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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.

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Die Erben.
werden musste. Der Mann, welcher Fälschungen aufdeckt, kann
unmöglich mit denen, welche die Fälschungen begehen, moralisch
identisch sein. Und so dürfen wir denn ebensowenig nach Konfessionen
wie nach Nationen trennen, um das echt Germanische vom Anti-
germanischen zu scheiden. Nicht allein, dass man vor dem Tridentiner
Konzil zwischen römischen Christen und anderen füglich nicht unter-
scheiden kann, da ja manche grosse Kirchenlehrer, wie Origenes, und
viele "katholische" Doktoren in Anschauungen und Lehren, die von
da an als häretisch galten, bedeutend weiter gegangen waren als ein
Luther oder gar ein Hus, sondern auch später, und bis auf den
heutigen Tag, sehen wir hervorragend germanische Geister, aus tiefer
Überzeugung, aus treuer Anhänglichkeit an die gewaltige Idee einer
universellen Kirche, im Gehorsam gegen Rom verbleiben und denn-
noch sich als echteste Germanen bewähren; während andrerseits jener
Mann, in welchem die Empörung gegen die antigermanischen Mächte
ihren gewaltigsten Ausdruck fand, Martin Luther, sich trotzdem auf
Augustinus beruft, um die Fürsten zur Unduldsamkeit anzuhalten, und
Calvin den grossen Arzt, Michel Servet, wegen seiner dogmatischen An-
sichten verbrennt und dafür die Billigung des humanen Melanchthon
erhält. Wir dürfen also nicht einmal einzelne Menschen ohne weiteres
als Muster des Germanen hinstellen; sondern sobald sie dem nicht-
germanischen Einfluss in Erziehung, Umgebung u. s. w. unterworfen
gewesen sind -- und wer war das nicht während mindestens einem
Jahrtausend? -- müssen wir sorgfältig unterscheiden lernen, zwischen
dem, was aus der echten, reinen, eigenen Natur, sei es im Guten
oder im Bösen, als lebendiger Bestandteil der Persönlichkeit hervor-
wächst und dem, was dieser Persönlichkeit nur gewaltsam aufgepfropft
oder gewaltsam amputiert wurde.

In einem gewissen Sinne kann man, wie man sieht, die geistige
und moralische Geschichte Europas von dem Augenblick des Eintrittes
der Germanen an bis auf den heutigen Tag, als einen Kampf zwischen
Germanen und Nicht-Germanen, zwischen germanischer Gesinnung und
antigermanischer Sinnesart betrachten, einen Kampf, der teils äusserlich,
Weltanschauung gegen Weltanschauung, teils innerlich, im Busen des
Germanen selbst, ausgefochten wird. Doch hiermit deute ich bereits
auf den folgenden Abschnitt hin. Das in diesem Gesagte will ich
zum Schluss zusammenfassen, indem ich auf den vollendetsten Typus
des Antigermanen hinweise; es ist dies, glaube ich, die wertvollste
Ergänzung zum positiven Bilde.

Die Erben.
werden musste. Der Mann, welcher Fälschungen aufdeckt, kann
unmöglich mit denen, welche die Fälschungen begehen, moralisch
identisch sein. Und so dürfen wir denn ebensowenig nach Konfessionen
wie nach Nationen trennen, um das echt Germanische vom Anti-
germanischen zu scheiden. Nicht allein, dass man vor dem Tridentiner
Konzil zwischen römischen Christen und anderen füglich nicht unter-
scheiden kann, da ja manche grosse Kirchenlehrer, wie Origenes, und
viele »katholische« Doktoren in Anschauungen und Lehren, die von
da an als häretisch galten, bedeutend weiter gegangen waren als ein
Luther oder gar ein Hus, sondern auch später, und bis auf den
heutigen Tag, sehen wir hervorragend germanische Geister, aus tiefer
Überzeugung, aus treuer Anhänglichkeit an die gewaltige Idee einer
universellen Kirche, im Gehorsam gegen Rom verbleiben und denn-
noch sich als echteste Germanen bewähren; während andrerseits jener
Mann, in welchem die Empörung gegen die antigermanischen Mächte
ihren gewaltigsten Ausdruck fand, Martin Luther, sich trotzdem auf
Augustinus beruft, um die Fürsten zur Unduldsamkeit anzuhalten, und
Calvin den grossen Arzt, Michel Servet, wegen seiner dogmatischen An-
sichten verbrennt und dafür die Billigung des humanen Melanchthon
erhält. Wir dürfen also nicht einmal einzelne Menschen ohne weiteres
als Muster des Germanen hinstellen; sondern sobald sie dem nicht-
germanischen Einfluss in Erziehung, Umgebung u. s. w. unterworfen
gewesen sind — und wer war das nicht während mindestens einem
Jahrtausend? — müssen wir sorgfältig unterscheiden lernen, zwischen
dem, was aus der echten, reinen, eigenen Natur, sei es im Guten
oder im Bösen, als lebendiger Bestandteil der Persönlichkeit hervor-
wächst und dem, was dieser Persönlichkeit nur gewaltsam aufgepfropft
oder gewaltsam amputiert wurde.

In einem gewissen Sinne kann man, wie man sieht, die geistige
und moralische Geschichte Europas von dem Augenblick des Eintrittes
der Germanen an bis auf den heutigen Tag, als einen Kampf zwischen
Germanen und Nicht-Germanen, zwischen germanischer Gesinnung und
antigermanischer Sinnesart betrachten, einen Kampf, der teils äusserlich,
Weltanschauung gegen Weltanschauung, teils innerlich, im Busen des
Germanen selbst, ausgefochten wird. Doch hiermit deute ich bereits
auf den folgenden Abschnitt hin. Das in diesem Gesagte will ich
zum Schluss zusammenfassen, indem ich auf den vollendetsten Typus
des Antigermanen hinweise; es ist dies, glaube ich, die wertvollste
Ergänzung zum positiven Bilde.

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[520/0543] Die Erben. werden musste. Der Mann, welcher Fälschungen aufdeckt, kann unmöglich mit denen, welche die Fälschungen begehen, moralisch identisch sein. Und so dürfen wir denn ebensowenig nach Konfessionen wie nach Nationen trennen, um das echt Germanische vom Anti- germanischen zu scheiden. Nicht allein, dass man vor dem Tridentiner Konzil zwischen römischen Christen und anderen füglich nicht unter- scheiden kann, da ja manche grosse Kirchenlehrer, wie Origenes, und viele »katholische« Doktoren in Anschauungen und Lehren, die von da an als häretisch galten, bedeutend weiter gegangen waren als ein Luther oder gar ein Hus, sondern auch später, und bis auf den heutigen Tag, sehen wir hervorragend germanische Geister, aus tiefer Überzeugung, aus treuer Anhänglichkeit an die gewaltige Idee einer universellen Kirche, im Gehorsam gegen Rom verbleiben und denn- noch sich als echteste Germanen bewähren; während andrerseits jener Mann, in welchem die Empörung gegen die antigermanischen Mächte ihren gewaltigsten Ausdruck fand, Martin Luther, sich trotzdem auf Augustinus beruft, um die Fürsten zur Unduldsamkeit anzuhalten, und Calvin den grossen Arzt, Michel Servet, wegen seiner dogmatischen An- sichten verbrennt und dafür die Billigung des humanen Melanchthon erhält. Wir dürfen also nicht einmal einzelne Menschen ohne weiteres als Muster des Germanen hinstellen; sondern sobald sie dem nicht- germanischen Einfluss in Erziehung, Umgebung u. s. w. unterworfen gewesen sind — und wer war das nicht während mindestens einem Jahrtausend? — müssen wir sorgfältig unterscheiden lernen, zwischen dem, was aus der echten, reinen, eigenen Natur, sei es im Guten oder im Bösen, als lebendiger Bestandteil der Persönlichkeit hervor- wächst und dem, was dieser Persönlichkeit nur gewaltsam aufgepfropft oder gewaltsam amputiert wurde. In einem gewissen Sinne kann man, wie man sieht, die geistige und moralische Geschichte Europas von dem Augenblick des Eintrittes der Germanen an bis auf den heutigen Tag, als einen Kampf zwischen Germanen und Nicht-Germanen, zwischen germanischer Gesinnung und antigermanischer Sinnesart betrachten, einen Kampf, der teils äusserlich, Weltanschauung gegen Weltanschauung, teils innerlich, im Busen des Germanen selbst, ausgefochten wird. Doch hiermit deute ich bereits auf den folgenden Abschnitt hin. Das in diesem Gesagte will ich zum Schluss zusammenfassen, indem ich auf den vollendetsten Typus des Antigermanen hinweise; es ist dies, glaube ich, die wertvollste Ergänzung zum positiven Bilde.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen01_1899/543>, abgerufen am 27.11.2024.