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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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und willkürliche Worte halten soll. Dasselbe gilt natürlich wie für die
langen und die breiten Schädel, auch für die hohen und die niedrigen
Gesichter; überall handelt es sich um Verhältnisse, die gradweise in-
einander übergehen. Nun ist es aber das Wesen des Lebens, plastisch
beweglich zu sein; das lebendige Gestaltungsprinzip unterscheidet sich
von Grund aus von dem krystallinischen dadurch, dass es nicht nach
unabänderlichen Zahlenverhältnissen formt, sondern dass es, unter Be-
obachtung des Gleichgewichts der Teile und Festhalten desjenigen
Grundschemas, welches durch das Wesen selbst gegeben ist, gewisser-
massen frei gestaltet. Nicht zwei Individuen sind sich gleich. Um
die physische Struktur einer Rasse in irgend einem gegebenen Momente
zu überblicken, müsste ich folglich die gesamten Vertreter dieser
Rasse vor Augen haben und nun in diesem Komplex die einheitliche
und vereinigende Idee, die vorwaltende spezifische Tendenz der
physischen Gestaltung, welche dieser Rasse als Rasse eigen ist, heraus-
suchen; ich würde sie ja mit Augen erschauen. Hätte ich nun, sagen
wir zur Zeit des Tacitus, sämtliche Germanen vor Augen gehabt: die
noch unvermischten Kelten, die Teutonen und die Germanoslaven, so
hätte ich gewiss ein harmonisches Ganzes erblickt, in welchem ein
bestimmtes Bildungsgesetz vorwaltete, um das sich die mannigfachsten,
abweichendsten Gestaltungen herumgruppierten. Vermutlich hätte sich
kein einziges Individuum gefunden, welches alle spezifischen Charaktere
dieses plastischen Rassengedankens (denn so wäre es meinem sinnenden
Hirn erschienen) in höchster Potenz, in vollendetem Gleichgewicht in
sich vereinigt hätte: die grossen strahlenden Himmelsaugen, das goldene
Haar, die Riesengestalt, das Ebenmass der Muskulatur, der längliche
Schädel (den ein ewig schlagendes, von Sehnsucht gequältes Gehirn
aus der Kreislinie des tierischen Wohlbehagens nach vorn hinaus-
hämmert), das hohe Antlitz (von einem gesteigerten Seelenleben zum
Sitze seines Ausdrucks gefordert) -- gewiss, kein Einzelner hätte das
alles vereint besessen. War der eine Zug vollendet, so war der andere
nur angedeutet. Hier und dort hatte auch die ewig versuchende, nie
sich wiederholende Natur das Gleichgewichtsgesetz durchrissen: ein
übermässiger Riese schwang seine Keule über blöden Augen, unter
einem allzulang gezogenen Schädel sass ein unverhältnismässig kurzes
Gesicht, herrliche Augen strahlten unter einer hohen Stirn hervor,
doch getragen von einem auffallend kleinen Körper u. s. w. ad infinitum.
In anderen Gruppen wiederum werden geheime Gesetze der Wachstums-
korrelation zur Erscheinung gekommen sein: z. B. hier Familien mit

Die Erben.
und willkürliche Worte halten soll. Dasselbe gilt natürlich wie für die
langen und die breiten Schädel, auch für die hohen und die niedrigen
Gesichter; überall handelt es sich um Verhältnisse, die gradweise in-
einander übergehen. Nun ist es aber das Wesen des Lebens, plastisch
beweglich zu sein; das lebendige Gestaltungsprinzip unterscheidet sich
von Grund aus von dem krystallinischen dadurch, dass es nicht nach
unabänderlichen Zahlenverhältnissen formt, sondern dass es, unter Be-
obachtung des Gleichgewichts der Teile und Festhalten desjenigen
Grundschemas, welches durch das Wesen selbst gegeben ist, gewisser-
massen frei gestaltet. Nicht zwei Individuen sind sich gleich. Um
die physische Struktur einer Rasse in irgend einem gegebenen Momente
zu überblicken, müsste ich folglich die gesamten Vertreter dieser
Rasse vor Augen haben und nun in diesem Komplex die einheitliche
und vereinigende Idee, die vorwaltende spezifische Tendenz der
physischen Gestaltung, welche dieser Rasse als Rasse eigen ist, heraus-
suchen; ich würde sie ja mit Augen erschauen. Hätte ich nun, sagen
wir zur Zeit des Tacitus, sämtliche Germanen vor Augen gehabt: die
noch unvermischten Kelten, die Teutonen und die Germanoslaven, so
hätte ich gewiss ein harmonisches Ganzes erblickt, in welchem ein
bestimmtes Bildungsgesetz vorwaltete, um das sich die mannigfachsten,
abweichendsten Gestaltungen herumgruppierten. Vermutlich hätte sich
kein einziges Individuum gefunden, welches alle spezifischen Charaktere
dieses plastischen Rassengedankens (denn so wäre es meinem sinnenden
Hirn erschienen) in höchster Potenz, in vollendetem Gleichgewicht in
sich vereinigt hätte: die grossen strahlenden Himmelsaugen, das goldene
Haar, die Riesengestalt, das Ebenmass der Muskulatur, der längliche
Schädel (den ein ewig schlagendes, von Sehnsucht gequältes Gehirn
aus der Kreislinie des tierischen Wohlbehagens nach vorn hinaus-
hämmert), das hohe Antlitz (von einem gesteigerten Seelenleben zum
Sitze seines Ausdrucks gefordert) — gewiss, kein Einzelner hätte das
alles vereint besessen. War der eine Zug vollendet, so war der andere
nur angedeutet. Hier und dort hatte auch die ewig versuchende, nie
sich wiederholende Natur das Gleichgewichtsgesetz durchrissen: ein
übermässiger Riese schwang seine Keule über blöden Augen, unter
einem allzulang gezogenen Schädel sass ein unverhältnismässig kurzes
Gesicht, herrliche Augen strahlten unter einer hohen Stirn hervor,
doch getragen von einem auffallend kleinen Körper u. s. w. ad infinitum.
In anderen Gruppen wiederum werden geheime Gesetze der Wachstums-
korrelation zur Erscheinung gekommen sein: z. B. hier Familien mit

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[496/0519] Die Erben. und willkürliche Worte halten soll. Dasselbe gilt natürlich wie für die langen und die breiten Schädel, auch für die hohen und die niedrigen Gesichter; überall handelt es sich um Verhältnisse, die gradweise in- einander übergehen. Nun ist es aber das Wesen des Lebens, plastisch beweglich zu sein; das lebendige Gestaltungsprinzip unterscheidet sich von Grund aus von dem krystallinischen dadurch, dass es nicht nach unabänderlichen Zahlenverhältnissen formt, sondern dass es, unter Be- obachtung des Gleichgewichts der Teile und Festhalten desjenigen Grundschemas, welches durch das Wesen selbst gegeben ist, gewisser- massen frei gestaltet. Nicht zwei Individuen sind sich gleich. Um die physische Struktur einer Rasse in irgend einem gegebenen Momente zu überblicken, müsste ich folglich die gesamten Vertreter dieser Rasse vor Augen haben und nun in diesem Komplex die einheitliche und vereinigende Idee, die vorwaltende spezifische Tendenz der physischen Gestaltung, welche dieser Rasse als Rasse eigen ist, heraus- suchen; ich würde sie ja mit Augen erschauen. Hätte ich nun, sagen wir zur Zeit des Tacitus, sämtliche Germanen vor Augen gehabt: die noch unvermischten Kelten, die Teutonen und die Germanoslaven, so hätte ich gewiss ein harmonisches Ganzes erblickt, in welchem ein bestimmtes Bildungsgesetz vorwaltete, um das sich die mannigfachsten, abweichendsten Gestaltungen herumgruppierten. Vermutlich hätte sich kein einziges Individuum gefunden, welches alle spezifischen Charaktere dieses plastischen Rassengedankens (denn so wäre es meinem sinnenden Hirn erschienen) in höchster Potenz, in vollendetem Gleichgewicht in sich vereinigt hätte: die grossen strahlenden Himmelsaugen, das goldene Haar, die Riesengestalt, das Ebenmass der Muskulatur, der längliche Schädel (den ein ewig schlagendes, von Sehnsucht gequältes Gehirn aus der Kreislinie des tierischen Wohlbehagens nach vorn hinaus- hämmert), das hohe Antlitz (von einem gesteigerten Seelenleben zum Sitze seines Ausdrucks gefordert) — gewiss, kein Einzelner hätte das alles vereint besessen. War der eine Zug vollendet, so war der andere nur angedeutet. Hier und dort hatte auch die ewig versuchende, nie sich wiederholende Natur das Gleichgewichtsgesetz durchrissen: ein übermässiger Riese schwang seine Keule über blöden Augen, unter einem allzulang gezogenen Schädel sass ein unverhältnismässig kurzes Gesicht, herrliche Augen strahlten unter einer hohen Stirn hervor, doch getragen von einem auffallend kleinen Körper u. s. w. ad infinitum. In anderen Gruppen wiederum werden geheime Gesetze der Wachstums- korrelation zur Erscheinung gekommen sein: z. B. hier Familien mit

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 496. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/519>, abgerufen am 24.11.2024.