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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.

Dieser Mann kann, was er will, und sein ganzes Wollen strebt hinaus
zu grossen Thaten: in diesem Kopf wird nicht studiert, um gelehrt
zu sein, sondern um Wahrheit zu erforschen, Wahrheit fürs Leben;
er singt nicht um des Ohrenschmauses willen, sondern weil Gesang
das Herz erhebt und kräftigt; er hätte es nicht wie Dante vermocht,
stolz und verkannt abseits zu leben, seinen Ruhm künftigen Ge-
schlechtern anvertrauend, -- was gilt diesem Antlitz Ruhm? "Die
Liebe ist der Pulsschlag unseres Lebens", sagte er. Und wo kräftige
Liebe, da ist auch kräftiger Hass. Von einem derartigen Antlitz
zu sagen, wie Henke, es repräsentiere den norddeutsch-slavischen
Typus,1) ist durchaus irrig. Eine so gewaltige Erscheinung ragt über
derartige Spezifikationen weit hinaus; sie zeigt uns die äussere Ein-
kleidung einer der erstaunlich reichsten Entwickelungsmöglichkeiten
des germanischen Geistes in ihrer höchsten Fülle. Wie Dante's, so
gehört auch Luther's Antlitz dem gesamten Germanentum an. Man
findet diesen Typus in England, wohin nie ein Slave drang, man be-
gegnet ihm unter den thatkräftigsten Politikern Frankreichs. Lebhaft
stellt man sich diesen Mann 1500 Jahre früher vor, hoch zu Ross,
die Streitaxt schwingend zum Schutze seiner geliebten nordischen
Heimat, und dann wieder am trauten Herde inmitten der Kinder
Schar, oder an der Männertafel, das Methorn bis auf den letzten
Tropfen leerend und Heldenlieder den Ahnen zum Ruhme singend. --
Zwischen Dante und Luther bewegt sich die reiche physiognomische
Skala grosser Germanen. Wie Tacitus sagte: sie gleichen nur sich.
Jeder Versuch aber einer Lokalisierung der Typen, etwa nach Nord
und Süd oder nach keltischem Westen und slavischem Osten, ist
offenbar verfehlt, verfehlt wenigstens, sobald man die bedeutenderen
und darum charakteristischeren Männer ins Auge fasst und von den
Zufälligkeiten der Tracht, namentlich der Barttracht, absieht. Goethe
z. B. könnte der Gesichtsbildung nach jedem germanischen Stamme
entsprossen sein, Johann Sebastian Bach auch, Immanuel Kant ebenfalls.

Freiheit
und Treue.

Und nun wollen wir versuchen, einen Blick in die Tiefen der
Seele zu werfen. Welche sind die spezifischen geistigen und moralischen
Kennzeichen dieser germanischen Rasse? Gewisse Anthropologen hatten
uns belehren wollen, alle Menschenrassen seien gleichbegabt: wir wiesen
auf das Buch der Geschichte hin und antworteten, das lügt ihr! Die
Rassen der Menschheit sind in der Art ihrer Befähigung, sowie in

1) A. a. O., S. 20.
Die Erben.

Dieser Mann kann, was er will, und sein ganzes Wollen strebt hinaus
zu grossen Thaten: in diesem Kopf wird nicht studiert, um gelehrt
zu sein, sondern um Wahrheit zu erforschen, Wahrheit fürs Leben;
er singt nicht um des Ohrenschmauses willen, sondern weil Gesang
das Herz erhebt und kräftigt; er hätte es nicht wie Dante vermocht,
stolz und verkannt abseits zu leben, seinen Ruhm künftigen Ge-
schlechtern anvertrauend, — was gilt diesem Antlitz Ruhm? »Die
Liebe ist der Pulsschlag unseres Lebens«, sagte er. Und wo kräftige
Liebe, da ist auch kräftiger Hass. Von einem derartigen Antlitz
zu sagen, wie Henke, es repräsentiere den norddeutsch-slavischen
Typus,1) ist durchaus irrig. Eine so gewaltige Erscheinung ragt über
derartige Spezifikationen weit hinaus; sie zeigt uns die äussere Ein-
kleidung einer der erstaunlich reichsten Entwickelungsmöglichkeiten
des germanischen Geistes in ihrer höchsten Fülle. Wie Dante’s, so
gehört auch Luther’s Antlitz dem gesamten Germanentum an. Man
findet diesen Typus in England, wohin nie ein Slave drang, man be-
gegnet ihm unter den thatkräftigsten Politikern Frankreichs. Lebhaft
stellt man sich diesen Mann 1500 Jahre früher vor, hoch zu Ross,
die Streitaxt schwingend zum Schutze seiner geliebten nordischen
Heimat, und dann wieder am trauten Herde inmitten der Kinder
Schar, oder an der Männertafel, das Methorn bis auf den letzten
Tropfen leerend und Heldenlieder den Ahnen zum Ruhme singend. —
Zwischen Dante und Luther bewegt sich die reiche physiognomische
Skala grosser Germanen. Wie Tacitus sagte: sie gleichen nur sich.
Jeder Versuch aber einer Lokalisierung der Typen, etwa nach Nord
und Süd oder nach keltischem Westen und slavischem Osten, ist
offenbar verfehlt, verfehlt wenigstens, sobald man die bedeutenderen
und darum charakteristischeren Männer ins Auge fasst und von den
Zufälligkeiten der Tracht, namentlich der Barttracht, absieht. Goethe
z. B. könnte der Gesichtsbildung nach jedem germanischen Stamme
entsprossen sein, Johann Sebastian Bach auch, Immanuel Kant ebenfalls.

Freiheit
und Treue.

Und nun wollen wir versuchen, einen Blick in die Tiefen der
Seele zu werfen. Welche sind die spezifischen geistigen und moralischen
Kennzeichen dieser germanischen Rasse? Gewisse Anthropologen hatten
uns belehren wollen, alle Menschenrassen seien gleichbegabt: wir wiesen
auf das Buch der Geschichte hin und antworteten, das lügt ihr! Die
Rassen der Menschheit sind in der Art ihrer Befähigung, sowie in

1) A. a. O., S. 20.
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[502/0525] Die Erben. Dieser Mann kann, was er will, und sein ganzes Wollen strebt hinaus zu grossen Thaten: in diesem Kopf wird nicht studiert, um gelehrt zu sein, sondern um Wahrheit zu erforschen, Wahrheit fürs Leben; er singt nicht um des Ohrenschmauses willen, sondern weil Gesang das Herz erhebt und kräftigt; er hätte es nicht wie Dante vermocht, stolz und verkannt abseits zu leben, seinen Ruhm künftigen Ge- schlechtern anvertrauend, — was gilt diesem Antlitz Ruhm? »Die Liebe ist der Pulsschlag unseres Lebens«, sagte er. Und wo kräftige Liebe, da ist auch kräftiger Hass. Von einem derartigen Antlitz zu sagen, wie Henke, es repräsentiere den norddeutsch-slavischen Typus, 1) ist durchaus irrig. Eine so gewaltige Erscheinung ragt über derartige Spezifikationen weit hinaus; sie zeigt uns die äussere Ein- kleidung einer der erstaunlich reichsten Entwickelungsmöglichkeiten des germanischen Geistes in ihrer höchsten Fülle. Wie Dante’s, so gehört auch Luther’s Antlitz dem gesamten Germanentum an. Man findet diesen Typus in England, wohin nie ein Slave drang, man be- gegnet ihm unter den thatkräftigsten Politikern Frankreichs. Lebhaft stellt man sich diesen Mann 1500 Jahre früher vor, hoch zu Ross, die Streitaxt schwingend zum Schutze seiner geliebten nordischen Heimat, und dann wieder am trauten Herde inmitten der Kinder Schar, oder an der Männertafel, das Methorn bis auf den letzten Tropfen leerend und Heldenlieder den Ahnen zum Ruhme singend. — Zwischen Dante und Luther bewegt sich die reiche physiognomische Skala grosser Germanen. Wie Tacitus sagte: sie gleichen nur sich. Jeder Versuch aber einer Lokalisierung der Typen, etwa nach Nord und Süd oder nach keltischem Westen und slavischem Osten, ist offenbar verfehlt, verfehlt wenigstens, sobald man die bedeutenderen und darum charakteristischeren Männer ins Auge fasst und von den Zufälligkeiten der Tracht, namentlich der Barttracht, absieht. Goethe z. B. könnte der Gesichtsbildung nach jedem germanischen Stamme entsprossen sein, Johann Sebastian Bach auch, Immanuel Kant ebenfalls. Und nun wollen wir versuchen, einen Blick in die Tiefen der Seele zu werfen. Welche sind die spezifischen geistigen und moralischen Kennzeichen dieser germanischen Rasse? Gewisse Anthropologen hatten uns belehren wollen, alle Menschenrassen seien gleichbegabt: wir wiesen auf das Buch der Geschichte hin und antworteten, das lügt ihr! Die Rassen der Menschheit sind in der Art ihrer Befähigung, sowie in 1) A. a. O., S. 20.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/525>, abgerufen am 24.11.2024.