Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Der Kampf. erst die civitas Dei. Schon längst hatte Augustinus mit einer Gewaltder Logik, die man Dante und seinen Apologeten wünschen möchte, dargethan, die Macht des Staates beruhe auf der Macht der Sünde; nunmehr, da durch Christi Tod die Macht der Sünde gebrochen sei, habe der Staat sich der Kirche zu unterwerfen, mit anderen Worten, die Kirche stehe fortan an der Spitze des staatlichen Regimentes. Der Papst ist nach der orthodoxen Lehre der Vertreter Gottes, vicarius Dei in terris;1) wäre er bloss der "Vertreter Christi" oder der "Nach- folger Petri", so liesse sich allenfalls das Amt als ein ausschliesslich seelsorgerisches auffassen, denn Christus sprach: Mein Reich ist nicht von dieser Welt; doch wer sollte sich über den Vertreter der all- mächtigen Gottheit auf Erden irgend eine Autorität anmassen? wer dürfte leugnen, dass das Zeitliche Gott ebenso untersteht, wie das Ewige? wer es wagen, ihm in irgend einer Beziehung die Suprematie zu verweigern? Mag also immerhin Dante in theologischen Glaubens- dingen ein streng orthodoxer Katholik gewesen sein, der "an dem untrüglichen Lehramt der Kirche" nicht zweifelte2) -- auf solches 1) Concilium Tridentinum, decretum de reformatione, c. I. 2) Kraus: a. a. O., S. 703 fg. scheint seine These siegreich zu verfechten,
doch nicht zu ahnen, wie wenig solche formale Rechtgläubigkeit bedeutet und wie gefährlich sein eigener Standpunkt für die römische Kirche ist. Ich kann mich ausserdem nicht enthalten, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass Dante's be- rühmtes Glaubensbekenntnis am Schlusse des XXIV. Gesanges des Paradiso geradezu betrübend abstrakt ist. Kraus betrachtet als den endgültigen Beweis von Dante's Orthodoxie ein Credo, welches den Namen Jesu Christi gar nicht ausspricht! Mir fällt im Gegenteil auf, dass Dante sich lediglich an das allgemeine Mythologische hält. Und lasse ich nun eine Reihe anderer Aussprüche im Gedächtnis vorbei- ziehen, so erhalte ich den Eindruck, dass Dante überhaupt (wie manche andere Männer seiner Zeit) kaum ein Christ zu nennen ist. Der grosse kosmische Gott im Himmel und die römische Kirche auf Erden: alles intellektuell und politisch, oder sittlich und abstrakt. Man fühlt eine unendliche Sehnsucht nach Religion, doch die Religion selbst, jener Himmel, der nicht mit äusserlichen Geberden kommt, war dem edlen Geiste in der Wiege gestohlen worden. Dante's poetische Grösse liegt nicht zum wenigsten in dieser furchtbaren Tragik des 13. Jahrhunderts, des Jahrhunderts Innocenz III. und des Thomas von Aquin! Seine Hoffnung bescheidet sich mit der luce intellettual (Par. XXX), und sein wahrer Führer ist weder Beatrice noch der heilige Bernard, sondern der Verfasser der Summa theologiae, der das fast gänzlich entchristlichte Christentum und die Nacht einer -- jedem Wissen und jeder Schönheit feindlichen -- Zeit durch das reine Licht der Vernunft zu beleuchten und zu idealisieren suchte. Thomas von Aquin bedeutet die rationalistische Ergänzung einer materialistischen Religion; ihm warf sich Dante in die Arme. (Siehe das interessante, freilich eine ganz andere These verfechtende Buch eines englischen Katholiken, E. G. Gardner, Dante's Ten Heavens, 1898). Der Kampf. erst die civitas Dei. Schon längst hatte Augustinus mit einer Gewaltder Logik, die man Dante und seinen Apologeten wünschen möchte, dargethan, die Macht des Staates beruhe auf der Macht der Sünde; nunmehr, da durch Christi Tod die Macht der Sünde gebrochen sei, habe der Staat sich der Kirche zu unterwerfen, mit anderen Worten, die Kirche stehe fortan an der Spitze des staatlichen Regimentes. Der Papst ist nach der orthodoxen Lehre der Vertreter Gottes, vicarius Dei in terris;1) wäre er bloss der »Vertreter Christi« oder der »Nach- folger Petri«, so liesse sich allenfalls das Amt als ein ausschliesslich seelsorgerisches auffassen, denn Christus sprach: Mein Reich ist nicht von dieser Welt; doch wer sollte sich über den Vertreter der all- mächtigen Gottheit auf Erden irgend eine Autorität anmassen? wer dürfte leugnen, dass das Zeitliche Gott ebenso untersteht, wie das Ewige? wer es wagen, ihm in irgend einer Beziehung die Suprematie zu verweigern? Mag also immerhin Dante in theologischen Glaubens- dingen ein streng orthodoxer Katholik gewesen sein, der »an dem untrüglichen Lehramt der Kirche« nicht zweifelte2) — auf solches 1) Concilium Tridentinum, decretum de reformatione, c. I. 2) Kraus: a. a. O., S. 703 fg. scheint seine These siegreich zu verfechten,
doch nicht zu ahnen, wie wenig solche formale Rechtgläubigkeit bedeutet und wie gefährlich sein eigener Standpunkt für die römische Kirche ist. Ich kann mich ausserdem nicht enthalten, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass Dante’s be- rühmtes Glaubensbekenntnis am Schlusse des XXIV. Gesanges des Paradiso geradezu betrübend abstrakt ist. Kraus betrachtet als den endgültigen Beweis von Dante’s Orthodoxie ein Credo, welches den Namen Jesu Christi gar nicht ausspricht! Mir fällt im Gegenteil auf, dass Dante sich lediglich an das allgemeine Mythologische hält. Und lasse ich nun eine Reihe anderer Aussprüche im Gedächtnis vorbei- ziehen, so erhalte ich den Eindruck, dass Dante überhaupt (wie manche andere Männer seiner Zeit) kaum ein Christ zu nennen ist. Der grosse kosmische Gott im Himmel und die römische Kirche auf Erden: alles intellektuell und politisch, oder sittlich und abstrakt. Man fühlt eine unendliche Sehnsucht nach Religion, doch die Religion selbst, jener Himmel, der nicht mit äusserlichen Geberden kommt, war dem edlen Geiste in der Wiege gestohlen worden. Dante’s poetische Grösse liegt nicht zum wenigsten in dieser furchtbaren Tragik des 13. Jahrhunderts, des Jahrhunderts Innocenz III. und des Thomas von Aquin! Seine Hoffnung bescheidet sich mit der luce intellettual (Par. XXX), und sein wahrer Führer ist weder Beatrice noch der heilige Bernard, sondern der Verfasser der Summa theologiae, der das fast gänzlich entchristlichte Christentum und die Nacht einer — jedem Wissen und jeder Schönheit feindlichen — Zeit durch das reine Licht der Vernunft zu beleuchten und zu idealisieren suchte. Thomas von Aquin bedeutet die rationalistische Ergänzung einer materialistischen Religion; ihm warf sich Dante in die Arme. (Siehe das interessante, freilich eine ganz andere These verfechtende Buch eines englischen Katholiken, E. G. 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erst die civitas Dei. Schon längst hatte Augustinus mit einer Gewalt
der Logik, die man Dante und seinen Apologeten wünschen möchte,
dargethan, die Macht des Staates beruhe auf der Macht der Sünde;
nunmehr, da durch Christi Tod die Macht der Sünde gebrochen sei,
habe der Staat sich der Kirche zu unterwerfen, mit anderen Worten,
die Kirche stehe fortan an der Spitze des staatlichen Regimentes. Der
Papst ist nach der orthodoxen Lehre der Vertreter Gottes, vicarius
Dei in terris; 1) wäre er bloss der »Vertreter Christi« oder der »Nach-
folger Petri«, so liesse sich allenfalls das Amt als ein ausschliesslich
seelsorgerisches auffassen, denn Christus sprach: Mein Reich ist nicht
von dieser Welt; doch wer sollte sich über den Vertreter der all-
mächtigen Gottheit auf Erden irgend eine Autorität anmassen? wer
dürfte leugnen, dass das Zeitliche Gott ebenso untersteht, wie das
Ewige? wer es wagen, ihm in irgend einer Beziehung die Suprematie
zu verweigern? Mag also immerhin Dante in theologischen Glaubens-
dingen ein streng orthodoxer Katholik gewesen sein, der »an dem
untrüglichen Lehramt der Kirche« nicht zweifelte 2) — auf solches
1) Concilium Tridentinum, decretum de reformatione, c. I.
2) Kraus: a. a. O., S. 703 fg. scheint seine These siegreich zu verfechten,
doch nicht zu ahnen, wie wenig solche formale Rechtgläubigkeit bedeutet und wie
gefährlich sein eigener Standpunkt für die römische Kirche ist. Ich kann mich
ausserdem nicht enthalten, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass Dante’s be-
rühmtes Glaubensbekenntnis am Schlusse des XXIV. Gesanges des Paradiso geradezu
betrübend abstrakt ist. Kraus betrachtet als den endgültigen Beweis von Dante’s
Orthodoxie ein Credo, welches den Namen Jesu Christi gar nicht ausspricht! Mir
fällt im Gegenteil auf, dass Dante sich lediglich an das allgemeine Mythologische
hält. Und lasse ich nun eine Reihe anderer Aussprüche im Gedächtnis vorbei-
ziehen, so erhalte ich den Eindruck, dass Dante überhaupt (wie manche andere
Männer seiner Zeit) kaum ein Christ zu nennen ist. Der grosse kosmische Gott
im Himmel und die römische Kirche auf Erden: alles intellektuell und politisch,
oder sittlich und abstrakt. Man fühlt eine unendliche Sehnsucht nach Religion,
doch die Religion selbst, jener Himmel, der nicht mit äusserlichen Geberden kommt,
war dem edlen Geiste in der Wiege gestohlen worden. Dante’s poetische Grösse
liegt nicht zum wenigsten in dieser furchtbaren Tragik des 13. Jahrhunderts, des
Jahrhunderts Innocenz III. und des Thomas von Aquin! Seine Hoffnung bescheidet
sich mit der luce intellettual (Par. XXX), und sein wahrer Führer ist weder Beatrice
noch der heilige Bernard, sondern der Verfasser der Summa theologiae, der das fast
gänzlich entchristlichte Christentum und die Nacht einer — jedem Wissen und jeder
Schönheit feindlichen — Zeit durch das reine Licht der Vernunft zu beleuchten und
zu idealisieren suchte. Thomas von Aquin bedeutet die rationalistische Ergänzung
einer materialistischen Religion; ihm warf sich Dante in die Arme. (Siehe das
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