Faden auch durch ein sonst steriles Jahrtausend zu verfolgen nicht ge- scheut werden. Viele befreundete Männer habe ich, und in keinem Falle vergebens, um Rath und Auskunft gebeten. Ob ich das mir Dargebotene überall richtig verwandt habe, vermag ich selbst nicht zu entscheiden. Sollten die früheren Jahrhunderte des Mittelalters für die Geschichte der Thierkunde heller geworden sein, so verdanke ich es vorzüglich ihrer Hülfe.
Noch weniger bedarf es einer Darlegung der Gründe, weshalb die Geschichte nicht bis auf das letzte Jahrzehnt fortgeführt worden ist. Was die Gegenwart bewegt und ihren wissenschaftlichen Gährungen als Ferment dient, kann wohl auf seine Quellen und auf seinen Zu- sammenhang mit dem allgemeinen Culturfortschritt untersucht, aber nicht historisch dargestellt werden. Erleichtert wurde der Abschluß durch den Umstand, daß durch das Erscheinen des Darwin'schen Werkes über den Ursprung der Arten, welches fast genau mit dem leider für die Wissenschaft zu früh erfolgten Tode Johannes Müller's zusammen- fiel, eine neue Periode der Geschichte der Zoologie anhebt. Mitten in der Geburtszeit derselben drin stehend ist es dem Jetztlebenden schwerer, als es späteren Historikern werden wird, mit ruhiger Objectivität die wesentlichen von den unwesentlichen Momenten zu scheiden, die mannich- fachen Ueberstürzungen, zu denen das plötzlich so unendlich erweiterte Gesichts- und Arbeitsfeld verführt hat, von den haltbaren, den Sturm des Meinungsstreites überdauernden wirklichen Fortschritten zu sondern.
Die moderne Naturforschung hat sich bis jetzt einer historischen Behandlung ihrer eignen Vorzeit wenig geneigt gezeigt. Wie ihr aber das Bewußtsein, daß sie nur eine Entwickelungsstufe in dem Fortgange der betreffenden Ideen darstellt, den directen Vortheil bringt, daß sie diese, wie früheren Keimen entsprungen, so auch weiterer Ausbildung fähig erkennt und daß sie durch Einsicht in das Entwickelungsgesetz derselben zu weiteren Schritten geführt wird, so würde mancher Streit
Vorwort.
Faden auch durch ein ſonſt ſteriles Jahrtauſend zu verfolgen nicht ge- ſcheut werden. Viele befreundete Männer habe ich, und in keinem Falle vergebens, um Rath und Auskunft gebeten. Ob ich das mir Dargebotene überall richtig verwandt habe, vermag ich ſelbſt nicht zu entſcheiden. Sollten die früheren Jahrhunderte des Mittelalters für die Geſchichte der Thierkunde heller geworden ſein, ſo verdanke ich es vorzüglich ihrer Hülfe.
Noch weniger bedarf es einer Darlegung der Gründe, weshalb die Geſchichte nicht bis auf das letzte Jahrzehnt fortgeführt worden iſt. Was die Gegenwart bewegt und ihren wiſſenſchaftlichen Gährungen als Ferment dient, kann wohl auf ſeine Quellen und auf ſeinen Zu- ſammenhang mit dem allgemeinen Culturfortſchritt unterſucht, aber nicht hiſtoriſch dargeſtellt werden. Erleichtert wurde der Abſchluß durch den Umſtand, daß durch das Erſcheinen des Darwin'ſchen Werkes über den Urſprung der Arten, welches faſt genau mit dem leider für die Wiſſenſchaft zu früh erfolgten Tode Johannes Müller's zuſammen- fiel, eine neue Periode der Geſchichte der Zoologie anhebt. Mitten in der Geburtszeit derſelben drin ſtehend iſt es dem Jetztlebenden ſchwerer, als es ſpäteren Hiſtorikern werden wird, mit ruhiger Objectivität die weſentlichen von den unweſentlichen Momenten zu ſcheiden, die mannich- fachen Ueberſtürzungen, zu denen das plötzlich ſo unendlich erweiterte Geſichts- und Arbeitsfeld verführt hat, von den haltbaren, den Sturm des Meinungsſtreites überdauernden wirklichen Fortſchritten zu ſondern.
Die moderne Naturforſchung hat ſich bis jetzt einer hiſtoriſchen Behandlung ihrer eignen Vorzeit wenig geneigt gezeigt. Wie ihr aber das Bewußtſein, daß ſie nur eine Entwickelungsſtufe in dem Fortgange der betreffenden Ideen darſtellt, den directen Vortheil bringt, daß ſie dieſe, wie früheren Keimen entſprungen, ſo auch weiterer Ausbildung fähig erkennt und daß ſie durch Einſicht in das Entwickelungsgeſetz derſelben zu weiteren Schritten geführt wird, ſo würde mancher Streit
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[VII/0006]
Vorwort.
Faden auch durch ein ſonſt ſteriles Jahrtauſend zu verfolgen nicht ge-
ſcheut werden. Viele befreundete Männer habe ich, und in keinem
Falle vergebens, um Rath und Auskunft gebeten. Ob ich das mir
Dargebotene überall richtig verwandt habe, vermag ich ſelbſt nicht zu
entſcheiden. Sollten die früheren Jahrhunderte des Mittelalters für
die Geſchichte der Thierkunde heller geworden ſein, ſo verdanke ich es
vorzüglich ihrer Hülfe.
Noch weniger bedarf es einer Darlegung der Gründe, weshalb
die Geſchichte nicht bis auf das letzte Jahrzehnt fortgeführt worden iſt.
Was die Gegenwart bewegt und ihren wiſſenſchaftlichen Gährungen
als Ferment dient, kann wohl auf ſeine Quellen und auf ſeinen Zu-
ſammenhang mit dem allgemeinen Culturfortſchritt unterſucht, aber
nicht hiſtoriſch dargeſtellt werden. Erleichtert wurde der Abſchluß
durch den Umſtand, daß durch das Erſcheinen des Darwin'ſchen Werkes
über den Urſprung der Arten, welches faſt genau mit dem leider für
die Wiſſenſchaft zu früh erfolgten Tode Johannes Müller's zuſammen-
fiel, eine neue Periode der Geſchichte der Zoologie anhebt. Mitten in
der Geburtszeit derſelben drin ſtehend iſt es dem Jetztlebenden ſchwerer,
als es ſpäteren Hiſtorikern werden wird, mit ruhiger Objectivität die
weſentlichen von den unweſentlichen Momenten zu ſcheiden, die mannich-
fachen Ueberſtürzungen, zu denen das plötzlich ſo unendlich erweiterte
Geſichts- und Arbeitsfeld verführt hat, von den haltbaren, den
Sturm des Meinungsſtreites überdauernden wirklichen Fortſchritten
zu ſondern.
Die moderne Naturforſchung hat ſich bis jetzt einer hiſtoriſchen
Behandlung ihrer eignen Vorzeit wenig geneigt gezeigt. Wie ihr aber
das Bewußtſein, daß ſie nur eine Entwickelungsſtufe in dem Fortgange
der betreffenden Ideen darſtellt, den directen Vortheil bringt, daß ſie
dieſe, wie früheren Keimen entſprungen, ſo auch weiterer Ausbildung
fähig erkennt und daß ſie durch Einſicht in das Entwickelungsgeſetz
derſelben zu weiteren Schritten geführt wird, ſo würde mancher Streit
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/6>, abgerufen am 21.11.2024.
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