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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Erbe der alten Welt.
manche echte Juden dort niedergelassen haben; aber wohl doch nur
als Fremde in den grösseren Städten; denn eine der bewunderns-
wertesten Eigenschaften der Juden -- namentlich seit ihrer Rückkehr
aus der Gefangenschaft, wo auch zuerst der scharf umschriebene Begriff
"Jude" als Bezeichnung für eine Religion auftritt (siehe Zacharias VIII, 23)
-- war ihre Sorge, die Rasse reinzuerhalten; eine Ehe zwischen Jude
und Galiläer war undenkbar. Jedoch, auch diese jüdischen Bestand-
teile inmitten der fremden Bevölkerung wurden aus Galiläa nicht sehr
lange vor Christi Geburt gänzlich ausgeschieden. Simon Tharsi, einer
der Makkabäer, war es, der, nach einem erfolgreichen Feldzug in
Galiläa gegen die Syrer: "die dort wohnenden Juden sammelte und
sie bestimmte, auszuwandern und sich samt und sonders in
Judäa niederzulassen
".1) Das Vorurteil gegen Galiläa blieb
denn auch so gross bei den Juden, dass, als Herodes Antipas während
der Jugend Christi die Stadt Tiberias gebaut hatte und auch Juden
veranlassen wollte, sich dort niederzulassen, ihm dies weder durch
Versprechungen noch durch Gewalt gelang.2) -- Es liegt also, wie
man sieht, nicht die geringste Veranlassung zu der Annahme vor, die
Eltern Jesu Christi seien, der Rasse nach, Juden gewesen.

Im ferneren Lauf der historischen Entwickelung fand nun etwas
statt, wofür man manche Analogie in der Geschichte aufweisen könnte:
bei den Bewohnern des südlicher gelegenen, unmittelbar an Judäa an-
stossenden Samaria, die ohne Frage durch Blut und Verkehr den
eigentlichen Juden viel näher standen als die Galiläer, erhielt sich die
Tradition des nordisraelitischen Widerwillens und der Eifersucht gegen
die Juden; die Samaritaner erkannten die kirchliche Suprematie
Jerusalems nicht an und waren daher den Juden als "Irrgläubige" so
verhasst, dass keinerlei Verkehr mit ihnen gestattet war; nicht ein
Stück Brot durfte der Rechtgläubige aus ihren Händen nehmen, dies
galt, als hätte er Schweinefleisch gegessen.3) Die Galiläer dagegen,
die den Juden ohne weiteres als "Ausländer" galten, und als solche
allerdings verachtet und von manchen religiösen Handlungen ausge-
schlossen wurden, waren dennoch streng rechtgläubige und (häufig
sogar) fanatische "Juden". Darin aber einen Beweis ihrer Abstammung
erblicken zu wollen, ist einfach lächerlich. Es ist ganz genau dasselbe,
als wollte man die unverfälscht slavische Bevölkerung Bosniens oder

1) Graetz a. a. O. I, 400.
2) Graetz a. a. O. I, 568.
3) Aus der Mischna citiert von Renan, Vie de Jesus, 23. Aufl., S. 242.

Das Erbe der alten Welt.
manche echte Juden dort niedergelassen haben; aber wohl doch nur
als Fremde in den grösseren Städten; denn eine der bewunderns-
wertesten Eigenschaften der Juden — namentlich seit ihrer Rückkehr
aus der Gefangenschaft, wo auch zuerst der scharf umschriebene Begriff
»Jude« als Bezeichnung für eine Religion auftritt (siehe Zacharias VIII, 23)
— war ihre Sorge, die Rasse reinzuerhalten; eine Ehe zwischen Jude
und Galiläer war undenkbar. Jedoch, auch diese jüdischen Bestand-
teile inmitten der fremden Bevölkerung wurden aus Galiläa nicht sehr
lange vor Christi Geburt gänzlich ausgeschieden. Simon Tharsi, einer
der Makkabäer, war es, der, nach einem erfolgreichen Feldzug in
Galiläa gegen die Syrer: »die dort wohnenden Juden sammelte und
sie bestimmte, auszuwandern und sich samt und sonders in
Judäa niederzulassen
«.1) Das Vorurteil gegen Galiläa blieb
denn auch so gross bei den Juden, dass, als Herodes Antipas während
der Jugend Christi die Stadt Tiberias gebaut hatte und auch Juden
veranlassen wollte, sich dort niederzulassen, ihm dies weder durch
Versprechungen noch durch Gewalt gelang.2) — Es liegt also, wie
man sieht, nicht die geringste Veranlassung zu der Annahme vor, die
Eltern Jesu Christi seien, der Rasse nach, Juden gewesen.

Im ferneren Lauf der historischen Entwickelung fand nun etwas
statt, wofür man manche Analogie in der Geschichte aufweisen könnte:
bei den Bewohnern des südlicher gelegenen, unmittelbar an Judäa an-
stossenden Samaria, die ohne Frage durch Blut und Verkehr den
eigentlichen Juden viel näher standen als die Galiläer, erhielt sich die
Tradition des nordisraelitischen Widerwillens und der Eifersucht gegen
die Juden; die Samaritaner erkannten die kirchliche Suprematie
Jerusalems nicht an und waren daher den Juden als »Irrgläubige« so
verhasst, dass keinerlei Verkehr mit ihnen gestattet war; nicht ein
Stück Brot durfte der Rechtgläubige aus ihren Händen nehmen, dies
galt, als hätte er Schweinefleisch gegessen.3) Die Galiläer dagegen,
die den Juden ohne weiteres als »Ausländer« galten, und als solche
allerdings verachtet und von manchen religiösen Handlungen ausge-
schlossen wurden, waren dennoch streng rechtgläubige und (häufig
sogar) fanatische »Juden«. Darin aber einen Beweis ihrer Abstammung
erblicken zu wollen, ist einfach lächerlich. Es ist ganz genau dasselbe,
als wollte man die unverfälscht slavische Bevölkerung Bosniens oder

1) Graetz a. a. O. I, 400.
2) Graetz a. a. O. I, 568.
3) Aus der Mischna citiert von Renan, Vie de Jésus, 23. Aufl., S. 242.
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[214/0237] Das Erbe der alten Welt. manche echte Juden dort niedergelassen haben; aber wohl doch nur als Fremde in den grösseren Städten; denn eine der bewunderns- wertesten Eigenschaften der Juden — namentlich seit ihrer Rückkehr aus der Gefangenschaft, wo auch zuerst der scharf umschriebene Begriff »Jude« als Bezeichnung für eine Religion auftritt (siehe Zacharias VIII, 23) — war ihre Sorge, die Rasse reinzuerhalten; eine Ehe zwischen Jude und Galiläer war undenkbar. Jedoch, auch diese jüdischen Bestand- teile inmitten der fremden Bevölkerung wurden aus Galiläa nicht sehr lange vor Christi Geburt gänzlich ausgeschieden. Simon Tharsi, einer der Makkabäer, war es, der, nach einem erfolgreichen Feldzug in Galiläa gegen die Syrer: »die dort wohnenden Juden sammelte und sie bestimmte, auszuwandern und sich samt und sonders in Judäa niederzulassen«. 1) Das Vorurteil gegen Galiläa blieb denn auch so gross bei den Juden, dass, als Herodes Antipas während der Jugend Christi die Stadt Tiberias gebaut hatte und auch Juden veranlassen wollte, sich dort niederzulassen, ihm dies weder durch Versprechungen noch durch Gewalt gelang. 2) — Es liegt also, wie man sieht, nicht die geringste Veranlassung zu der Annahme vor, die Eltern Jesu Christi seien, der Rasse nach, Juden gewesen. Im ferneren Lauf der historischen Entwickelung fand nun etwas statt, wofür man manche Analogie in der Geschichte aufweisen könnte: bei den Bewohnern des südlicher gelegenen, unmittelbar an Judäa an- stossenden Samaria, die ohne Frage durch Blut und Verkehr den eigentlichen Juden viel näher standen als die Galiläer, erhielt sich die Tradition des nordisraelitischen Widerwillens und der Eifersucht gegen die Juden; die Samaritaner erkannten die kirchliche Suprematie Jerusalems nicht an und waren daher den Juden als »Irrgläubige« so verhasst, dass keinerlei Verkehr mit ihnen gestattet war; nicht ein Stück Brot durfte der Rechtgläubige aus ihren Händen nehmen, dies galt, als hätte er Schweinefleisch gegessen. 3) Die Galiläer dagegen, die den Juden ohne weiteres als »Ausländer« galten, und als solche allerdings verachtet und von manchen religiösen Handlungen ausge- schlossen wurden, waren dennoch streng rechtgläubige und (häufig sogar) fanatische »Juden«. Darin aber einen Beweis ihrer Abstammung erblicken zu wollen, ist einfach lächerlich. Es ist ganz genau dasselbe, als wollte man die unverfälscht slavische Bevölkerung Bosniens oder 1) Graetz a. a. O. I, 400. 2) Graetz a. a. O. I, 568. 3) Aus der Mischna citiert von Renan, Vie de Jésus, 23. Aufl., S. 242.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/237>, abgerufen am 24.11.2024.