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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
wahrscheinlich überhaupt die meisten seiner besten Sachen. Er erfand
eine leichte dialogische Form (wofür er sich den Ehrentitel "Prome-
theus der Schriftsteller" beilegte!); im Grunde genommen sind es
gute Feuilletons, so wie man sie früh zum Kaffee noch jetzt gern
liest. Sie brachten ihm, als er sich nun wieder auf Reisen begab,
und sie öffentlich vortrug, Unsummen ein. Doch auch diese Mode
ging vorbei, oder vielleicht hatte der ältere Mann das Nomadisieren
satt. Er liess das eine Erbe, hellenische Kunst und Philosophie,
liegen, und wandte sich zum andern, zum römischen Recht: er
wurde Staatsanwalt (sagen die Einen), Gerichtspräsident (sagen die
Andern) in Ägypten und starb in diesem Amte.

Ich glaube, eine einzige solche Laufbahn führt uns das seelische
Chaos, welches damals unter dem einförmigen Gewand des streng
verwaltenden römischen Imperiums verborgen lag, deutlicher zu
Gemüt, als manche gelehrte Auseinandersetzung. Man kann von einem
Manne wie Lucian nicht sagen, er sei unmoralisch gewesen; nein,
was man an einem solchen Beispiel einsehen lernt, ist, dass Moral
und Willkür zwei sich widersprechende Begriffe sind. Menschen,
die nicht mit ihrem Blute bestimmte Ideale erben, sind weder
moralisch noch unmoralisch, sondern einfach "amoralisch". Wenn
ich mir ein Modewort für meinen Zweck zurechtlegen darf: sie
sind diesseits von Gut und Böse. Sie sind auch diesseits von schön
und hässlich, diesseits von tief und flach. Der Einzelne vermag es
eben nicht, sich ein Lebensideal und ein moralisches Gesetz zu er-
schaffen; gerade diese Dinge können nur bestehen, wenn sie ge-
wachsen
sind. Darum war es auch sehr weise von Lucian, dass
er es trotz seines Talentes zeitig aufgab, dem Phidias nachzueifern.
Ein Schönredner für die Marseilleser konnte er werden, auch ein
Gerichtspräsident für die Ägypter, ja, selbst ein Feuilletonist für alle
Zeiten, ein Künstler aber nie, ein Denker ebensowenig.

Augustinus.

Nun könnte man freilich einwerfen, es seien aus dem damaligen
Völkerchaos sehr bedeutende Männer hervorgegangen, die in einem
tiefer eindringenden Sinne als Lucian auf die zukünftigen Geschlechter
bis heute hinab gewirkt haben. Hierdurch wird die unwiderlegbare
Erkenntnis von der Bedeutung der Rasse für das Menschengeschlecht
durchaus nicht aufgehoben. Mitten in einem Chaos können einzelne
Individuen noch ganz reiner Rasse sein, oder wenn das nicht, doch
vorwiegend einer bestimmten Rasse angehören. Ein solcher Mann,
wie Ambrosius z. B., ist ganz gewiss aus echtem, edlem Stamme, aus

Die Erben.
wahrscheinlich überhaupt die meisten seiner besten Sachen. Er erfand
eine leichte dialogische Form (wofür er sich den Ehrentitel »Prome-
theus der Schriftsteller« beilegte!); im Grunde genommen sind es
gute Feuilletons, so wie man sie früh zum Kaffee noch jetzt gern
liest. Sie brachten ihm, als er sich nun wieder auf Reisen begab,
und sie öffentlich vortrug, Unsummen ein. Doch auch diese Mode
ging vorbei, oder vielleicht hatte der ältere Mann das Nomadisieren
satt. Er liess das eine Erbe, hellenische Kunst und Philosophie,
liegen, und wandte sich zum andern, zum römischen Recht: er
wurde Staatsanwalt (sagen die Einen), Gerichtspräsident (sagen die
Andern) in Ägypten und starb in diesem Amte.

Ich glaube, eine einzige solche Laufbahn führt uns das seelische
Chaos, welches damals unter dem einförmigen Gewand des streng
verwaltenden römischen Imperiums verborgen lag, deutlicher zu
Gemüt, als manche gelehrte Auseinandersetzung. Man kann von einem
Manne wie Lucian nicht sagen, er sei unmoralisch gewesen; nein,
was man an einem solchen Beispiel einsehen lernt, ist, dass Moral
und Willkür zwei sich widersprechende Begriffe sind. Menschen,
die nicht mit ihrem Blute bestimmte Ideale erben, sind weder
moralisch noch unmoralisch, sondern einfach »amoralisch«. Wenn
ich mir ein Modewort für meinen Zweck zurechtlegen darf: sie
sind diesseits von Gut und Böse. Sie sind auch diesseits von schön
und hässlich, diesseits von tief und flach. Der Einzelne vermag es
eben nicht, sich ein Lebensideal und ein moralisches Gesetz zu er-
schaffen; gerade diese Dinge können nur bestehen, wenn sie ge-
wachsen
sind. Darum war es auch sehr weise von Lucian, dass
er es trotz seines Talentes zeitig aufgab, dem Phidias nachzueifern.
Ein Schönredner für die Marseilleser konnte er werden, auch ein
Gerichtspräsident für die Ägypter, ja, selbst ein Feuilletonist für alle
Zeiten, ein Künstler aber nie, ein Denker ebensowenig.

Augustinus.

Nun könnte man freilich einwerfen, es seien aus dem damaligen
Völkerchaos sehr bedeutende Männer hervorgegangen, die in einem
tiefer eindringenden Sinne als Lucian auf die zukünftigen Geschlechter
bis heute hinab gewirkt haben. Hierdurch wird die unwiderlegbare
Erkenntnis von der Bedeutung der Rasse für das Menschengeschlecht
durchaus nicht aufgehoben. Mitten in einem Chaos können einzelne
Individuen noch ganz reiner Rasse sein, oder wenn das nicht, doch
vorwiegend einer bestimmten Rasse angehören. Ein solcher Mann,
wie Ambrosius z. B., ist ganz gewiss aus echtem, edlem Stamme, aus

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[304/0327] Die Erben. wahrscheinlich überhaupt die meisten seiner besten Sachen. Er erfand eine leichte dialogische Form (wofür er sich den Ehrentitel »Prome- theus der Schriftsteller« beilegte!); im Grunde genommen sind es gute Feuilletons, so wie man sie früh zum Kaffee noch jetzt gern liest. Sie brachten ihm, als er sich nun wieder auf Reisen begab, und sie öffentlich vortrug, Unsummen ein. Doch auch diese Mode ging vorbei, oder vielleicht hatte der ältere Mann das Nomadisieren satt. Er liess das eine Erbe, hellenische Kunst und Philosophie, liegen, und wandte sich zum andern, zum römischen Recht: er wurde Staatsanwalt (sagen die Einen), Gerichtspräsident (sagen die Andern) in Ägypten und starb in diesem Amte. Ich glaube, eine einzige solche Laufbahn führt uns das seelische Chaos, welches damals unter dem einförmigen Gewand des streng verwaltenden römischen Imperiums verborgen lag, deutlicher zu Gemüt, als manche gelehrte Auseinandersetzung. Man kann von einem Manne wie Lucian nicht sagen, er sei unmoralisch gewesen; nein, was man an einem solchen Beispiel einsehen lernt, ist, dass Moral und Willkür zwei sich widersprechende Begriffe sind. Menschen, die nicht mit ihrem Blute bestimmte Ideale erben, sind weder moralisch noch unmoralisch, sondern einfach »amoralisch«. Wenn ich mir ein Modewort für meinen Zweck zurechtlegen darf: sie sind diesseits von Gut und Böse. Sie sind auch diesseits von schön und hässlich, diesseits von tief und flach. Der Einzelne vermag es eben nicht, sich ein Lebensideal und ein moralisches Gesetz zu er- schaffen; gerade diese Dinge können nur bestehen, wenn sie ge- wachsen sind. Darum war es auch sehr weise von Lucian, dass er es trotz seines Talentes zeitig aufgab, dem Phidias nachzueifern. Ein Schönredner für die Marseilleser konnte er werden, auch ein Gerichtspräsident für die Ägypter, ja, selbst ein Feuilletonist für alle Zeiten, ein Künstler aber nie, ein Denker ebensowenig. Nun könnte man freilich einwerfen, es seien aus dem damaligen Völkerchaos sehr bedeutende Männer hervorgegangen, die in einem tiefer eindringenden Sinne als Lucian auf die zukünftigen Geschlechter bis heute hinab gewirkt haben. Hierdurch wird die unwiderlegbare Erkenntnis von der Bedeutung der Rasse für das Menschengeschlecht durchaus nicht aufgehoben. Mitten in einem Chaos können einzelne Individuen noch ganz reiner Rasse sein, oder wenn das nicht, doch vorwiegend einer bestimmten Rasse angehören. Ein solcher Mann, wie Ambrosius z. B., ist ganz gewiss aus echtem, edlem Stamme, aus

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/327>, abgerufen am 10.06.2024.