Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Erben.
heit ist ein Zustand, auf den die Natur überall hinarbeitet; nichts
Ausserordentliches entsteht ohne "Specialisation"; beim Menschen,
genau so wie beim Tier, ist es die Specialisation, welche edle Rassen
hervorbringt; die Geschichte und die Ethnologie sind da, um dem
blödesten Auge dieses Geheimnis zu enthüllen. Hat nicht jede echte
Rasse ihre eigene Physiognomie, herrlich, unvergleichlich? Wie wäre
hellenische Kunst ohne Hellenen entstanden? Wie bald hat nicht die
eifersüchtige Feindschaft zwischen den einzelnen Städten des kleinen
Griechenland jedem Teilchen seine eigene scharfausgeprägte Individualität
innerhalb des eigenen Familientypus gespendet! Wie schnell war das
wieder verwischt als Makedonier und Römer mit ihrer nivellierenden
Hand über das Land hinwegfuhren! Und wie entfloh nach und nach
alles, was dem Wort "hellenisch" ewigen Sinn verliehen hatte, als
von Norden, von Osten und von Westen immer neue Scharen unver-
wandter Völker ins Land zogen und mit echten Hellenen sich ver-
mengten! Die Gleichheit, vor der Herr Virchow seinen Bonzendienst
verrichtet, war jetzt da, alle Wälle waren geschleift, alle Grenzen be-
deutungslos; auch war die Philosophie, gegen die sich Herr Virchow
im selben Vortrag so sehr ereifert, ausgetilgt und durch den aller-
gesündesten "Menschenverstand" ersetzt; die schöne Persönlichkeit
jedoch, ohne die wir alle noch heute nur mehr oder weniger civilisierte
Barbaren wären, -- sie war verschwunden, auf ewig verschwunden.
"Crossing obliterates characters."

Wenn nun die Männer, die über Wesen und Bedeutung der
Rassen am genauesten Bescheid wissen sollten, einen so unglaublichen
Mangel an Urteil an den Tag legen, wenn sie dort, wo reichste An-
schauung sicherste Erkenntnis giebt, ihr hohle politische Phrasen
entgegenstellen, wer soll sich denn wundern, dass ungelehrte Menschen
viel Unsinn reden, selbst dann, wenn ihr Instinkt sie den richtigen
Weg weist? Denn das Interesse für diesen Gegenstand ist in weiten
Schichten geweckt, und da der Gelehrte kläglich versagt, sucht der
Ungelehrte sich allein zu helfen. Als Graf Gobineau in den fünfziger
Jahren sein geniales Werk über die Ungleichheit der menschlichen
Rassen veröffentlichte, blieb es unbeachtet; kein Mensch wusste, was
eine solche Betrachtung sollte; man stand, wie der arme Virchow,
"ratlos vor einem Rätsel". Jetzt, am Ausgang unseres Jahrhunderts,
ist es anders geworden: der leidenschaftlichere, treibende Teil der
Nationen schenkt gerade dieser Frage viel Aufmerksamkeit. Aber in
welchem Wirrwarr von Widersprüchen, von Irrtümern, von Wahn-

Die Erben.
heit ist ein Zustand, auf den die Natur überall hinarbeitet; nichts
Ausserordentliches entsteht ohne »Specialisation«; beim Menschen,
genau so wie beim Tier, ist es die Specialisation, welche edle Rassen
hervorbringt; die Geschichte und die Ethnologie sind da, um dem
blödesten Auge dieses Geheimnis zu enthüllen. Hat nicht jede echte
Rasse ihre eigene Physiognomie, herrlich, unvergleichlich? Wie wäre
hellenische Kunst ohne Hellenen entstanden? Wie bald hat nicht die
eifersüchtige Feindschaft zwischen den einzelnen Städten des kleinen
Griechenland jedem Teilchen seine eigene scharfausgeprägte Individualität
innerhalb des eigenen Familientypus gespendet! Wie schnell war das
wieder verwischt als Makedonier und Römer mit ihrer nivellierenden
Hand über das Land hinwegfuhren! Und wie entfloh nach und nach
alles, was dem Wort »hellenisch« ewigen Sinn verliehen hatte, als
von Norden, von Osten und von Westen immer neue Scharen unver-
wandter Völker ins Land zogen und mit echten Hellenen sich ver-
mengten! Die Gleichheit, vor der Herr Virchow seinen Bonzendienst
verrichtet, war jetzt da, alle Wälle waren geschleift, alle Grenzen be-
deutungslos; auch war die Philosophie, gegen die sich Herr Virchow
im selben Vortrag so sehr ereifert, ausgetilgt und durch den aller-
gesündesten »Menschenverstand« ersetzt; die schöne Persönlichkeit
jedoch, ohne die wir alle noch heute nur mehr oder weniger civilisierte
Barbaren wären, — sie war verschwunden, auf ewig verschwunden.
»Crossing obliterates characters.«

Wenn nun die Männer, die über Wesen und Bedeutung der
Rassen am genauesten Bescheid wissen sollten, einen so unglaublichen
Mangel an Urteil an den Tag legen, wenn sie dort, wo reichste An-
schauung sicherste Erkenntnis giebt, ihr hohle politische Phrasen
entgegenstellen, wer soll sich denn wundern, dass ungelehrte Menschen
viel Unsinn reden, selbst dann, wenn ihr Instinkt sie den richtigen
Weg weist? Denn das Interesse für diesen Gegenstand ist in weiten
Schichten geweckt, und da der Gelehrte kläglich versagt, sucht der
Ungelehrte sich allein zu helfen. Als Graf Gobineau in den fünfziger
Jahren sein geniales Werk über die Ungleichheit der menschlichen
Rassen veröffentlichte, blieb es unbeachtet; kein Mensch wusste, was
eine solche Betrachtung sollte; man stand, wie der arme Virchow,
»ratlos vor einem Rätsel«. Jetzt, am Ausgang unseres Jahrhunderts,
ist es anders geworden: der leidenschaftlichere, treibende Teil der
Nationen schenkt gerade dieser Frage viel Aufmerksamkeit. Aber in
welchem Wirrwarr von Widersprüchen, von Irrtümern, von Wahn-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0289" n="266"/><fw place="top" type="header">Die Erben.</fw><lb/>
heit ist ein Zustand, auf den die Natur überall hinarbeitet; nichts<lb/>
Ausserordentliches entsteht ohne »Specialisation«; beim Menschen,<lb/>
genau so wie beim Tier, ist es die Specialisation, welche edle Rassen<lb/>
hervorbringt; die Geschichte und die Ethnologie sind da, um dem<lb/>
blödesten Auge dieses Geheimnis zu enthüllen. Hat nicht jede echte<lb/>
Rasse ihre eigene Physiognomie, herrlich, unvergleichlich? Wie wäre<lb/>
hellenische Kunst ohne Hellenen entstanden? Wie bald hat nicht die<lb/>
eifersüchtige Feindschaft zwischen den einzelnen Städten des kleinen<lb/>
Griechenland jedem Teilchen seine eigene scharfausgeprägte Individualität<lb/>
innerhalb des eigenen Familientypus gespendet! Wie schnell war das<lb/>
wieder verwischt als Makedonier und Römer mit ihrer nivellierenden<lb/>
Hand über das Land hinwegfuhren! Und wie entfloh nach und nach<lb/>
alles, was dem Wort »hellenisch« ewigen Sinn verliehen hatte, als<lb/>
von Norden, von Osten und von Westen immer neue Scharen unver-<lb/>
wandter Völker ins Land zogen und mit echten Hellenen sich ver-<lb/>
mengten! Die Gleichheit, vor der Herr Virchow seinen Bonzendienst<lb/>
verrichtet, war jetzt da, alle Wälle waren geschleift, alle Grenzen be-<lb/>
deutungslos; auch war die Philosophie, gegen die sich Herr Virchow<lb/>
im selben Vortrag so sehr ereifert, ausgetilgt und durch den aller-<lb/>
gesündesten »Menschenverstand« ersetzt; die schöne Persönlichkeit<lb/>
jedoch, ohne die wir alle noch heute nur mehr oder weniger civilisierte<lb/>
Barbaren wären, &#x2014; sie war verschwunden, auf ewig verschwunden.<lb/>
»<hi rendition="#g">Crossing obliterates characters.</hi>«</p><lb/>
            <p>Wenn nun die Männer, die über Wesen und Bedeutung der<lb/>
Rassen am genauesten Bescheid wissen sollten, einen so unglaublichen<lb/>
Mangel an Urteil an den Tag legen, wenn sie dort, wo reichste An-<lb/>
schauung sicherste Erkenntnis giebt, ihr hohle politische Phrasen<lb/>
entgegenstellen, wer soll sich denn wundern, dass ungelehrte Menschen<lb/>
viel Unsinn reden, selbst dann, wenn ihr Instinkt sie den richtigen<lb/>
Weg weist? Denn das Interesse für diesen Gegenstand ist in weiten<lb/>
Schichten geweckt, und da der Gelehrte kläglich versagt, sucht der<lb/>
Ungelehrte sich allein zu helfen. Als Graf Gobineau in den fünfziger<lb/>
Jahren sein geniales Werk über die Ungleichheit der menschlichen<lb/>
Rassen veröffentlichte, blieb es unbeachtet; kein Mensch wusste, was<lb/>
eine solche Betrachtung sollte; man stand, wie der arme Virchow,<lb/>
»ratlos vor einem Rätsel«. Jetzt, am Ausgang unseres Jahrhunderts,<lb/>
ist es anders geworden: der leidenschaftlichere, treibende Teil der<lb/>
Nationen schenkt gerade dieser Frage viel Aufmerksamkeit. Aber in<lb/>
welchem Wirrwarr von Widersprüchen, von Irrtümern, von Wahn-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[266/0289] Die Erben. heit ist ein Zustand, auf den die Natur überall hinarbeitet; nichts Ausserordentliches entsteht ohne »Specialisation«; beim Menschen, genau so wie beim Tier, ist es die Specialisation, welche edle Rassen hervorbringt; die Geschichte und die Ethnologie sind da, um dem blödesten Auge dieses Geheimnis zu enthüllen. Hat nicht jede echte Rasse ihre eigene Physiognomie, herrlich, unvergleichlich? Wie wäre hellenische Kunst ohne Hellenen entstanden? Wie bald hat nicht die eifersüchtige Feindschaft zwischen den einzelnen Städten des kleinen Griechenland jedem Teilchen seine eigene scharfausgeprägte Individualität innerhalb des eigenen Familientypus gespendet! Wie schnell war das wieder verwischt als Makedonier und Römer mit ihrer nivellierenden Hand über das Land hinwegfuhren! Und wie entfloh nach und nach alles, was dem Wort »hellenisch« ewigen Sinn verliehen hatte, als von Norden, von Osten und von Westen immer neue Scharen unver- wandter Völker ins Land zogen und mit echten Hellenen sich ver- mengten! Die Gleichheit, vor der Herr Virchow seinen Bonzendienst verrichtet, war jetzt da, alle Wälle waren geschleift, alle Grenzen be- deutungslos; auch war die Philosophie, gegen die sich Herr Virchow im selben Vortrag so sehr ereifert, ausgetilgt und durch den aller- gesündesten »Menschenverstand« ersetzt; die schöne Persönlichkeit jedoch, ohne die wir alle noch heute nur mehr oder weniger civilisierte Barbaren wären, — sie war verschwunden, auf ewig verschwunden. »Crossing obliterates characters.« Wenn nun die Männer, die über Wesen und Bedeutung der Rassen am genauesten Bescheid wissen sollten, einen so unglaublichen Mangel an Urteil an den Tag legen, wenn sie dort, wo reichste An- schauung sicherste Erkenntnis giebt, ihr hohle politische Phrasen entgegenstellen, wer soll sich denn wundern, dass ungelehrte Menschen viel Unsinn reden, selbst dann, wenn ihr Instinkt sie den richtigen Weg weist? Denn das Interesse für diesen Gegenstand ist in weiten Schichten geweckt, und da der Gelehrte kläglich versagt, sucht der Ungelehrte sich allein zu helfen. Als Graf Gobineau in den fünfziger Jahren sein geniales Werk über die Ungleichheit der menschlichen Rassen veröffentlichte, blieb es unbeachtet; kein Mensch wusste, was eine solche Betrachtung sollte; man stand, wie der arme Virchow, »ratlos vor einem Rätsel«. Jetzt, am Ausgang unseres Jahrhunderts, ist es anders geworden: der leidenschaftlichere, treibende Teil der Nationen schenkt gerade dieser Frage viel Aufmerksamkeit. Aber in welchem Wirrwarr von Widersprüchen, von Irrtümern, von Wahn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/289
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/289>, abgerufen am 26.11.2024.