Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite
Zoologische Kenntnisse des Alterthums.

Wenn nun aber auch zugegeben werden muß, daß diese Zurück-
führung der ihm gewährten directen oder indirecten Begünstigungen
auf ein den damaligen Verhältnissen entsprechendes Maß nur auf,
allerdings nicht geringer Wahrscheinlichkeit beruht, so geben doch die
auf die Jetztzeit noch gekommenen Bruchstücke seiner zoologisch-schrift-
stellerischen Thätigkeit86) hinreichende Belege dafür, daß er kaum ein
Thier selbst gesehen oder zergliedert habe, was nicht dem griechisch-
ionischen Faunengebiet angehörte oder in dieses schon vor seiner Zeit
eingeführt worden war87). Zu letzteren gehören beispielsweise unter
den Vögeln Perlhuhn, Fasan und Pfau; dagegen hat er den Strauß
kaum selbst untersucht, und so fort in andern Classen.

Fragt man nun nach den Quellen, aus denen Aristoteles geschöpft
hat, so ist zunächst seine außerordentliche Belesenheit, welche aus den
in dem Früheren angeführten Citaten schon sichtbar wird, zu erwähnen.
Bei der Wiedergabe von Erzählungen und Meinungen Anderer ver-
fuhr er mit Kritik, was kaum einem seiner antiken Nachfolger nachge-
rühmt werden kann. Freilich konnte er eben nur den Maßstab anlegen,
den ihm neben seinem ganzen philosophischen Standpunkte seine Zeit
ermöglichte. Es tritt aber seine Skepsis um so anerkennenswerther
hervor, als Spätere trotz der ihnen möglichen eigenen Erfahrung die
Kritik ganz vernachlässigten. Dieselbe Vorsicht zeigte Aristoteles ferner
den vielfachen mündlichen, und wohl auch brieflichen, Mittheilungen
gegenüber, welche jedenfalls die Hauptquelle seiner zoologischen und
zootomischen Kenntnisse ausmachten. Seine eigenen Untersuchungen,

86) Von den fünfzig Büchern, welche Plinius, oder den siebzig, welche Anti-
gonus Carystius
anführt, sind nur wenige erhalten, und manches davon sicher nicht
mehr in der ursprünglichen Form.
87) A. von Humboldt hat entschieden Recht, daß in den Schriften des Ari-
stoteles
nichts vorkomme, was auf Selbstbeobachtung oder gar Zergliederung des
Elefanten zu schließen nöthigte (Kosmos, 2. Bd. S. 428), wenngleich freilich
andrerseits auch die Unmöglichkeit solcher nicht zu beweisen ist. Die Angaben über
das Schlafen des Elefanten, die schwankenden Angaben über die Zeit der Ge-
schlechtsreife desselben machen indeß Humboldt's Ansicht eher wahrscheinlich. Für
den Strauß gilt dasselbe; die drei Stellen, wo Aristoteles denselben erwähnt (de
partibus, IV, 14. 697b, de gener. anim. III, 1. 5., hist. anim. IX, 15. 88
)
lassen nicht mit Gewißheit auf eigne Anschauung schließen.
Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums.

Wenn nun aber auch zugegeben werden muß, daß dieſe Zurück-
führung der ihm gewährten directen oder indirecten Begünſtigungen
auf ein den damaligen Verhältniſſen entſprechendes Maß nur auf,
allerdings nicht geringer Wahrſcheinlichkeit beruht, ſo geben doch die
auf die Jetztzeit noch gekommenen Bruchſtücke ſeiner zoologiſch-ſchrift-
ſtelleriſchen Thätigkeit86) hinreichende Belege dafür, daß er kaum ein
Thier ſelbſt geſehen oder zergliedert habe, was nicht dem griechiſch-
ioniſchen Faunengebiet angehörte oder in dieſes ſchon vor ſeiner Zeit
eingeführt worden war87). Zu letzteren gehören beiſpielsweiſe unter
den Vögeln Perlhuhn, Faſan und Pfau; dagegen hat er den Strauß
kaum ſelbſt unterſucht, und ſo fort in andern Claſſen.

Fragt man nun nach den Quellen, aus denen Ariſtoteles geſchöpft
hat, ſo iſt zunächſt ſeine außerordentliche Beleſenheit, welche aus den
in dem Früheren angeführten Citaten ſchon ſichtbar wird, zu erwähnen.
Bei der Wiedergabe von Erzählungen und Meinungen Anderer ver-
fuhr er mit Kritik, was kaum einem ſeiner antiken Nachfolger nachge-
rühmt werden kann. Freilich konnte er eben nur den Maßſtab anlegen,
den ihm neben ſeinem ganzen philoſophiſchen Standpunkte ſeine Zeit
ermöglichte. Es tritt aber ſeine Skepſis um ſo anerkennenswerther
hervor, als Spätere trotz der ihnen möglichen eigenen Erfahrung die
Kritik ganz vernachläſſigten. Dieſelbe Vorſicht zeigte Ariſtoteles ferner
den vielfachen mündlichen, und wohl auch brieflichen, Mittheilungen
gegenüber, welche jedenfalls die Hauptquelle ſeiner zoologiſchen und
zootomiſchen Kenntniſſe ausmachten. Seine eigenen Unterſuchungen,

86) Von den fünfzig Büchern, welche Plinius, oder den ſiebzig, welche Anti-
gonus Caryſtius
anführt, ſind nur wenige erhalten, und manches davon ſicher nicht
mehr in der urſprünglichen Form.
87) A. von Humboldt hat entſchieden Recht, daß in den Schriften des Ari-
ſtoteles
nichts vorkomme, was auf Selbſtbeobachtung oder gar Zergliederung des
Elefanten zu ſchließen nöthigte (Kosmos, 2. Bd. S. 428), wenngleich freilich
andrerſeits auch die Unmöglichkeit ſolcher nicht zu beweiſen iſt. Die Angaben über
das Schlafen des Elefanten, die ſchwankenden Angaben über die Zeit der Ge-
ſchlechtsreife deſſelben machen indeß Humboldt's Anſicht eher wahrſcheinlich. Für
den Strauß gilt daſſelbe; die drei Stellen, wo Ariſtoteles denſelben erwähnt (de
partibus, IV, 14. 697b, de gener. anim. III, 1. 5., hist. anim. IX, 15. 88
)
laſſen nicht mit Gewißheit auf eigne Anſchauung ſchließen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0079" n="68"/>
            <fw place="top" type="header">Zoologi&#x017F;che Kenntni&#x017F;&#x017F;e des Alterthums.</fw><lb/>
            <p>Wenn nun aber auch zugegeben werden muß, daß die&#x017F;e Zurück-<lb/>
führung der ihm gewährten directen oder indirecten Begün&#x017F;tigungen<lb/>
auf ein den damaligen Verhältni&#x017F;&#x017F;en ent&#x017F;prechendes Maß nur auf,<lb/>
allerdings nicht geringer Wahr&#x017F;cheinlichkeit beruht, &#x017F;o geben doch die<lb/>
auf die Jetztzeit noch gekommenen Bruch&#x017F;tücke &#x017F;einer zoologi&#x017F;ch-&#x017F;chrift-<lb/>
&#x017F;telleri&#x017F;chen Thätigkeit<note place="foot" n="86)">Von den fünfzig Büchern, welche <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118595083">Plinius</persName>, oder den &#x017F;iebzig, welche <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118503383">Anti-<lb/>
gonus Cary&#x017F;tius</persName> anführt, &#x017F;ind nur wenige erhalten, und manches davon &#x017F;icher nicht<lb/>
mehr in der ur&#x017F;prünglichen Form.</note> hinreichende Belege dafür, daß er kaum ein<lb/>
Thier &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;ehen oder zergliedert habe, was nicht dem griechi&#x017F;ch-<lb/>
ioni&#x017F;chen Faunengebiet angehörte oder in die&#x017F;es &#x017F;chon vor &#x017F;einer Zeit<lb/>
eingeführt worden war<note place="foot" n="87)"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118554700">A. <hi rendition="#g">von Humboldt</hi></persName> hat ent&#x017F;chieden Recht, daß in den Schriften des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari-<lb/>
&#x017F;toteles</persName> nichts vorkomme, was auf Selb&#x017F;tbeobachtung oder gar Zergliederung des<lb/>
Elefanten zu &#x017F;chließen nöthigte (Kosmos, 2. Bd. S. 428), wenngleich freilich<lb/>
andrer&#x017F;eits auch die Unmöglichkeit &#x017F;olcher nicht zu bewei&#x017F;en i&#x017F;t. Die Angaben über<lb/>
das Schlafen des Elefanten, die &#x017F;chwankenden Angaben über die Zeit der Ge-<lb/>
&#x017F;chlechtsreife de&#x017F;&#x017F;elben machen indeß <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118554700">Humboldt</persName></hi>'s An&#x017F;icht eher wahr&#x017F;cheinlich. Für<lb/>
den Strauß gilt da&#x017F;&#x017F;elbe; die drei Stellen, wo <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari&#x017F;toteles</persName> den&#x017F;elben erwähnt (<hi rendition="#aq">de<lb/>
partibus, IV, 14. 697b, de gener. anim. III, 1. 5., hist. anim. IX, 15. 88</hi>)<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en nicht mit Gewißheit auf eigne An&#x017F;chauung &#x017F;chließen.</note>. Zu letzteren gehören bei&#x017F;pielswei&#x017F;e unter<lb/>
den Vögeln Perlhuhn, Fa&#x017F;an und Pfau; dagegen hat er den Strauß<lb/>
kaum &#x017F;elb&#x017F;t unter&#x017F;ucht, und &#x017F;o fort in andern Cla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>Fragt man nun nach den Quellen, aus denen <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari&#x017F;toteles</persName> ge&#x017F;chöpft<lb/>
hat, &#x017F;o i&#x017F;t zunäch&#x017F;t &#x017F;eine außerordentliche Bele&#x017F;enheit, welche aus den<lb/>
in dem Früheren angeführten Citaten &#x017F;chon &#x017F;ichtbar wird, zu erwähnen.<lb/>
Bei der Wiedergabe von Erzählungen und Meinungen Anderer ver-<lb/>
fuhr er mit Kritik, was kaum einem &#x017F;einer antiken Nachfolger nachge-<lb/>
rühmt werden kann. Freilich konnte er eben nur den Maß&#x017F;tab anlegen,<lb/>
den ihm neben &#x017F;einem ganzen philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Standpunkte &#x017F;eine Zeit<lb/>
ermöglichte. Es tritt aber &#x017F;eine Skep&#x017F;is um &#x017F;o anerkennenswerther<lb/>
hervor, als Spätere trotz der ihnen möglichen eigenen Erfahrung die<lb/>
Kritik ganz vernachlä&#x017F;&#x017F;igten. Die&#x017F;elbe Vor&#x017F;icht zeigte <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari&#x017F;toteles</persName> ferner<lb/>
den vielfachen mündlichen, und wohl auch brieflichen, Mittheilungen<lb/>
gegenüber, welche jedenfalls die Hauptquelle &#x017F;einer zoologi&#x017F;chen und<lb/>
zootomi&#x017F;chen Kenntni&#x017F;&#x017F;e ausmachten. Seine eigenen Unter&#x017F;uchungen,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[68/0079] Zoologiſche Kenntniſſe des Alterthums. Wenn nun aber auch zugegeben werden muß, daß dieſe Zurück- führung der ihm gewährten directen oder indirecten Begünſtigungen auf ein den damaligen Verhältniſſen entſprechendes Maß nur auf, allerdings nicht geringer Wahrſcheinlichkeit beruht, ſo geben doch die auf die Jetztzeit noch gekommenen Bruchſtücke ſeiner zoologiſch-ſchrift- ſtelleriſchen Thätigkeit 86) hinreichende Belege dafür, daß er kaum ein Thier ſelbſt geſehen oder zergliedert habe, was nicht dem griechiſch- ioniſchen Faunengebiet angehörte oder in dieſes ſchon vor ſeiner Zeit eingeführt worden war 87). Zu letzteren gehören beiſpielsweiſe unter den Vögeln Perlhuhn, Faſan und Pfau; dagegen hat er den Strauß kaum ſelbſt unterſucht, und ſo fort in andern Claſſen. Fragt man nun nach den Quellen, aus denen Ariſtoteles geſchöpft hat, ſo iſt zunächſt ſeine außerordentliche Beleſenheit, welche aus den in dem Früheren angeführten Citaten ſchon ſichtbar wird, zu erwähnen. Bei der Wiedergabe von Erzählungen und Meinungen Anderer ver- fuhr er mit Kritik, was kaum einem ſeiner antiken Nachfolger nachge- rühmt werden kann. Freilich konnte er eben nur den Maßſtab anlegen, den ihm neben ſeinem ganzen philoſophiſchen Standpunkte ſeine Zeit ermöglichte. Es tritt aber ſeine Skepſis um ſo anerkennenswerther hervor, als Spätere trotz der ihnen möglichen eigenen Erfahrung die Kritik ganz vernachläſſigten. Dieſelbe Vorſicht zeigte Ariſtoteles ferner den vielfachen mündlichen, und wohl auch brieflichen, Mittheilungen gegenüber, welche jedenfalls die Hauptquelle ſeiner zoologiſchen und zootomiſchen Kenntniſſe ausmachten. Seine eigenen Unterſuchungen, 86) Von den fünfzig Büchern, welche Plinius, oder den ſiebzig, welche Anti- gonus Caryſtius anführt, ſind nur wenige erhalten, und manches davon ſicher nicht mehr in der urſprünglichen Form. 87) A. von Humboldt hat entſchieden Recht, daß in den Schriften des Ari- ſtoteles nichts vorkomme, was auf Selbſtbeobachtung oder gar Zergliederung des Elefanten zu ſchließen nöthigte (Kosmos, 2. Bd. S. 428), wenngleich freilich andrerſeits auch die Unmöglichkeit ſolcher nicht zu beweiſen iſt. Die Angaben über das Schlafen des Elefanten, die ſchwankenden Angaben über die Zeit der Ge- ſchlechtsreife deſſelben machen indeß Humboldt's Anſicht eher wahrſcheinlich. Für den Strauß gilt daſſelbe; die drei Stellen, wo Ariſtoteles denſelben erwähnt (de partibus, IV, 14. 697b, de gener. anim. III, 1. 5., hist. anim. IX, 15. 88) laſſen nicht mit Gewißheit auf eigne Anſchauung ſchließen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/79
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/79>, abgerufen am 17.05.2024.