Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Die Erscheinung Christi. die reinsten Indoarier Afghanistans ethnologisch mit den "Türken"identifizieren, weil sie strenggläubige Mohammedaner sind, viel frommer und viel fanatischer als die echten Osmanen. Der Ausdruck Jude bezeichnet eine bestimmte, erstaunlich rein erhaltene Menschenrasse, nur in zweiter Reihe und uneigentlich die Bekenner einer Religion. Es geht auch durchaus nicht an, den Begriff "Jude", wie das in letzter Zeit viel geschieht, mit dem Begriff "Semit" gleichzustellen; der Nationalcharakter der Araber z. B. ist ein durchaus anderer als der der Juden. Darauf komme ich im fünften Kapitel zurück; einst- weilen mache ich darauf aufmerksam, dass auch der Nationalcharakter der Galiläer wesentlich von dem der Juden abstach. Man schlage welche Geschichte der Juden man will auf, Ewald's oder Graetzens oder Renan's, überall wird man finden, dass die Galiläer durch ihren Charakter sich von den anderen Bewohnern Palästinas unterschieden: sie werden als Hitzköpfe bezeichnet, als energische Idealisten, als Männer der That. In den langen Wirren mit Rom, vor und nach Christi Zeit, sind Galiläer meistens das treibende Element und das- jenige, welches der Tod allein besiegte. Während die grossen Kolonien unverfälschter Juden in Rom und Alexandrien auf vorzüglichem Fuss mit dem heidnischen Kaiserreich lebten, wo sie als Traumdeuter,1) Trödler, Hausierer, Geldleiher, Schauspieler, Rechtsberater, Handels- herren, Gelehrte u. s. w. es sich gut gehen liessen, wagte es im fernen Galiläa, noch zu Lebzeiten Caesar's, Ezekia der Galiläer, die Fahne der religiösen Empörung zu erheben! Auf ihn folgte der berühmte Judas der Galiläer, mit dem Spruch: "Gott allein ist Herr, der Tod gleichgültig, die Freiheit eines und alles!"2) Dann bildete sich in Galiläa die Partei der Sicarier (d. h. Messermänner), den heutigen indischen Thugs nicht unähnlich; ihr bedeutendster Führer, der Galiläer Menahem, vernichtete zu Nero's Zeiten die römische Garnison Jerusalems und wurde zum Dank, unter dem Vorwurfe, er habe sich für den Messias ausgeben wollen, von den Juden selbst hingerichtet; auch die Söhne des Judas wurden als staatsgefährliche Aufwiegler ans Kreuz ge- schlagen (und zwar von einem jüdischen Prokurator); Johannes von Gischala, einer Stadt an der äussersten Nordgrenze Galiläas, leitete die verzweifelte Verteidigung Jerusalems gegen Titus -- -- -- und 1) Juvenal erzählt: Aere minuto Qualiacunque voles Judaei somnia vendunt. 2) Mommsen: Römische Geschichte V, 515.
Die Erscheinung Christi. die reinsten Indoarier Afghanistans ethnologisch mit den »Türken«identifizieren, weil sie strenggläubige Mohammedaner sind, viel frommer und viel fanatischer als die echten Osmanen. Der Ausdruck Jude bezeichnet eine bestimmte, erstaunlich rein erhaltene Menschenrasse, nur in zweiter Reihe und uneigentlich die Bekenner einer Religion. Es geht auch durchaus nicht an, den Begriff »Jude«, wie das in letzter Zeit viel geschieht, mit dem Begriff »Semit« gleichzustellen; der Nationalcharakter der Araber z. B. ist ein durchaus anderer als der der Juden. Darauf komme ich im fünften Kapitel zurück; einst- weilen mache ich darauf aufmerksam, dass auch der Nationalcharakter der Galiläer wesentlich von dem der Juden abstach. Man schlage welche Geschichte der Juden man will auf, Ewald’s oder Graetzens oder Renan’s, überall wird man finden, dass die Galiläer durch ihren Charakter sich von den anderen Bewohnern Palästinas unterschieden: sie werden als Hitzköpfe bezeichnet, als energische Idealisten, als Männer der That. In den langen Wirren mit Rom, vor und nach Christi Zeit, sind Galiläer meistens das treibende Element und das- jenige, welches der Tod allein besiegte. Während die grossen Kolonien unverfälschter Juden in Rom und Alexandrien auf vorzüglichem Fuss mit dem heidnischen Kaiserreich lebten, wo sie als Traumdeuter,1) Trödler, Hausierer, Geldleiher, Schauspieler, Rechtsberater, Handels- herren, Gelehrte u. s. w. es sich gut gehen liessen, wagte es im fernen Galiläa, noch zu Lebzeiten Caesar’s, Ezekia der Galiläer, die Fahne der religiösen Empörung zu erheben! Auf ihn folgte der berühmte Judas der Galiläer, mit dem Spruch: »Gott allein ist Herr, der Tod gleichgültig, die Freiheit eines und alles!«2) Dann bildete sich in Galiläa die Partei der Sicarier (d. h. Messermänner), den heutigen indischen Thugs nicht unähnlich; ihr bedeutendster Führer, der Galiläer Menahem, vernichtete zu Nero’s Zeiten die römische Garnison Jerusalems und wurde zum Dank, unter dem Vorwurfe, er habe sich für den Messias ausgeben wollen, von den Juden selbst hingerichtet; auch die Söhne des Judas wurden als staatsgefährliche Aufwiegler ans Kreuz ge- schlagen (und zwar von einem jüdischen Prokurator); Johannes von Gischala, einer Stadt an der äussersten Nordgrenze Galiläas, leitete die verzweifelte Verteidigung Jerusalems gegen Titus — — — und 1) Juvenal erzählt: Aere minuto Qualiacunque voles Judaei somnia vendunt. 2) Mommsen: Römische Geschichte V, 515.
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Die Erscheinung Christi.
die reinsten Indoarier Afghanistans ethnologisch mit den »Türken«
identifizieren, weil sie strenggläubige Mohammedaner sind, viel frommer
und viel fanatischer als die echten Osmanen. Der Ausdruck Jude
bezeichnet eine bestimmte, erstaunlich rein erhaltene Menschenrasse,
nur in zweiter Reihe und uneigentlich die Bekenner einer Religion.
Es geht auch durchaus nicht an, den Begriff »Jude«, wie das in
letzter Zeit viel geschieht, mit dem Begriff »Semit« gleichzustellen;
der Nationalcharakter der Araber z. B. ist ein durchaus anderer als
der der Juden. Darauf komme ich im fünften Kapitel zurück; einst-
weilen mache ich darauf aufmerksam, dass auch der Nationalcharakter
der Galiläer wesentlich von dem der Juden abstach. Man schlage
welche Geschichte der Juden man will auf, Ewald’s oder Graetzens
oder Renan’s, überall wird man finden, dass die Galiläer durch ihren
Charakter sich von den anderen Bewohnern Palästinas unterschieden:
sie werden als Hitzköpfe bezeichnet, als energische Idealisten, als
Männer der That. In den langen Wirren mit Rom, vor und nach
Christi Zeit, sind Galiläer meistens das treibende Element und das-
jenige, welches der Tod allein besiegte. Während die grossen Kolonien
unverfälschter Juden in Rom und Alexandrien auf vorzüglichem Fuss
mit dem heidnischen Kaiserreich lebten, wo sie als Traumdeuter, 1)
Trödler, Hausierer, Geldleiher, Schauspieler, Rechtsberater, Handels-
herren, Gelehrte u. s. w. es sich gut gehen liessen, wagte es im fernen
Galiläa, noch zu Lebzeiten Caesar’s, Ezekia der Galiläer, die Fahne
der religiösen Empörung zu erheben! Auf ihn folgte der berühmte
Judas der Galiläer, mit dem Spruch: »Gott allein ist Herr, der Tod
gleichgültig, die Freiheit eines und alles!« 2) Dann bildete sich in
Galiläa die Partei der Sicarier (d. h. Messermänner), den heutigen
indischen Thugs nicht unähnlich; ihr bedeutendster Führer, der Galiläer
Menahem, vernichtete zu Nero’s Zeiten die römische Garnison Jerusalems
und wurde zum Dank, unter dem Vorwurfe, er habe sich für den
Messias ausgeben wollen, von den Juden selbst hingerichtet; auch die
Söhne des Judas wurden als staatsgefährliche Aufwiegler ans Kreuz ge-
schlagen (und zwar von einem jüdischen Prokurator); Johannes von
Gischala, einer Stadt an der äussersten Nordgrenze Galiläas, leitete
die verzweifelte Verteidigung Jerusalems gegen Titus — — — und
1) Juvenal erzählt:
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Qualiacunque voles Judaei somnia vendunt.
2) Mommsen: Römische Geschichte V, 515.
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