Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 1. München 1899.Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. und anderes dergleichen -- gemahnen an semitische Religionen; dochthäte man letzteren sehr Unrecht, wollte man sie mit dem kaum übertünchten Fetischismus des Loyola identifizieren. Das Grundprinzip der Religion des Ignatius ist die Bekämpfung jeglicher Symbolik. Man hat ihn einen Mystiker genannt und mystische Einflüsse auf sein Denken nachzuweisen gesucht, doch ist dieser Kopf gänzlich unfähig, den Begriff der Mystik im indoeuropäischen Sinne auch nur zu fasssen; denn alle Mystik, von Yajnnavalkya bis Jakob Böhme, bedeutet den Versuch, die Schlacken der Empirie abzuwerfen, um unmittelbar in einer transcendenten, empirisch unvorstellbaren Urwahrheit aufzugehen,1) während Loyola's ganzes Bestreben im genauen Gegensatz zum Mysti- cismus darauf hinausgeht, alle Mysterien der Religion als konkrete, sinn- liche Thatsachen hinzustellen: wir sollen sie sehen, hören, schmecken, riechen, betasten! Seine Exercitia bedeuten nicht eine Anleitung zu mystischer Betrachtung, sondern vielmehr die systematische Aus- bildung der in uns allen vorhandenen hysterischen Anlagen. Das rein sinnliche Element der Phantasie wird auf Kosten der Vernunft, auf Kosten der Urteilskraft grossgezogen und bis zur äussersten Leistungs- fähigkeit getrieben; auf diese Weise siegt die animalische Natur über die intellektuelle, und nunmehr ist der Wille -- nicht gebrochen, wie man allgemein behauptet, wohl aber in Ketten geschlagen. Im normalen Menschen bildet die Erkenntnis das Gegengewicht zum Willen; Loyola's Angriff richtet sich darum zunächst auf die Er- kenntnis als auf die Quelle der Freiheit und des Schaffensdranges; in einer seiner letzten Kundgebungen spricht er es knapp aus: er be- zeichnet "den Verzicht auf den eigenen Willen und die Verleugnung des eigenen Urteils" als "die Quelle der Tugenden."2) Auch in den Exercitien heisst die erste Regel der Orthodoxie: "die Vernichtung jedes eigenen Urteils" (siehe die Regulae ad sentiendum vere cum ecclesia, reg. 1). Hierdurch wird nun der Wille nicht gebrochen, im Gegenteil, nur von dem Gehorsam gegen seinen natürlichen Herrn, das Individuum, losgebunden; was ihn aber jetzt meistert, ist die Zuchtrute der Exercitia. Durch diese wird, genau so wie bei den Fakiren, nur in weit überlegterer und darum erfolgreicherer Weise, ein pathologischer Zustand der gesamten Individualität erzeugt (und durch jährliche und bei widerstandsfähigen Personen noch häufigere 1) Siehe Kap. 9, Abschnitt "Weltanschauung". 2) Siehe das letzte Schreiben an die Portugiesen, analysiert und citiert bei
Gothein: a. a. O., S. 450. Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte. und anderes dergleichen — gemahnen an semitische Religionen; dochthäte man letzteren sehr Unrecht, wollte man sie mit dem kaum übertünchten Fetischismus des Loyola identifizieren. Das Grundprinzip der Religion des Ignatius ist die Bekämpfung jeglicher Symbolik. Man hat ihn einen Mystiker genannt und mystische Einflüsse auf sein Denken nachzuweisen gesucht, doch ist dieser Kopf gänzlich unfähig, den Begriff der Mystik im indoeuropäischen Sinne auch nur zu fasssen; denn alle Mystik, von Yâjñavalkya bis Jakob Böhme, bedeutet den Versuch, die Schlacken der Empirie abzuwerfen, um unmittelbar in einer transcendenten, empirisch unvorstellbaren Urwahrheit aufzugehen,1) während Loyola’s ganzes Bestreben im genauen Gegensatz zum Mysti- cismus darauf hinausgeht, alle Mysterien der Religion als konkrete, sinn- liche Thatsachen hinzustellen: wir sollen sie sehen, hören, schmecken, riechen, betasten! Seine Exercitia bedeuten nicht eine Anleitung zu mystischer Betrachtung, sondern vielmehr die systematische Aus- bildung der in uns allen vorhandenen hysterischen Anlagen. Das rein sinnliche Element der Phantasie wird auf Kosten der Vernunft, auf Kosten der Urteilskraft grossgezogen und bis zur äussersten Leistungs- fähigkeit getrieben; auf diese Weise siegt die animalische Natur über die intellektuelle, und nunmehr ist der Wille — nicht gebrochen, wie man allgemein behauptet, wohl aber in Ketten geschlagen. Im normalen Menschen bildet die Erkenntnis das Gegengewicht zum Willen; Loyola’s Angriff richtet sich darum zunächst auf die Er- kenntnis als auf die Quelle der Freiheit und des Schaffensdranges; in einer seiner letzten Kundgebungen spricht er es knapp aus: er be- zeichnet »den Verzicht auf den eigenen Willen und die Verleugnung des eigenen Urteils« als »die Quelle der Tugenden.«2) Auch in den Exercitien heisst die erste Regel der Orthodoxie: »die Vernichtung jedes eigenen Urteils« (siehe die Regulae ad sentiendum vere cum ecclesia, reg. 1). Hierdurch wird nun der Wille nicht gebrochen, im Gegenteil, nur von dem Gehorsam gegen seinen natürlichen Herrn, das Individuum, losgebunden; was ihn aber jetzt meistert, ist die Zuchtrute der Exercitia. Durch diese wird, genau so wie bei den Fakiren, nur in weit überlegterer und darum erfolgreicherer Weise, ein pathologischer Zustand der gesamten Individualität erzeugt (und durch jährliche und bei widerstandsfähigen Personen noch häufigere 1) Siehe Kap. 9, Abschnitt »Weltanschauung«. 2) Siehe das letzte Schreiben an die Portugiesen, analysiert und citiert bei
Gothein: a. a. O., S. 450. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0546" n="523"/><fw place="top" type="header">Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.</fw><lb/> und anderes dergleichen — gemahnen an semitische Religionen; doch<lb/> thäte man letzteren sehr Unrecht, wollte man sie mit dem kaum<lb/> übertünchten Fetischismus des Loyola identifizieren. Das Grundprinzip<lb/> der Religion des Ignatius ist die Bekämpfung jeglicher Symbolik. Man<lb/> hat ihn einen Mystiker genannt und mystische Einflüsse auf sein<lb/> Denken nachzuweisen gesucht, doch ist dieser Kopf gänzlich unfähig,<lb/> den Begriff der Mystik im indoeuropäischen Sinne auch nur zu fasssen;<lb/> denn alle Mystik, von Yâjñavalkya bis Jakob Böhme, bedeutet den<lb/> Versuch, die Schlacken der Empirie abzuwerfen, um unmittelbar in<lb/> einer transcendenten, empirisch unvorstellbaren Urwahrheit aufzugehen,<note place="foot" n="1)">Siehe Kap. 9, Abschnitt »Weltanschauung«.</note><lb/> während Loyola’s ganzes Bestreben im genauen Gegensatz zum Mysti-<lb/> cismus darauf hinausgeht, alle Mysterien der Religion als konkrete, sinn-<lb/> liche Thatsachen hinzustellen: wir sollen sie sehen, hören, schmecken,<lb/> riechen, betasten! Seine <hi rendition="#i">Exercitia</hi> bedeuten nicht eine Anleitung<lb/> zu mystischer Betrachtung, sondern vielmehr die systematische Aus-<lb/> bildung der in uns allen vorhandenen hysterischen Anlagen. Das<lb/> rein sinnliche Element der Phantasie wird auf Kosten der Vernunft, auf<lb/> Kosten der Urteilskraft grossgezogen und bis zur äussersten Leistungs-<lb/> fähigkeit getrieben; auf diese Weise siegt die animalische Natur über<lb/> die intellektuelle, und nunmehr ist der Wille — nicht gebrochen,<lb/> wie man allgemein behauptet, wohl aber in Ketten geschlagen. Im<lb/> normalen Menschen bildet die Erkenntnis das Gegengewicht zum<lb/> Willen; Loyola’s Angriff richtet sich darum zunächst auf die Er-<lb/> kenntnis als auf die Quelle der Freiheit und des Schaffensdranges; in<lb/> einer seiner letzten Kundgebungen spricht er es knapp aus: er be-<lb/> zeichnet »den Verzicht auf den eigenen Willen und die Verleugnung<lb/> des eigenen Urteils« als »die Quelle der Tugenden.«<note place="foot" n="2)">Siehe das letzte Schreiben an die Portugiesen, analysiert und citiert bei<lb/> Gothein: a. a. O., S. 450.</note> Auch in den<lb/> Exercitien heisst die erste Regel der Orthodoxie: »<hi rendition="#g">die Vernichtung<lb/> jedes eigenen Urteils</hi>« (siehe die <hi rendition="#i">Regulae ad sentiendum vere<lb/> cum ecclesia</hi>, reg. 1). Hierdurch wird nun der Wille nicht gebrochen,<lb/> im Gegenteil, nur von dem Gehorsam gegen seinen natürlichen Herrn,<lb/> das Individuum, losgebunden; was ihn aber jetzt meistert, ist die<lb/> Zuchtrute der <hi rendition="#i">Exercitia.</hi> Durch diese wird, genau so wie bei den<lb/> Fakiren, nur in weit überlegterer und darum erfolgreicherer Weise,<lb/> ein pathologischer Zustand der gesamten Individualität erzeugt (und<lb/> durch jährliche und bei widerstandsfähigen Personen noch häufigere<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [523/0546]
Der Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte.
und anderes dergleichen — gemahnen an semitische Religionen; doch
thäte man letzteren sehr Unrecht, wollte man sie mit dem kaum
übertünchten Fetischismus des Loyola identifizieren. Das Grundprinzip
der Religion des Ignatius ist die Bekämpfung jeglicher Symbolik. Man
hat ihn einen Mystiker genannt und mystische Einflüsse auf sein
Denken nachzuweisen gesucht, doch ist dieser Kopf gänzlich unfähig,
den Begriff der Mystik im indoeuropäischen Sinne auch nur zu fasssen;
denn alle Mystik, von Yâjñavalkya bis Jakob Böhme, bedeutet den
Versuch, die Schlacken der Empirie abzuwerfen, um unmittelbar in
einer transcendenten, empirisch unvorstellbaren Urwahrheit aufzugehen, 1)
während Loyola’s ganzes Bestreben im genauen Gegensatz zum Mysti-
cismus darauf hinausgeht, alle Mysterien der Religion als konkrete, sinn-
liche Thatsachen hinzustellen: wir sollen sie sehen, hören, schmecken,
riechen, betasten! Seine Exercitia bedeuten nicht eine Anleitung
zu mystischer Betrachtung, sondern vielmehr die systematische Aus-
bildung der in uns allen vorhandenen hysterischen Anlagen. Das
rein sinnliche Element der Phantasie wird auf Kosten der Vernunft, auf
Kosten der Urteilskraft grossgezogen und bis zur äussersten Leistungs-
fähigkeit getrieben; auf diese Weise siegt die animalische Natur über
die intellektuelle, und nunmehr ist der Wille — nicht gebrochen,
wie man allgemein behauptet, wohl aber in Ketten geschlagen. Im
normalen Menschen bildet die Erkenntnis das Gegengewicht zum
Willen; Loyola’s Angriff richtet sich darum zunächst auf die Er-
kenntnis als auf die Quelle der Freiheit und des Schaffensdranges; in
einer seiner letzten Kundgebungen spricht er es knapp aus: er be-
zeichnet »den Verzicht auf den eigenen Willen und die Verleugnung
des eigenen Urteils« als »die Quelle der Tugenden.« 2) Auch in den
Exercitien heisst die erste Regel der Orthodoxie: »die Vernichtung
jedes eigenen Urteils« (siehe die Regulae ad sentiendum vere
cum ecclesia, reg. 1). Hierdurch wird nun der Wille nicht gebrochen,
im Gegenteil, nur von dem Gehorsam gegen seinen natürlichen Herrn,
das Individuum, losgebunden; was ihn aber jetzt meistert, ist die
Zuchtrute der Exercitia. Durch diese wird, genau so wie bei den
Fakiren, nur in weit überlegterer und darum erfolgreicherer Weise,
ein pathologischer Zustand der gesamten Individualität erzeugt (und
durch jährliche und bei widerstandsfähigen Personen noch häufigere
1) Siehe Kap. 9, Abschnitt »Weltanschauung«.
2) Siehe das letzte Schreiben an die Portugiesen, analysiert und citiert bei
Gothein: a. a. O., S. 450.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |