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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
habgierig, feig, wird er mit Recht von allen Völkern als ein Auswurf
der Menschheit betrachtet."1) Lange ehe sie ansässig wurde, war zum
Glück diese Beduinenfamilie, die Beni Israel, durch reichliche Kreuzung
mit Nichtsemiten solch grausamem Schicksal entgangen!

Wir sahen die ursprüngliche Beduinenfamilie sich zunächst längere
Zeit am südlichen Euphrat aufhalten in der Nähe der Stadt Ur: hat
dort schon Blutmischung stattgefunden? Man hat es behauptet. Und da
der Grundstock der Bevölkerung des babylonischen Reiches damals ver-
mutlich aus ziemlich echten Sumero-Akkadiern bestand -- denn die
Semiten hatten diesen Staat und seine hohe Civilisation bloss annektiert,
sie leisteten weder die geistige Arbeit noch die manuelle2) -- so hat
man vorausgesetzt, der abrahamidische Stock sei durch sumero-akka-
disches Blut aufgefrischt worden. Das Vorkommen solcher fremder
Namen, wie Abraham (so hiess der fabelhafte Begründer und erste
König Ur's bei den Sumeriern) hat in dieser Ansicht bestärkt, ebenso wie
die Brocken halbverstandener turanischer3) Weisheit und Mythologie,
aus welcher die ersten Kapitel der Genesis zusammengesetzt sind.
Doch bleiben solche Annahmen durchaus hypothetisch und sind darum
ernster Erwägung kaum wert. In diesem Falle spricht nicht einmal
die Wahrscheinlichkeit dafür. Die armen Hirten haben kaum den
Saum der Civilisation berührt; wer wird sich mit ihnen näher ein-
gelassen haben? Und was die Aneignung so dürftiger kosmogonischer
Vorstellungen, wie wir sie in der Bibel antreffen, anbelangt, so genügte
dazu der Verkehr mit anderen Hebräern, denn sowohl die Mythologie
wie die Wissenschaft und die Kultur der Turanier (an der wir noch
heute durch den Gedanken der Schöpfung und des Sündenfalles, durch
die Einteilung der Woche und des Jahres, durch die Grundlegung der
Geometrie und die Erfindung der Schrift teilhaben) hatte sich weithin
verbreitet; Ägypten war ihr Schüler4) und der Semit, nicht fähig, so
tief wie der Ägypter zu schauen, hatte längst, ehe die Beni Israel ihre
Wanderungen begannen, sich so viel davon angeeignet, als ihm förderlich
und praktisch schien, und hatte als geschäftiger Zwischenhändler es

1) The races of the Old Testament, p. 106.
2) Siehe namentlich Sayce: Assyria, S. 24 fg. und Social Life among the
Assyrians and Babylonians
(an vielen Orten).
3) Das Wort "turanisch" ist meiner Feder entfahren, weil manche Autoren
die Sumero-Akkadier für Turanier halten (siehe namentlich Hommel: Geschichte
Babyloniens und Assyriens,
S. 125, 244 fg.).
4) Siehe Hommel: Der babylonische Ursprung der ägyptischen Kultur (1892).

Die Erben.
habgierig, feig, wird er mit Recht von allen Völkern als ein Auswurf
der Menschheit betrachtet.«1) Lange ehe sie ansässig wurde, war zum
Glück diese Beduinenfamilie, die Beni Israel, durch reichliche Kreuzung
mit Nichtsemiten solch grausamem Schicksal entgangen!

Wir sahen die ursprüngliche Beduinenfamilie sich zunächst längere
Zeit am südlichen Euphrat aufhalten in der Nähe der Stadt Ur: hat
dort schon Blutmischung stattgefunden? Man hat es behauptet. Und da
der Grundstock der Bevölkerung des babylonischen Reiches damals ver-
mutlich aus ziemlich echten Sumero-Akkadiern bestand — denn die
Semiten hatten diesen Staat und seine hohe Civilisation bloss annektiert,
sie leisteten weder die geistige Arbeit noch die manuelle2) — so hat
man vorausgesetzt, der abrahamidische Stock sei durch sumero-akka-
disches Blut aufgefrischt worden. Das Vorkommen solcher fremder
Namen, wie Abraham (so hiess der fabelhafte Begründer und erste
König Ur’s bei den Sumeriern) hat in dieser Ansicht bestärkt, ebenso wie
die Brocken halbverstandener turanischer3) Weisheit und Mythologie,
aus welcher die ersten Kapitel der Genesis zusammengesetzt sind.
Doch bleiben solche Annahmen durchaus hypothetisch und sind darum
ernster Erwägung kaum wert. In diesem Falle spricht nicht einmal
die Wahrscheinlichkeit dafür. Die armen Hirten haben kaum den
Saum der Civilisation berührt; wer wird sich mit ihnen näher ein-
gelassen haben? Und was die Aneignung so dürftiger kosmogonischer
Vorstellungen, wie wir sie in der Bibel antreffen, anbelangt, so genügte
dazu der Verkehr mit anderen Hebräern, denn sowohl die Mythologie
wie die Wissenschaft und die Kultur der Turanier (an der wir noch
heute durch den Gedanken der Schöpfung und des Sündenfalles, durch
die Einteilung der Woche und des Jahres, durch die Grundlegung der
Geometrie und die Erfindung der Schrift teilhaben) hatte sich weithin
verbreitet; Ägypten war ihr Schüler4) und der Semit, nicht fähig, so
tief wie der Ägypter zu schauen, hatte längst, ehe die Beni Israel ihre
Wanderungen begannen, sich so viel davon angeeignet, als ihm förderlich
und praktisch schien, und hatte als geschäftiger Zwischenhändler es

1) The races of the Old Testament, p. 106.
2) Siehe namentlich Sayce: Assyria, S. 24 fg. und Social Life among the
Assyrians and Babylonians
(an vielen Orten).
3) Das Wort »turanisch« ist meiner Feder entfahren, weil manche Autoren
die Sumero-Akkadier für Turanier halten (siehe namentlich Hommel: Geschichte
Babyloniens und Assyriens,
S. 125, 244 fg.).
4) Siehe Hommel: Der babylonische Ursprung der ägyptischen Kultur (1892).
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[356/0379] Die Erben. habgierig, feig, wird er mit Recht von allen Völkern als ein Auswurf der Menschheit betrachtet.« 1) Lange ehe sie ansässig wurde, war zum Glück diese Beduinenfamilie, die Beni Israel, durch reichliche Kreuzung mit Nichtsemiten solch grausamem Schicksal entgangen! Wir sahen die ursprüngliche Beduinenfamilie sich zunächst längere Zeit am südlichen Euphrat aufhalten in der Nähe der Stadt Ur: hat dort schon Blutmischung stattgefunden? Man hat es behauptet. Und da der Grundstock der Bevölkerung des babylonischen Reiches damals ver- mutlich aus ziemlich echten Sumero-Akkadiern bestand — denn die Semiten hatten diesen Staat und seine hohe Civilisation bloss annektiert, sie leisteten weder die geistige Arbeit noch die manuelle 2) — so hat man vorausgesetzt, der abrahamidische Stock sei durch sumero-akka- disches Blut aufgefrischt worden. Das Vorkommen solcher fremder Namen, wie Abraham (so hiess der fabelhafte Begründer und erste König Ur’s bei den Sumeriern) hat in dieser Ansicht bestärkt, ebenso wie die Brocken halbverstandener turanischer 3) Weisheit und Mythologie, aus welcher die ersten Kapitel der Genesis zusammengesetzt sind. Doch bleiben solche Annahmen durchaus hypothetisch und sind darum ernster Erwägung kaum wert. In diesem Falle spricht nicht einmal die Wahrscheinlichkeit dafür. Die armen Hirten haben kaum den Saum der Civilisation berührt; wer wird sich mit ihnen näher ein- gelassen haben? Und was die Aneignung so dürftiger kosmogonischer Vorstellungen, wie wir sie in der Bibel antreffen, anbelangt, so genügte dazu der Verkehr mit anderen Hebräern, denn sowohl die Mythologie wie die Wissenschaft und die Kultur der Turanier (an der wir noch heute durch den Gedanken der Schöpfung und des Sündenfalles, durch die Einteilung der Woche und des Jahres, durch die Grundlegung der Geometrie und die Erfindung der Schrift teilhaben) hatte sich weithin verbreitet; Ägypten war ihr Schüler 4) und der Semit, nicht fähig, so tief wie der Ägypter zu schauen, hatte längst, ehe die Beni Israel ihre Wanderungen begannen, sich so viel davon angeeignet, als ihm förderlich und praktisch schien, und hatte als geschäftiger Zwischenhändler es 1) The races of the Old Testament, p. 106. 2) Siehe namentlich Sayce: Assyria, S. 24 fg. und Social Life among the Assyrians and Babylonians (an vielen Orten). 3) Das Wort »turanisch« ist meiner Feder entfahren, weil manche Autoren die Sumero-Akkadier für Turanier halten (siehe namentlich Hommel: Geschichte Babyloniens und Assyriens, S. 125, 244 fg.). 4) Siehe Hommel: Der babylonische Ursprung der ägyptischen Kultur (1892).

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/379>, abgerufen am 24.11.2024.