Thatſachen philoſophiſch zu ordnen. Derſelbe fand als ſolcher Anklang; man ergriff das erſte ſich darbietende Band für die ſich immer mehr häufenden Thatſachen. Dies iſt Alles; daß Oken die Inangriffnahme der Entwickelungsgeſchichte indirect veranlaßte, hängt nur loſe mit ſeiner Philoſophie zuſammen. Die eigenthümliche Art des Philoſophirens in dieſer Schule hat nur geſchadet; nur der Philoſophie und der allgemeinen Auffaſſung von Welt und Leben entſprungen, in keiner Weiſe in der Entwickelung der Naturwiſſenſchaften begründet, hat ſie zuweilen ſelbſt bei ruhigen und nüchternen Forſchern die Täuſchung hervorgerufen, als enthielten ober- flächlich, aber geheimnißvoll oder unverſtändlich ausgedrückte Sätze einen tiefen philoſophiſchen Sinn. Dieſes ſogenannte „Geiſtreiche“ hat durch die Leerheit an wirklichen Wahrheiten leider ſchließlich zur Ver- nachläſſigung aller philoſophiſchen Vorbildung geführt und namentlich die metaphyſiſchen Grundlagen, auch der Zoologie, und die Nothwen- digkeit ihrer Klärung vollſtändig verkennen laſſen. Andrerſeits zog auch die einſeitige phyſiologiſche Auffaſſung und Unterſuchung der Thiere ſich noch eine Zeit lang durch die dem Thierreiche gewidmete Thätigkeit. Hier zeigten ſich indeſſen auch nutzbringende Folgen. Zunächſt iſt die Gründung der allgemeinen Anatomie, welche in ihrer weiteren Fort- bildung dann zur Erkenntniß der gleichartigen elementaren Bildung der Thierkörper führte, auf eine Anregung von Seiten der Phyſiologie (und Pathologie) zurückzuführen. Ferner hieng mit ähnlichen Geſichts- punkten auch die teleologiſche Auffaſſung zuſammen, welche, allerdings ihrer methodologiſchen Bedeutung nach verkannt, doch durch den Nach- weis der Wechſelwirkung oder, allgemeiner, Wechſelbeziehung zwiſchen den einzelnen Organen zur Auffindung auch mehrerer morphologiſchen Wahrheiten führte. Wie ſehr man ſich aber im Ganzen von der ver- ſchiedenen Wichtigkeit der einzelnen Functionen und Functionsgruppen beeinfluſſen ließ, beweiſen zahlreiche Thatſachen. So gieng auch Cuvier von ihr aus; der Anordnung des Stoffes in ſeinen Vorleſungen über vergleichende Anatomie gründete ſich auf ſie; und bis auf die neueſte Zeit iſt in den meiſten allgemeinen Darſtellungen der vergleichenden <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0586" n="575"/><fw place="top" type="header">Periode der Morphologie.</fw><lb/> phiſchen Gehalt oder ihrer Form, ſondern dem Umſtande, daß ſie der<lb/> erſte Verſuch war, die empiriſch gegebenen Thatſachen philoſophiſch zu<lb/> ordnen. Derſelbe fand als ſolcher Anklang; man ergriff das erſte ſich<lb/> darbietende Band für die ſich immer mehr häufenden Thatſachen. 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Periode der Morphologie.
phiſchen Gehalt oder ihrer Form, ſondern dem Umſtande, daß ſie der
erſte Verſuch war, die empiriſch gegebenen Thatſachen philoſophiſch zu
ordnen. Derſelbe fand als ſolcher Anklang; man ergriff das erſte ſich
darbietende Band für die ſich immer mehr häufenden Thatſachen. Dies
iſt Alles; daß Oken die Inangriffnahme der Entwickelungsgeſchichte
indirect veranlaßte, hängt nur loſe mit ſeiner Philoſophie zuſammen.
Die eigenthümliche Art des Philoſophirens in dieſer Schule hat nur
geſchadet; nur der Philoſophie und der allgemeinen Auffaſſung von
Welt und Leben entſprungen, in keiner Weiſe in der Entwickelung der
Naturwiſſenſchaften begründet, hat ſie zuweilen ſelbſt bei ruhigen und
nüchternen Forſchern die Täuſchung hervorgerufen, als enthielten ober-
flächlich, aber geheimnißvoll oder unverſtändlich ausgedrückte Sätze
einen tiefen philoſophiſchen Sinn. Dieſes ſogenannte „Geiſtreiche“ hat
durch die Leerheit an wirklichen Wahrheiten leider ſchließlich zur Ver-
nachläſſigung aller philoſophiſchen Vorbildung geführt und namentlich
die metaphyſiſchen Grundlagen, auch der Zoologie, und die Nothwen-
digkeit ihrer Klärung vollſtändig verkennen laſſen. Andrerſeits zog auch
die einſeitige phyſiologiſche Auffaſſung und Unterſuchung der Thiere
ſich noch eine Zeit lang durch die dem Thierreiche gewidmete Thätigkeit.
Hier zeigten ſich indeſſen auch nutzbringende Folgen. Zunächſt iſt die
Gründung der allgemeinen Anatomie, welche in ihrer weiteren Fort-
bildung dann zur Erkenntniß der gleichartigen elementaren Bildung der
Thierkörper führte, auf eine Anregung von Seiten der Phyſiologie
(und Pathologie) zurückzuführen. Ferner hieng mit ähnlichen Geſichts-
punkten auch die teleologiſche Auffaſſung zuſammen, welche, allerdings
ihrer methodologiſchen Bedeutung nach verkannt, doch durch den Nach-
weis der Wechſelwirkung oder, allgemeiner, Wechſelbeziehung zwiſchen
den einzelnen Organen zur Auffindung auch mehrerer morphologiſchen
Wahrheiten führte. Wie ſehr man ſich aber im Ganzen von der ver-
ſchiedenen Wichtigkeit der einzelnen Functionen und Functionsgruppen
beeinfluſſen ließ, beweiſen zahlreiche Thatſachen. So gieng auch Cuvier
von ihr aus; der Anordnung des Stoffes in ſeinen Vorleſungen über
vergleichende Anatomie gründete ſich auf ſie; und bis auf die neueſte
Zeit iſt in den meiſten allgemeinen Darſtellungen der vergleichenden
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