Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Erkenntniß läge schon fix und fertig im Geiste und brauche nur intuitiv
angeschaut und entwickelt zu werden. Dies zeigt seine Ansicht von der
"Methode". Darunter versteht er nicht etwa irgend eine heuristische
Form des Denkens, sondern nur die Art der Darstellung, welche denn
im ärgsten Sinne dogmatisch ist. Er erklärt: "die logische Methode
habe ich jederzeit verworfen. Die andere Methode ist die naturphiloso-
phische, die ich mir geschaffen habe, um die Ebenbildlichkeit des Einzelnen
mit dem Göttlichen u. s. f. herauszuheben, z. B. der Organismus ist
das Ebenbild des Planeten, er muß daher kuglig sein" u. s. f. "Diese
Methode ist nicht die wahrhaft ableitende, sondern die gewissermaßen
dictatorische, aus der die Folgen hervorspringen, ohne daß man weiß
wie." Neben dieser Methode, welche nach Oken zum Wesen der ganzen
Wissenschaft gehört, benutzt er nun angeblich noch die sachliche, welche
zum Wesen des einzelnen Gegenstandes gehört; z. B. "naturphil.
Meth.: das Organische muß ein Bläschen sein, weil es das Ebenbild
des Planeten ist; sachliche Meth.: das Organische muß ein Bläschen
werden, weil es ein galvanischer Proceß ist, der nur zwischen den Ele-
menten stattfinden kann." Man sieht, beide "Methoden" kommen auf
dasselbe hinaus. Es ist hier ebensowenig von einer Erkennung der logi-
schen Urtheilsformen und der Bedeutung des Subjects, als von einer
Prüfung der realen Gültigkeit der Voraussetzungen in diesen der logischen
Form nach hypothetischen Urtheilen die Rede.

Oken hat aber doch einen Einfluß gehabt, welcher dem Schaden,
welchen er mit seiner Naturphilosophie anrichtete, anregend entgegen-
wirkte. Derselbe beruht nur zum geringsten Theile auf seinen eigenen
Forschungen; denn diese waren stets durch seine vorgefaßten Meinungen
getrübt. Mit seinen Untersuchungen über das Nabelbläschen z. B.
bestätigte er allerdings zum Theil Wolff'sche Angaben und machte sie
weiter bekannt, stellte sie indessen in einem so zweifelhaften Lichte dar,
daß er die gewünschte Aufklärung größtentheils wieder vereitelte. Daß
er trotz seiner embryologischen Untersuchungen sich nicht zu einer vor-
urtheilsfreien Anerkennung der Thatsachen erheben konnte, beweist seine
Kritik der Pander'schen Arbeit über das Hühnchen. Hier sagt er kurz
und entschieden: "So können die Sachen alle nicht sein. Der Leib ent-

Erkenntniß läge ſchon fix und fertig im Geiſte und brauche nur intuitiv
angeſchaut und entwickelt zu werden. Dies zeigt ſeine Anſicht von der
„Methode“. Darunter verſteht er nicht etwa irgend eine heuriſtiſche
Form des Denkens, ſondern nur die Art der Darſtellung, welche denn
im ärgſten Sinne dogmatiſch iſt. Er erklärt: „die logiſche Methode
habe ich jederzeit verworfen. Die andere Methode iſt die naturphiloſo-
phiſche, die ich mir geſchaffen habe, um die Ebenbildlichkeit des Einzelnen
mit dem Göttlichen u. ſ. f. herauszuheben, z. B. der Organismus iſt
das Ebenbild des Planeten, er muß daher kuglig ſein“ u. ſ. f. „Dieſe
Methode iſt nicht die wahrhaft ableitende, ſondern die gewiſſermaßen
dictatoriſche, aus der die Folgen hervorſpringen, ohne daß man weiß
wie.“ Neben dieſer Methode, welche nach Oken zum Weſen der ganzen
Wiſſenſchaft gehört, benutzt er nun angeblich noch die ſachliche, welche
zum Weſen des einzelnen Gegenſtandes gehört; z. B. „naturphil.
Meth.: das Organiſche muß ein Bläschen ſein, weil es das Ebenbild
des Planeten iſt; ſachliche Meth.: das Organiſche muß ein Bläschen
werden, weil es ein galvaniſcher Proceß iſt, der nur zwiſchen den Ele-
menten ſtattfinden kann.“ Man ſieht, beide „Methoden“ kommen auf
daſſelbe hinaus. Es iſt hier ebenſowenig von einer Erkennung der logi-
ſchen Urtheilsformen und der Bedeutung des Subjects, als von einer
Prüfung der realen Gültigkeit der Vorausſetzungen in dieſen der logiſchen
Form nach hypothetiſchen Urtheilen die Rede.

Oken hat aber doch einen Einfluß gehabt, welcher dem Schaden,
welchen er mit ſeiner Naturphiloſophie anrichtete, anregend entgegen-
wirkte. Derſelbe beruht nur zum geringſten Theile auf ſeinen eigenen
Forſchungen; denn dieſe waren ſtets durch ſeine vorgefaßten Meinungen
getrübt. Mit ſeinen Unterſuchungen über das Nabelbläschen z. B.
beſtätigte er allerdings zum Theil Wolff'ſche Angaben und machte ſie
weiter bekannt, ſtellte ſie indeſſen in einem ſo zweifelhaften Lichte dar,
daß er die gewünſchte Aufklärung größtentheils wieder vereitelte. Daß
er trotz ſeiner embryologiſchen Unterſuchungen ſich nicht zu einer vor-
urtheilsfreien Anerkennung der Thatſachen erheben konnte, beweiſt ſeine
Kritik der Pander'ſchen Arbeit über das Hühnchen. Hier ſagt er kurz
und entſchieden: „So können die Sachen alle nicht ſein. Der Leib ent-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0596" n="585"/><fw place="top" type="header"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118589717">Oken</persName>.</fw><lb/>
Erkenntniß läge &#x017F;chon fix und fertig im Gei&#x017F;te und brauche nur intuitiv<lb/>
ange&#x017F;chaut und entwickelt zu werden. Dies zeigt &#x017F;eine An&#x017F;icht von der<lb/>
&#x201E;Methode&#x201C;. Darunter ver&#x017F;teht er nicht etwa irgend eine heuri&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Form des Denkens, &#x017F;ondern nur die Art der Dar&#x017F;tellung, welche denn<lb/>
im ärg&#x017F;ten Sinne dogmati&#x017F;ch i&#x017F;t. Er erklärt: &#x201E;die logi&#x017F;che Methode<lb/>
habe ich jederzeit verworfen. Die andere Methode i&#x017F;t die naturphilo&#x017F;o-<lb/>
phi&#x017F;che, die ich mir ge&#x017F;chaffen habe, um die Ebenbildlichkeit des Einzelnen<lb/>
mit dem Göttlichen u. &#x017F;. f. herauszuheben, z. B. der Organismus i&#x017F;t<lb/>
das Ebenbild des Planeten, er muß daher kuglig &#x017F;ein&#x201C; u. &#x017F;. f. &#x201E;Die&#x017F;e<lb/>
Methode i&#x017F;t nicht die wahrhaft ableitende, &#x017F;ondern die gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen<lb/>
dictatori&#x017F;che, aus der die Folgen hervor&#x017F;pringen, ohne daß man weiß<lb/>
wie.&#x201C; Neben die&#x017F;er Methode, welche nach <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118589717">Oken</persName> zum We&#x017F;en der ganzen<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft gehört, benutzt er nun angeblich noch die &#x017F;achliche, welche<lb/>
zum We&#x017F;en des einzelnen Gegen&#x017F;tandes gehört; z. B. &#x201E;naturphil.<lb/>
Meth.: das Organi&#x017F;che muß ein Bläschen &#x017F;ein, weil es das Ebenbild<lb/>
des Planeten i&#x017F;t; &#x017F;achliche Meth.: das Organi&#x017F;che muß ein Bläschen<lb/>
werden, weil es ein galvani&#x017F;cher Proceß i&#x017F;t, der nur zwi&#x017F;chen den Ele-<lb/>
menten &#x017F;tattfinden kann.&#x201C; Man &#x017F;ieht, beide &#x201E;Methoden&#x201C; kommen auf<lb/>
da&#x017F;&#x017F;elbe hinaus. Es i&#x017F;t hier eben&#x017F;owenig von einer Erkennung der logi-<lb/>
&#x017F;chen Urtheilsformen und der Bedeutung des Subjects, als von einer<lb/>
Prüfung der realen Gültigkeit der Voraus&#x017F;etzungen in die&#x017F;en der logi&#x017F;chen<lb/>
Form nach <choice><sic>hpyotheti&#x017F;chen</sic><corr>hypotheti&#x017F;chen</corr></choice> Urtheilen die Rede.</p><lb/>
          <p><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118589717">Oken</persName> hat aber doch einen Einfluß gehabt, welcher dem Schaden,<lb/>
welchen er mit &#x017F;einer Naturphilo&#x017F;ophie anrichtete, anregend entgegen-<lb/>
wirkte. Der&#x017F;elbe beruht nur zum gering&#x017F;ten Theile auf &#x017F;einen eigenen<lb/>
For&#x017F;chungen; denn die&#x017F;e waren &#x017F;tets durch &#x017F;eine vorgefaßten Meinungen<lb/>
getrübt. Mit &#x017F;einen Unter&#x017F;uchungen über das Nabelbläschen z. B.<lb/>
be&#x017F;tätigte er allerdings zum Theil <persName ref="http://d-nb.info/gnd/100706347">Wolff</persName>'&#x017F;che Angaben und machte &#x017F;ie<lb/>
weiter bekannt, &#x017F;tellte &#x017F;ie inde&#x017F;&#x017F;en in einem &#x017F;o zweifelhaften Lichte dar,<lb/>
daß er die gewün&#x017F;chte Aufklärung größtentheils wieder vereitelte. Daß<lb/>
er trotz &#x017F;einer embryologi&#x017F;chen Unter&#x017F;uchungen &#x017F;ich nicht zu einer vor-<lb/>
urtheilsfreien Anerkennung der That&#x017F;achen erheben konnte, bewei&#x017F;t &#x017F;eine<lb/>
Kritik der <persName ref="http://d-nb.info/gnd/116021985">Pander</persName>'&#x017F;chen Arbeit über das Hühnchen. Hier &#x017F;agt er kurz<lb/>
und ent&#x017F;chieden: &#x201E;So können die Sachen alle nicht &#x017F;ein. Der Leib ent-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[585/0596] Oken. Erkenntniß läge ſchon fix und fertig im Geiſte und brauche nur intuitiv angeſchaut und entwickelt zu werden. Dies zeigt ſeine Anſicht von der „Methode“. Darunter verſteht er nicht etwa irgend eine heuriſtiſche Form des Denkens, ſondern nur die Art der Darſtellung, welche denn im ärgſten Sinne dogmatiſch iſt. Er erklärt: „die logiſche Methode habe ich jederzeit verworfen. Die andere Methode iſt die naturphiloſo- phiſche, die ich mir geſchaffen habe, um die Ebenbildlichkeit des Einzelnen mit dem Göttlichen u. ſ. f. herauszuheben, z. B. der Organismus iſt das Ebenbild des Planeten, er muß daher kuglig ſein“ u. ſ. f. „Dieſe Methode iſt nicht die wahrhaft ableitende, ſondern die gewiſſermaßen dictatoriſche, aus der die Folgen hervorſpringen, ohne daß man weiß wie.“ Neben dieſer Methode, welche nach Oken zum Weſen der ganzen Wiſſenſchaft gehört, benutzt er nun angeblich noch die ſachliche, welche zum Weſen des einzelnen Gegenſtandes gehört; z. B. „naturphil. Meth.: das Organiſche muß ein Bläschen ſein, weil es das Ebenbild des Planeten iſt; ſachliche Meth.: das Organiſche muß ein Bläschen werden, weil es ein galvaniſcher Proceß iſt, der nur zwiſchen den Ele- menten ſtattfinden kann.“ Man ſieht, beide „Methoden“ kommen auf daſſelbe hinaus. Es iſt hier ebenſowenig von einer Erkennung der logi- ſchen Urtheilsformen und der Bedeutung des Subjects, als von einer Prüfung der realen Gültigkeit der Vorausſetzungen in dieſen der logiſchen Form nach hypothetiſchen Urtheilen die Rede. Oken hat aber doch einen Einfluß gehabt, welcher dem Schaden, welchen er mit ſeiner Naturphiloſophie anrichtete, anregend entgegen- wirkte. Derſelbe beruht nur zum geringſten Theile auf ſeinen eigenen Forſchungen; denn dieſe waren ſtets durch ſeine vorgefaßten Meinungen getrübt. Mit ſeinen Unterſuchungen über das Nabelbläschen z. B. beſtätigte er allerdings zum Theil Wolff'ſche Angaben und machte ſie weiter bekannt, ſtellte ſie indeſſen in einem ſo zweifelhaften Lichte dar, daß er die gewünſchte Aufklärung größtentheils wieder vereitelte. Daß er trotz ſeiner embryologiſchen Unterſuchungen ſich nicht zu einer vor- urtheilsfreien Anerkennung der Thatſachen erheben konnte, beweiſt ſeine Kritik der Pander'ſchen Arbeit über das Hühnchen. Hier ſagt er kurz und entſchieden: „So können die Sachen alle nicht ſein. Der Leib ent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/596
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 585. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/596>, abgerufen am 22.11.2024.