Der Weisheitsliebende steht mitten inne zwischen dem Gelehrten und dem Ignoranten. Plato.
Den Charakter dieses Buches bedingt der Umstand, dass sein Verfasser ein ungelehrter Mann ist. Gerade in seiner Ungelehrtheit schöpfte er den Mut zu einem Unternehmen, vor welchem mancher bessere Mann erschrocken hätte zurückweichen müssen. Nur musste natürlich der Verfasser selber hierüber Klarheit besitzen: sein Wollen musste er nach seinem Können richten. Das that er, eingedenk des Goethe'schen Wortes: "der geringste Mensch kann komplett sein, wenn er sich innerhalb der Grenzen seiner Fähigkeiten und Fertig- keiten bewegt". Nicht einen Augenblick bildete er sich ein, seinem Buche komme wissenschaftlicher Wert zu. Hat er z. B. ziemlich viele Citate und Litteraturnachweise gegeben, so ist das teils zur Ergänzung allzu kurzer Ausführungen, teils als Anregung für ebenso ungelehrte Leser geschehen, manchmal auch als Stütze für Meinungen, die nicht Mode sind; noch eine Erwägung kam hinzu: ein Gelehrter, der über sein Specialfach schreibt -- ein Treitschke, ein F. A. Lange, ein Huxley -- kann auch ohne sich zu rechtfertigen Behauptungen aufstellen; hier durfte das nicht geschehen; erhält also an einigen Stellen das Buch durch die vielen Anmerkungen ein gelehrtes Aus- sehen, so wolle man darin nicht Anmassung sondern ihr Gegenteil erblicken. Ein Prunken mit Wissen und Belesenheit würde lächerlich bei einem Manne gewesen sein, dessen Wissen nicht aur die Quellen zurückgeht und dem stets als Ideal vorschwebte, nicht möglichst viel zu lesen, sondern so wenig wie nur irgend thunlich und bloss das Allerbeste.
Wer weiss, ob dem heute so verrufenen Dilettantismus nicht eine wichtige Aufgabe bevorsteht? Die Specialisation macht täglich
VORWORT
Der Weisheitsliebende steht mitten inne zwischen dem Gelehrten und dem Ignoranten. Plato.
Den Charakter dieses Buches bedingt der Umstand, dass sein Verfasser ein ungelehrter Mann ist. Gerade in seiner Ungelehrtheit schöpfte er den Mut zu einem Unternehmen, vor welchem mancher bessere Mann erschrocken hätte zurückweichen müssen. Nur musste natürlich der Verfasser selber hierüber Klarheit besitzen: sein Wollen musste er nach seinem Können richten. Das that er, eingedenk des Goethe’schen Wortes: »der geringste Mensch kann komplett sein, wenn er sich innerhalb der Grenzen seiner Fähigkeiten und Fertig- keiten bewegt«. Nicht einen Augenblick bildete er sich ein, seinem Buche komme wissenschaftlicher Wert zu. Hat er z. B. ziemlich viele Citate und Litteraturnachweise gegeben, so ist das teils zur Ergänzung allzu kurzer Ausführungen, teils als Anregung für ebenso ungelehrte Leser geschehen, manchmal auch als Stütze für Meinungen, die nicht Mode sind; noch eine Erwägung kam hinzu: ein Gelehrter, der über sein Specialfach schreibt — ein Treitschke, ein F. A. Lange, ein Huxley — kann auch ohne sich zu rechtfertigen Behauptungen aufstellen; hier durfte das nicht geschehen; erhält also an einigen Stellen das Buch durch die vielen Anmerkungen ein gelehrtes Aus- sehen, so wolle man darin nicht Anmassung sondern ihr Gegenteil erblicken. Ein Prunken mit Wissen und Belesenheit würde lächerlich bei einem Manne gewesen sein, dessen Wissen nicht aur die Quellen zurückgeht und dem stets als Ideal vorschwebte, nicht möglichst viel zu lesen, sondern so wenig wie nur irgend thunlich und bloss das Allerbeste.
Wer weiss, ob dem heute so verrufenen Dilettantismus nicht eine wichtige Aufgabe bevorsteht? Die Specialisation macht täglich
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[[VII]/0014]
VORWORT
Der Weisheitsliebende steht mitten
inne zwischen dem Gelehrten und
dem Ignoranten.
Plato.
Den Charakter dieses Buches bedingt der Umstand, dass sein
Verfasser ein ungelehrter Mann ist. Gerade in seiner Ungelehrtheit
schöpfte er den Mut zu einem Unternehmen, vor welchem mancher
bessere Mann erschrocken hätte zurückweichen müssen. Nur musste
natürlich der Verfasser selber hierüber Klarheit besitzen: sein Wollen
musste er nach seinem Können richten. Das that er, eingedenk des
Goethe’schen Wortes: »der geringste Mensch kann komplett sein,
wenn er sich innerhalb der Grenzen seiner Fähigkeiten und Fertig-
keiten bewegt«. Nicht einen Augenblick bildete er sich ein, seinem
Buche komme wissenschaftlicher Wert zu. Hat er z. B. ziemlich
viele Citate und Litteraturnachweise gegeben, so ist das teils zur
Ergänzung allzu kurzer Ausführungen, teils als Anregung für ebenso
ungelehrte Leser geschehen, manchmal auch als Stütze für Meinungen,
die nicht Mode sind; noch eine Erwägung kam hinzu: ein Gelehrter,
der über sein Specialfach schreibt — ein Treitschke, ein F. A. Lange,
ein Huxley — kann auch ohne sich zu rechtfertigen Behauptungen
aufstellen; hier durfte das nicht geschehen; erhält also an einigen
Stellen das Buch durch die vielen Anmerkungen ein gelehrtes Aus-
sehen, so wolle man darin nicht Anmassung sondern ihr Gegenteil
erblicken. Ein Prunken mit Wissen und Belesenheit würde lächerlich
bei einem Manne gewesen sein, dessen Wissen nicht aur die Quellen
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. [VII]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/14>, abgerufen am 24.11.2024.
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