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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Das Völkerchaos.
herrschten, ist die unbedingte Keuschheit gepredigt worden; im Gegen-
teil, alle alten Völker -- Arier, Semiten, Mongolen -- durch einen
wunderbaren Instinkt geleitet, stimmen in diesem einen Punkte überein,
dass sie das Erzeugen von Kindern als eine der heiligsten Pflichten
betrachten; wer ohne Sohn starb, war ein Fluchbeladener. Freilich
kannte das alte Indien Asketen; diese durften aber nicht eher in die
Einsamkeit der Wälder scheiden, als bis des Sohnes Sohn geboren
war; was hier als Idee und Absicht zu Grunde liegt, ist also der
syrisch-christlichen Asketik fast diametral entgegengesetzt. Heute ver-
stehen wir das; denn wir sehen, dass nur eines zur Veredelung des
Menschen führt: die Zeugung reiner Rassen, die Begründung be-
stimmter Nationen. Söhne zu zeugen, die rechten Söhne, ist also
unfraglich die heiligste Pflicht des Individuums der Gesellschaft gegen-
über; was er auch sonst leisten mag, nichts wird von so dauerndem,
unauslöschbarem Einfluss sein wie der Beitrag zur progressiven Ver-
edelung der Rasse. Von dem beschränkten, falschen Standpunkt
Gobineau's aus ist es allerdings ziemlich gleichgültig, denn wir können
nur schneller oder langsamer zu Grunde gehen; noch weniger Recht
haben Diejenigen, welche ihm zu widersprechen scheinen, dabei aber
dieselbe hypothetische Annahme ursprünglich reiner Rassen machen;
wer aber belehrt ist, wie edle Rasse in Wahrheit entsteht, weiss, dass
sie jeden Augenblick von Neuem entstehen kann; das hängt von uns
ab; hier hat die Natur uns eine hohe Pflicht deutlich gewiesen. Jene
Männer aus dem Chaos also, welche die Zeugung für eine Sünde und die
gänzliche Enthaltung von ihr für die höchste aller Tugenden hielten, sie
begingen ein Verbrechen gegen das heiligste Gesetz der Natur, sie suchten
durchzusetzen, dass alle guten, edlen Männer und Frauen ohne Nach-
kommenschaft blieben und nur die bösen sich vermehrten, d. h. sie
thaten, was an ihnen lag, um die Verschlechterung des Menschen-
geschlechtes herbeizuführen. Ein Schopenhauer mag die Aussprüche
gegen die Ehe aus den Kirchenvätern freudig zusammentragen und
darin eine Bestätigung seines Pessimismus erblicken; für mich ist der
Zusammenhang ein ganz anderer: dieser plötzliche Abscheu gegen die
natürlichsten Triebe des Menschen, ihre Umwandlung aus heiligster
Pflicht in schmählichste Sünde, hat eine tiefere Begründung in jenen
unerforschlichen Urquellen unseres Wesens, wo das Physische und
das Metaphysische noch nicht auseinander getreten sind. Nach Kriegen
und Pesten, sagt die Statistik, mehren sich die Geburten in anormaler
Weise -- die Natur hilft sich selber; in jenem Chaos, welches aller

Das Völkerchaos.
herrschten, ist die unbedingte Keuschheit gepredigt worden; im Gegen-
teil, alle alten Völker — Arier, Semiten, Mongolen — durch einen
wunderbaren Instinkt geleitet, stimmen in diesem einen Punkte überein,
dass sie das Erzeugen von Kindern als eine der heiligsten Pflichten
betrachten; wer ohne Sohn starb, war ein Fluchbeladener. Freilich
kannte das alte Indien Asketen; diese durften aber nicht eher in die
Einsamkeit der Wälder scheiden, als bis des Sohnes Sohn geboren
war; was hier als Idee und Absicht zu Grunde liegt, ist also der
syrisch-christlichen Asketik fast diametral entgegengesetzt. Heute ver-
stehen wir das; denn wir sehen, dass nur eines zur Veredelung des
Menschen führt: die Zeugung reiner Rassen, die Begründung be-
stimmter Nationen. Söhne zu zeugen, die rechten Söhne, ist also
unfraglich die heiligste Pflicht des Individuums der Gesellschaft gegen-
über; was er auch sonst leisten mag, nichts wird von so dauerndem,
unauslöschbarem Einfluss sein wie der Beitrag zur progressiven Ver-
edelung der Rasse. Von dem beschränkten, falschen Standpunkt
Gobineau’s aus ist es allerdings ziemlich gleichgültig, denn wir können
nur schneller oder langsamer zu Grunde gehen; noch weniger Recht
haben Diejenigen, welche ihm zu widersprechen scheinen, dabei aber
dieselbe hypothetische Annahme ursprünglich reiner Rassen machen;
wer aber belehrt ist, wie edle Rasse in Wahrheit entsteht, weiss, dass
sie jeden Augenblick von Neuem entstehen kann; das hängt von uns
ab; hier hat die Natur uns eine hohe Pflicht deutlich gewiesen. Jene
Männer aus dem Chaos also, welche die Zeugung für eine Sünde und die
gänzliche Enthaltung von ihr für die höchste aller Tugenden hielten, sie
begingen ein Verbrechen gegen das heiligste Gesetz der Natur, sie suchten
durchzusetzen, dass alle guten, edlen Männer und Frauen ohne Nach-
kommenschaft blieben und nur die bösen sich vermehrten, d. h. sie
thaten, was an ihnen lag, um die Verschlechterung des Menschen-
geschlechtes herbeizuführen. Ein Schopenhauer mag die Aussprüche
gegen die Ehe aus den Kirchenvätern freudig zusammentragen und
darin eine Bestätigung seines Pessimismus erblicken; für mich ist der
Zusammenhang ein ganz anderer: dieser plötzliche Abscheu gegen die
natürlichsten Triebe des Menschen, ihre Umwandlung aus heiligster
Pflicht in schmählichste Sünde, hat eine tiefere Begründung in jenen
unerforschlichen Urquellen unseres Wesens, wo das Physische und
das Metaphysische noch nicht auseinander getreten sind. Nach Kriegen
und Pesten, sagt die Statistik, mehren sich die Geburten in anormaler
Weise — die Natur hilft sich selber; in jenem Chaos, welches aller

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[309/0332] Das Völkerchaos. herrschten, ist die unbedingte Keuschheit gepredigt worden; im Gegen- teil, alle alten Völker — Arier, Semiten, Mongolen — durch einen wunderbaren Instinkt geleitet, stimmen in diesem einen Punkte überein, dass sie das Erzeugen von Kindern als eine der heiligsten Pflichten betrachten; wer ohne Sohn starb, war ein Fluchbeladener. Freilich kannte das alte Indien Asketen; diese durften aber nicht eher in die Einsamkeit der Wälder scheiden, als bis des Sohnes Sohn geboren war; was hier als Idee und Absicht zu Grunde liegt, ist also der syrisch-christlichen Asketik fast diametral entgegengesetzt. Heute ver- stehen wir das; denn wir sehen, dass nur eines zur Veredelung des Menschen führt: die Zeugung reiner Rassen, die Begründung be- stimmter Nationen. Söhne zu zeugen, die rechten Söhne, ist also unfraglich die heiligste Pflicht des Individuums der Gesellschaft gegen- über; was er auch sonst leisten mag, nichts wird von so dauerndem, unauslöschbarem Einfluss sein wie der Beitrag zur progressiven Ver- edelung der Rasse. Von dem beschränkten, falschen Standpunkt Gobineau’s aus ist es allerdings ziemlich gleichgültig, denn wir können nur schneller oder langsamer zu Grunde gehen; noch weniger Recht haben Diejenigen, welche ihm zu widersprechen scheinen, dabei aber dieselbe hypothetische Annahme ursprünglich reiner Rassen machen; wer aber belehrt ist, wie edle Rasse in Wahrheit entsteht, weiss, dass sie jeden Augenblick von Neuem entstehen kann; das hängt von uns ab; hier hat die Natur uns eine hohe Pflicht deutlich gewiesen. Jene Männer aus dem Chaos also, welche die Zeugung für eine Sünde und die gänzliche Enthaltung von ihr für die höchste aller Tugenden hielten, sie begingen ein Verbrechen gegen das heiligste Gesetz der Natur, sie suchten durchzusetzen, dass alle guten, edlen Männer und Frauen ohne Nach- kommenschaft blieben und nur die bösen sich vermehrten, d. h. sie thaten, was an ihnen lag, um die Verschlechterung des Menschen- geschlechtes herbeizuführen. Ein Schopenhauer mag die Aussprüche gegen die Ehe aus den Kirchenvätern freudig zusammentragen und darin eine Bestätigung seines Pessimismus erblicken; für mich ist der Zusammenhang ein ganz anderer: dieser plötzliche Abscheu gegen die natürlichsten Triebe des Menschen, ihre Umwandlung aus heiligster Pflicht in schmählichste Sünde, hat eine tiefere Begründung in jenen unerforschlichen Urquellen unseres Wesens, wo das Physische und das Metaphysische noch nicht auseinander getreten sind. Nach Kriegen und Pesten, sagt die Statistik, mehren sich die Geburten in anormaler Weise — die Natur hilft sich selber; in jenem Chaos, welches aller

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/332>, abgerufen am 11.06.2024.