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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
hunderts die Idee reiner Wissenschaft durch Roger Bacon zu Tage --
Naturbeobachtung, wissenschaftlich zu betreibende Philologie, Mathe-
matik! Doch seine Werke werden von Rom verdammt und zerstört,
er selber im besten Mannesalter in ein Kloster interniert, jede ernste
Erforschung der Natur jahrhundertelang hintangehalten und dann
Schritt für Schritt bekämpft. Dass solche Leuchten der Wissenschaft
wie Copernicus und Galilei gute Katholiken waren, solche Vorboten
neuer kosmologisch-philosophischer Vorstellungen wie Krebs (Nicolaus
von Cusa), Bruno, Campanella und Gassendi gar Kardinäle, Mönche
und Priester, beweist nur, dass es sich bei allen diesen Erscheinungen
nicht um religiöse Glaubensdifferenzen handelt, sondern um den Kampf
zwischen zwei Weltanschauungen, oder noch besser zwischen zwei
menschlichen Naturen, der germanischen und der antigermanischen,
was auch seinen deutlichen Ausdruck darin fand, dass die meisten
dieser Männer verfolgt oder zum mindesten ihre Schriften verboten
wurden.1) Kardinal Nicolaus Cusanus, der Vertraute der Päpste, der
das Glück hatte, vor der durch das tridentinische Konzil eingeleiteten
retrograden Bewegung zu leben, bewährte sein echt germanisches
Wesen dadurch, dass er als erster die Fälschung der Isidor'schen
Dekretalien, der angeblichen Konstantin'schen Schenkung u. s. w.
nachwies, und dass er als thätiger Reformator der Kirche zwar erfolglos
doch unermüdet das erstrebte, was später auf anderem Wege erzwungen

Lektüre der heiligen Schrift gewarnt, dass ich 20 Jahre in katholischen Ländern
gelebt habe, ohne einen einzigen katholischen Laien anzutreffen, der jemals die
vollständige Bibel auch nur in der Hand gehalten hätte; sonst findet der Index
librorum prohibitorum
wenig oder keine Geltung im praktischen Leben, als einziges
wirklich gefährliches Buch für Rom wird eben mit unfehlbarem Blick jenes eine
Buch betrachtet, aus welchem die schlichte Gestalt Christi uns entgegentritt. Vor dem
tridentinischen Konzil, d. h. also zu der Zeit, wo der spätere "Protestant" noch
nicht sichtbar vom späteren "Katholiken" sich losgetrennt hatte, stand es freilich in
Deutschland anders; durch jenen Vorläufer der Reformation, die "deutsche Kunst"
der Buchdruckerei, war in kurzer Zeit (und trotz des damals schon bestehenden
ausdrücklichen kirchlichen Verbots) "die Bibel nach recht gemeinem Deutsch" das
verbreitetste Buch im ganzen Land geworden. (Janssen: Geschichte des deutschen
Volkes,
I, 20.) Diesem Zustand machte aber das Tridentiner Konzil in seiner vierten
Sitzung durch das Decretum de editione et usu sacrorum librorum ein für allemal ein Ende.
1) Höchst bemerkenswert ist es, dass solche bahnbrechende, freisinnige
Philosophen wie Bruno und Campanella aus dem äussersten Süden Italiens
stammen, wo selbst noch heute, nach den anthropologischen Feststellungen, der
indogermanische, ausgesprochene Dolichocephal-Typus auf der Halbinsel verhältnis-
mässig am stärksten vertreten ist (siehe Ranke: Der Mensch, II, 299).

Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
hunderts die Idee reiner Wissenschaft durch Roger Bacon zu Tage —
Naturbeobachtung, wissenschaftlich zu betreibende Philologie, Mathe-
matik! Doch seine Werke werden von Rom verdammt und zerstört,
er selber im besten Mannesalter in ein Kloster interniert, jede ernste
Erforschung der Natur jahrhundertelang hintangehalten und dann
Schritt für Schritt bekämpft. Dass solche Leuchten der Wissenschaft
wie Copernicus und Galilei gute Katholiken waren, solche Vorboten
neuer kosmologisch-philosophischer Vorstellungen wie Krebs (Nicolaus
von Cusa), Bruno, Campanella und Gassendi gar Kardinäle, Mönche
und Priester, beweist nur, dass es sich bei allen diesen Erscheinungen
nicht um religiöse Glaubensdifferenzen handelt, sondern um den Kampf
zwischen zwei Weltanschauungen, oder noch besser zwischen zwei
menschlichen Naturen, der germanischen und der antigermanischen,
was auch seinen deutlichen Ausdruck darin fand, dass die meisten
dieser Männer verfolgt oder zum mindesten ihre Schriften verboten
wurden.1) Kardinal Nicolaus Cusanus, der Vertraute der Päpste, der
das Glück hatte, vor der durch das tridentinische Konzil eingeleiteten
retrograden Bewegung zu leben, bewährte sein echt germanisches
Wesen dadurch, dass er als erster die Fälschung der Isidor’schen
Dekretalien, der angeblichen Konstantin’schen Schenkung u. s. w.
nachwies, und dass er als thätiger Reformator der Kirche zwar erfolglos
doch unermüdet das erstrebte, was später auf anderem Wege erzwungen

Lektüre der heiligen Schrift gewarnt, dass ich 20 Jahre in katholischen Ländern
gelebt habe, ohne einen einzigen katholischen Laien anzutreffen, der jemals die
vollständige Bibel auch nur in der Hand gehalten hätte; sonst findet der Index
librorum prohibitorum
wenig oder keine Geltung im praktischen Leben, als einziges
wirklich gefährliches Buch für Rom wird eben mit unfehlbarem Blick jenes eine
Buch betrachtet, aus welchem die schlichte Gestalt Christi uns entgegentritt. Vor dem
tridentinischen Konzil, d. h. also zu der Zeit, wo der spätere »Protestant« noch
nicht sichtbar vom späteren »Katholiken« sich losgetrennt hatte, stand es freilich in
Deutschland anders; durch jenen Vorläufer der Reformation, die »deutsche Kunst«
der Buchdruckerei, war in kurzer Zeit (und trotz des damals schon bestehenden
ausdrücklichen kirchlichen Verbots) »die Bibel nach recht gemeinem Deutsch« das
verbreitetste Buch im ganzen Land geworden. (Janssen: Geschichte des deutschen
Volkes,
I, 20.) Diesem Zustand machte aber das Tridentiner Konzil in seiner vierten
Sitzung durch das Decretum de editione et usu sacrorum librorum ein für allemal ein Ende.
1) Höchst bemerkenswert ist es, dass solche bahnbrechende, freisinnige
Philosophen wie Bruno und Campanella aus dem äussersten Süden Italiens
stammen, wo selbst noch heute, nach den anthropologischen Feststellungen, der
indogermanische, ausgesprochene Dolichocephal-Typus auf der Halbinsel verhältnis-
mässig am stärksten vertreten ist (siehe Ranke: Der Mensch, II, 299).
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[519/0542] Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. hunderts die Idee reiner Wissenschaft durch Roger Bacon zu Tage — Naturbeobachtung, wissenschaftlich zu betreibende Philologie, Mathe- matik! Doch seine Werke werden von Rom verdammt und zerstört, er selber im besten Mannesalter in ein Kloster interniert, jede ernste Erforschung der Natur jahrhundertelang hintangehalten und dann Schritt für Schritt bekämpft. Dass solche Leuchten der Wissenschaft wie Copernicus und Galilei gute Katholiken waren, solche Vorboten neuer kosmologisch-philosophischer Vorstellungen wie Krebs (Nicolaus von Cusa), Bruno, Campanella und Gassendi gar Kardinäle, Mönche und Priester, beweist nur, dass es sich bei allen diesen Erscheinungen nicht um religiöse Glaubensdifferenzen handelt, sondern um den Kampf zwischen zwei Weltanschauungen, oder noch besser zwischen zwei menschlichen Naturen, der germanischen und der antigermanischen, was auch seinen deutlichen Ausdruck darin fand, dass die meisten dieser Männer verfolgt oder zum mindesten ihre Schriften verboten wurden. 1) Kardinal Nicolaus Cusanus, der Vertraute der Päpste, der das Glück hatte, vor der durch das tridentinische Konzil eingeleiteten retrograden Bewegung zu leben, bewährte sein echt germanisches Wesen dadurch, dass er als erster die Fälschung der Isidor’schen Dekretalien, der angeblichen Konstantin’schen Schenkung u. s. w. nachwies, und dass er als thätiger Reformator der Kirche zwar erfolglos doch unermüdet das erstrebte, was später auf anderem Wege erzwungen 4) 1) Höchst bemerkenswert ist es, dass solche bahnbrechende, freisinnige Philosophen wie Bruno und Campanella aus dem äussersten Süden Italiens stammen, wo selbst noch heute, nach den anthropologischen Feststellungen, der indogermanische, ausgesprochene Dolichocephal-Typus auf der Halbinsel verhältnis- mässig am stärksten vertreten ist (siehe Ranke: Der Mensch, II, 299). 4) Lektüre der heiligen Schrift gewarnt, dass ich 20 Jahre in katholischen Ländern gelebt habe, ohne einen einzigen katholischen Laien anzutreffen, der jemals die vollständige Bibel auch nur in der Hand gehalten hätte; sonst findet der Index librorum prohibitorum wenig oder keine Geltung im praktischen Leben, als einziges wirklich gefährliches Buch für Rom wird eben mit unfehlbarem Blick jenes eine Buch betrachtet, aus welchem die schlichte Gestalt Christi uns entgegentritt. Vor dem tridentinischen Konzil, d. h. also zu der Zeit, wo der spätere »Protestant« noch nicht sichtbar vom späteren »Katholiken« sich losgetrennt hatte, stand es freilich in Deutschland anders; durch jenen Vorläufer der Reformation, die »deutsche Kunst« der Buchdruckerei, war in kurzer Zeit (und trotz des damals schon bestehenden ausdrücklichen kirchlichen Verbots) »die Bibel nach recht gemeinem Deutsch« das verbreitetste Buch im ganzen Land geworden. (Janssen: Geschichte des deutschen Volkes, I, 20.) Diesem Zustand machte aber das Tridentiner Konzil in seiner vierten Sitzung durch das Decretum de editione et usu sacrorum librorum ein für allemal ein Ende.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/542>, abgerufen am 24.11.2024.