Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. wahn -- jenen ungekünstelten Kultus einführen konnten, den die Israe-liten in Palästina vorfanden und sich aneigneten: das Fest der Herbstlese (für sie zugleich Neujahr, von den Juden später Laubhüttenfest ge- nannt), das Fest des Frühlings (Ostern, von den Juden später zum Passah umgedichtet) mit Darbringung der Erstgeburten von Rindern und Schafen, das Fest des vollendeten Getreideschnitts (Pfingsten, von den Juden Wochenfest genannt), lauter fröhliche Feste eines schon seit langen Zeiten ansässigen, Ackerbau treibenden, nicht eines no- madischen Volkes, Feste ohne tiefere Beziehung auf das Innenleben des Menschen, eine einfache Naturreligion, wie sie für schlichte, fleissige, "leidlich redliche" Menschen gepasst haben mag und gewiss heute noch passen würde.1) Da wir Menschenopfer nur dort ein- gebürgert sehen, wo (wie in Phönicien) das semitische Element stark überwog2), so dürfen wir voraussetzen, dass wo der kanaanitische Baalsdienst derartige Greuel in dem Fest gestattet, (wovon wir nur ausnahmsweise hören und wohl nur, wo fremde Fürstinnen durch Ehe ins Land gekommen sind), ein semitischer Brauch, nicht ein he- thitischer, sich kundgiebt3) ... Im Ganzen machen uns die Hethiter den Eindruck mehr von einer achtungswerten und hervorragend lebensfähigen Mittelmässigkeit als von irgend einer Anlage zu ausser- ordentlichen Leistungen, sie besitzen mehr Zähigkeit als Kraft. Goethe sagt einmal, ohne Überschwänglichkeit gäbe es keine Grösse; nach dieser Goethe'schen Definition dürften die Hethiter schwerlich auf Grösse Anspruch machen können. 1) Vergl. die Ausführungen bei Wellhausen: Israelitische und jüd. Gesch., Kap. 6. Trotz der später vorgenommenen vorsichtigen Expurgierung sind doch hier und da in der Thora Erwähnungen dieses heiteren Naturkultus geblieben, so z. B. des im Gotteshaus zu Sichern gefeierten Weinlesefestes (Richter IX, 27). Siehe auch, wie die Bundeslade "mit Freuden und Jauchzen", mit Musik, Gesang und Tanz von David nach Jerusalem geführt wird (2. Sam. VI, 12--15). 2) Von Luschan hat durch zahlreiche Messungen festgestellt, dass der phönizische Typus sich "eng an den arabischen anschloss". 3) Über den viel komplizierteren Kultus in der früheren Hauptstadt des
hethitischen Reiches, Carchemisch (Mabog) siehe Sayce: The Hittites, ch. 6. Doch dünkt mich Lucian, auf den er sich beruft, ein sehr später und wenig zuverlässiger Zeuge. Interessant ist es dagegen zu sehen, wie weit die Phantasielosigkeit der Hebräer sich erstreckte. Selbst die Anlage des jüdischen Tempels, des äusseren und inneren Hofes, des Vorhangs vor dem Allerheiligsten, sowie das Privilegium des Hohenpriesters, diesen Raum zu betreten: das alles (angeblich Moses am Sinai von Gott vorgeschrieben!) sind genaue Nachahmungen des uralten hethi- tischen Ritus. Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte. wahn — jenen ungekünstelten Kultus einführen konnten, den die Israe-liten in Palästina vorfanden und sich aneigneten: das Fest der Herbstlese (für sie zugleich Neujahr, von den Juden später Laubhüttenfest ge- nannt), das Fest des Frühlings (Ostern, von den Juden später zum Passah umgedichtet) mit Darbringung der Erstgeburten von Rindern und Schafen, das Fest des vollendeten Getreideschnitts (Pfingsten, von den Juden Wochenfest genannt), lauter fröhliche Feste eines schon seit langen Zeiten ansässigen, Ackerbau treibenden, nicht eines no- madischen Volkes, Feste ohne tiefere Beziehung auf das Innenleben des Menschen, eine einfache Naturreligion, wie sie für schlichte, fleissige, »leidlich redliche« Menschen gepasst haben mag und gewiss heute noch passen würde.1) Da wir Menschenopfer nur dort ein- gebürgert sehen, wo (wie in Phönicien) das semitische Element stark überwog2), so dürfen wir voraussetzen, dass wo der kanaanitische Baalsdienst derartige Greuel in dem Fest gestattet, (wovon wir nur ausnahmsweise hören und wohl nur, wo fremde Fürstinnen durch Ehe ins Land gekommen sind), ein semitischer Brauch, nicht ein he- thitischer, sich kundgiebt3) … Im Ganzen machen uns die Hethiter den Eindruck mehr von einer achtungswerten und hervorragend lebensfähigen Mittelmässigkeit als von irgend einer Anlage zu ausser- ordentlichen Leistungen, sie besitzen mehr Zähigkeit als Kraft. Goethe sagt einmal, ohne Überschwänglichkeit gäbe es keine Grösse; nach dieser Goethe’schen Definition dürften die Hethiter schwerlich auf Grösse Anspruch machen können. 1) Vergl. die Ausführungen bei Wellhausen: Israelitische und jüd. Gesch., Kap. 6. Trotz der später vorgenommenen vorsichtigen Expurgierung sind doch hier und da in der Thora Erwähnungen dieses heiteren Naturkultus geblieben, so z. B. des im Gotteshaus zu Sichern gefeierten Weinlesefestes (Richter IX, 27). Siehe auch, wie die Bundeslade »mit Freuden und Jauchzen«, mit Musik, Gesang und Tanz von David nach Jerusalem geführt wird (2. Sam. VI, 12—15). 2) Von Luschan hat durch zahlreiche Messungen festgestellt, dass der phönizische Typus sich »eng an den arabischen anschloss«. 3) Über den viel komplizierteren Kultus in der früheren Hauptstadt des
hethitischen Reiches, Carchemisch (Mabog) siehe Sayce: The Hittites, ch. 6. Doch dünkt mich Lucian, auf den er sich beruft, ein sehr später und wenig zuverlässiger Zeuge. Interessant ist es dagegen zu sehen, wie weit die Phantasielosigkeit der Hebräer sich erstreckte. Selbst die Anlage des jüdischen Tempels, des äusseren und inneren Hofes, des Vorhangs vor dem Allerheiligsten, sowie das Privilegium des Hohenpriesters, diesen Raum zu betreten: das alles (angeblich Moses am Sinai von Gott vorgeschrieben!) sind genaue Nachahmungen des uralten hethi- tischen Ritus. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0400" n="377"/><fw place="top" type="header">Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.</fw><lb/> wahn — jenen ungekünstelten Kultus einführen konnten, den die Israe-<lb/> liten in Palästina vorfanden und sich aneigneten: das Fest der Herbstlese<lb/> (für sie zugleich Neujahr, von den Juden später Laubhüttenfest ge-<lb/> nannt), das Fest des Frühlings (Ostern, von den Juden später zum<lb/> Passah umgedichtet) mit Darbringung der Erstgeburten von Rindern<lb/> und Schafen, das Fest des vollendeten Getreideschnitts (Pfingsten, von<lb/> den Juden Wochenfest genannt), lauter fröhliche Feste eines schon<lb/> seit langen Zeiten ansässigen, Ackerbau treibenden, nicht eines no-<lb/> madischen Volkes, Feste ohne tiefere Beziehung auf das Innenleben<lb/> des Menschen, eine einfache Naturreligion, wie sie für schlichte,<lb/> fleissige, »leidlich redliche« Menschen gepasst haben mag und gewiss<lb/> heute noch passen würde.<note place="foot" n="1)">Vergl. die Ausführungen bei Wellhausen: <hi rendition="#i">Israelitische und jüd. Gesch.,</hi><lb/> Kap. 6. Trotz der später vorgenommenen vorsichtigen Expurgierung sind doch<lb/> hier und da in der Thora Erwähnungen dieses heiteren Naturkultus geblieben, so<lb/> z. B. des im Gotteshaus zu Sichern gefeierten Weinlesefestes (<hi rendition="#i">Richter</hi> IX, 27).<lb/> Siehe auch, wie die Bundeslade »mit Freuden und Jauchzen«, mit Musik, Gesang<lb/> und Tanz von David nach Jerusalem geführt wird (2. <hi rendition="#i">Sam.</hi> VI, 12—15).</note> Da wir Menschenopfer nur dort ein-<lb/> gebürgert sehen, wo (wie in Phönicien) das semitische Element stark<lb/> überwog<note place="foot" n="2)">Von Luschan hat durch zahlreiche Messungen festgestellt, dass der<lb/> phönizische Typus sich »eng an den arabischen anschloss«.</note>, so dürfen wir voraussetzen, dass wo der kanaanitische<lb/> Baalsdienst derartige Greuel in dem Fest gestattet, (wovon wir nur<lb/> ausnahmsweise hören und wohl nur, wo fremde Fürstinnen durch<lb/> Ehe ins Land gekommen sind), ein semitischer Brauch, nicht ein he-<lb/> thitischer, sich kundgiebt<note place="foot" n="3)">Über den viel komplizierteren Kultus in der früheren Hauptstadt des<lb/> hethitischen Reiches, Carchemisch (Mabog) siehe Sayce: <hi rendition="#i">The Hittites</hi>, ch. 6. Doch<lb/> dünkt mich Lucian, auf den er sich beruft, ein sehr später und wenig zuverlässiger<lb/> Zeuge. Interessant ist es dagegen zu sehen, wie weit die Phantasielosigkeit der<lb/> Hebräer sich erstreckte. Selbst die Anlage des jüdischen Tempels, des äusseren<lb/> und inneren Hofes, des Vorhangs vor dem Allerheiligsten, sowie das Privilegium<lb/> des Hohenpriesters, diesen Raum zu betreten: das alles (angeblich Moses am<lb/> Sinai von Gott vorgeschrieben!) sind genaue Nachahmungen des uralten hethi-<lb/> tischen Ritus.</note> … Im Ganzen machen uns die Hethiter<lb/> den Eindruck mehr von einer achtungswerten und hervorragend<lb/> lebensfähigen Mittelmässigkeit als von irgend einer Anlage zu ausser-<lb/> ordentlichen Leistungen, sie besitzen mehr Zähigkeit als Kraft. Goethe<lb/> sagt einmal, ohne Überschwänglichkeit gäbe es keine Grösse; nach<lb/> dieser Goethe’schen Definition dürften die Hethiter schwerlich auf<lb/> Grösse Anspruch machen können.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [377/0400]
Der Eintritt der Juden in die abendländische Geschichte.
wahn — jenen ungekünstelten Kultus einführen konnten, den die Israe-
liten in Palästina vorfanden und sich aneigneten: das Fest der Herbstlese
(für sie zugleich Neujahr, von den Juden später Laubhüttenfest ge-
nannt), das Fest des Frühlings (Ostern, von den Juden später zum
Passah umgedichtet) mit Darbringung der Erstgeburten von Rindern
und Schafen, das Fest des vollendeten Getreideschnitts (Pfingsten, von
den Juden Wochenfest genannt), lauter fröhliche Feste eines schon
seit langen Zeiten ansässigen, Ackerbau treibenden, nicht eines no-
madischen Volkes, Feste ohne tiefere Beziehung auf das Innenleben
des Menschen, eine einfache Naturreligion, wie sie für schlichte,
fleissige, »leidlich redliche« Menschen gepasst haben mag und gewiss
heute noch passen würde. 1) Da wir Menschenopfer nur dort ein-
gebürgert sehen, wo (wie in Phönicien) das semitische Element stark
überwog 2), so dürfen wir voraussetzen, dass wo der kanaanitische
Baalsdienst derartige Greuel in dem Fest gestattet, (wovon wir nur
ausnahmsweise hören und wohl nur, wo fremde Fürstinnen durch
Ehe ins Land gekommen sind), ein semitischer Brauch, nicht ein he-
thitischer, sich kundgiebt 3) … Im Ganzen machen uns die Hethiter
den Eindruck mehr von einer achtungswerten und hervorragend
lebensfähigen Mittelmässigkeit als von irgend einer Anlage zu ausser-
ordentlichen Leistungen, sie besitzen mehr Zähigkeit als Kraft. Goethe
sagt einmal, ohne Überschwänglichkeit gäbe es keine Grösse; nach
dieser Goethe’schen Definition dürften die Hethiter schwerlich auf
Grösse Anspruch machen können.
1) Vergl. die Ausführungen bei Wellhausen: Israelitische und jüd. Gesch.,
Kap. 6. Trotz der später vorgenommenen vorsichtigen Expurgierung sind doch
hier und da in der Thora Erwähnungen dieses heiteren Naturkultus geblieben, so
z. B. des im Gotteshaus zu Sichern gefeierten Weinlesefestes (Richter IX, 27).
Siehe auch, wie die Bundeslade »mit Freuden und Jauchzen«, mit Musik, Gesang
und Tanz von David nach Jerusalem geführt wird (2. Sam. VI, 12—15).
2) Von Luschan hat durch zahlreiche Messungen festgestellt, dass der
phönizische Typus sich »eng an den arabischen anschloss«.
3) Über den viel komplizierteren Kultus in der früheren Hauptstadt des
hethitischen Reiches, Carchemisch (Mabog) siehe Sayce: The Hittites, ch. 6. Doch
dünkt mich Lucian, auf den er sich beruft, ein sehr später und wenig zuverlässiger
Zeuge. Interessant ist es dagegen zu sehen, wie weit die Phantasielosigkeit der
Hebräer sich erstreckte. Selbst die Anlage des jüdischen Tempels, des äusseren
und inneren Hofes, des Vorhangs vor dem Allerheiligsten, sowie das Privilegium
des Hohenpriesters, diesen Raum zu betreten: das alles (angeblich Moses am
Sinai von Gott vorgeschrieben!) sind genaue Nachahmungen des uralten hethi-
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