Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Der Kampf. Recht; auch konnte es vorkommen, dass das Concilium der Bischöfesich die höchste Macht zumass, sich ausdrücklich für "unfehlbar" er- klärte und den Papst absetzte und einsperrte (wie in Konstanz 1415), während der Kaiser als machtloser Zuschauer unter den Prälaten sass, nicht einmal fähig, einen Hus vor dem Tode zu schützen. Und so weiter. Offenbar handelt es sich bei allen diesen Dingen um Kom- petenzstreitigkeiten innerhalb der Kirche, d. h. innerhalb der uni- versalistisch gedachten Theokratie. Wenn die deutschen Erzbischöfe das Heer befehligen, welches Friedrich I. 1167 gegen Rom und den Papst entsendet, wäre es doch sonderbar, hierin eine wirkliche Auf- lehnung der weltlichen Gewalt gegen die kirchliche erblicken zu wollen. Ebenso sonderbar wäre es, wenn man die Absetzung Gregor's VII. durch die Wormser Synode des Jahres 1076 als antikirchliche Regung Heinrich's IV. deuten wollte, wo doch fast sämtliche Bischöfe Deutsch- lands und Italiens das kaiserliche Dekret unterschrieben hatten und zwar mit der Begründung: "der Papst masse sich eine bisher ganz unbekannte Gewalt an, während er die Rechte anderer Bischöfe ver- nichte".1) Natürlich bin ich weit entfernt, die hohe politische Be- deutung aller dieser Vorgänge, sowie namentlich ihre Rückwirkung auf das erstarkende Nationalbewusstsein leugnen zu wollen, ich stelle aber fest, dass es sich hier lediglich um Kämpfe und Ränke innerhalb des damals vorherrschenden Universalsystems der Kirche handelt, während derjenige Kampf, der über den ferneren Gang der Welt- geschichte entschied, im Gegensatz zugleich zu Kaiser und zu Papst -- im Gegensatz heisst das also zum kirchlichen Staatsideal -- von Fürsten, Adel und Bürgertum geführt wurde. Es bedeutet dies einen Kampf gegen den Universalismus, und, stützte er sich zunächst nicht auf Nationen, da solche noch nicht existierten, so führte er mit Not- wendigkeit zu ihrer Bildung, denn die Nationen sind das Bollwerk gegen die Despotie des römischen Weltreichgedankens. potestas". So viel musste ich vorrausschicken, damit von vornherein fest- Doch möchte ich, ehe wir zu unserem eigentlichen Gegenstand 1) Hefele: Konziliengeschichte, V, 67.
Der Kampf. Recht; auch konnte es vorkommen, dass das Concilium der Bischöfesich die höchste Macht zumass, sich ausdrücklich für »unfehlbar« er- klärte und den Papst absetzte und einsperrte (wie in Konstanz 1415), während der Kaiser als machtloser Zuschauer unter den Prälaten sass, nicht einmal fähig, einen Hus vor dem Tode zu schützen. Und so weiter. Offenbar handelt es sich bei allen diesen Dingen um Kom- petenzstreitigkeiten innerhalb der Kirche, d. h. innerhalb der uni- versalistisch gedachten Theokratie. Wenn die deutschen Erzbischöfe das Heer befehligen, welches Friedrich I. 1167 gegen Rom und den Papst entsendet, wäre es doch sonderbar, hierin eine wirkliche Auf- lehnung der weltlichen Gewalt gegen die kirchliche erblicken zu wollen. Ebenso sonderbar wäre es, wenn man die Absetzung Gregor’s VII. durch die Wormser Synode des Jahres 1076 als antikirchliche Regung Heinrich’s IV. deuten wollte, wo doch fast sämtliche Bischöfe Deutsch- lands und Italiens das kaiserliche Dekret unterschrieben hatten und zwar mit der Begründung: »der Papst masse sich eine bisher ganz unbekannte Gewalt an, während er die Rechte anderer Bischöfe ver- nichte«.1) Natürlich bin ich weit entfernt, die hohe politische Be- deutung aller dieser Vorgänge, sowie namentlich ihre Rückwirkung auf das erstarkende Nationalbewusstsein leugnen zu wollen, ich stelle aber fest, dass es sich hier lediglich um Kämpfe und Ränke innerhalb des damals vorherrschenden Universalsystems der Kirche handelt, während derjenige Kampf, der über den ferneren Gang der Welt- geschichte entschied, im Gegensatz zugleich zu Kaiser und zu Papst — im Gegensatz heisst das also zum kirchlichen Staatsideal — von Fürsten, Adel und Bürgertum geführt wurde. Es bedeutet dies einen Kampf gegen den Universalismus, und, stützte er sich zunächst nicht auf Nationen, da solche noch nicht existierten, so führte er mit Not- wendigkeit zu ihrer Bildung, denn die Nationen sind das Bollwerk gegen die Despotie des römischen Weltreichgedankens. potestas«. So viel musste ich vorrausschicken, damit von vornherein fest- Doch möchte ich, ehe wir zu unserem eigentlichen Gegenstand 1) Hefele: Konziliengeschichte, V, 67.
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Der Kampf.
Recht; auch konnte es vorkommen, dass das Concilium der Bischöfe
sich die höchste Macht zumass, sich ausdrücklich für »unfehlbar« er-
klärte und den Papst absetzte und einsperrte (wie in Konstanz 1415),
während der Kaiser als machtloser Zuschauer unter den Prälaten sass,
nicht einmal fähig, einen Hus vor dem Tode zu schützen. Und so
weiter. Offenbar handelt es sich bei allen diesen Dingen um Kom-
petenzstreitigkeiten innerhalb der Kirche, d. h. innerhalb der uni-
versalistisch gedachten Theokratie. Wenn die deutschen Erzbischöfe
das Heer befehligen, welches Friedrich I. 1167 gegen Rom und den
Papst entsendet, wäre es doch sonderbar, hierin eine wirkliche Auf-
lehnung der weltlichen Gewalt gegen die kirchliche erblicken zu wollen.
Ebenso sonderbar wäre es, wenn man die Absetzung Gregor’s VII.
durch die Wormser Synode des Jahres 1076 als antikirchliche Regung
Heinrich’s IV. deuten wollte, wo doch fast sämtliche Bischöfe Deutsch-
lands und Italiens das kaiserliche Dekret unterschrieben hatten und
zwar mit der Begründung: »der Papst masse sich eine bisher ganz
unbekannte Gewalt an, während er die Rechte anderer Bischöfe ver-
nichte«. 1) Natürlich bin ich weit entfernt, die hohe politische Be-
deutung aller dieser Vorgänge, sowie namentlich ihre Rückwirkung
auf das erstarkende Nationalbewusstsein leugnen zu wollen, ich stelle
aber fest, dass es sich hier lediglich um Kämpfe und Ränke innerhalb
des damals vorherrschenden Universalsystems der Kirche handelt,
während derjenige Kampf, der über den ferneren Gang der Welt-
geschichte entschied, im Gegensatz zugleich zu Kaiser und zu Papst —
im Gegensatz heisst das also zum kirchlichen Staatsideal — von Fürsten,
Adel und Bürgertum geführt wurde. Es bedeutet dies einen Kampf
gegen den Universalismus, und, stützte er sich zunächst nicht auf
Nationen, da solche noch nicht existierten, so führte er mit Not-
wendigkeit zu ihrer Bildung, denn die Nationen sind das Bollwerk
gegen die Despotie des römischen Weltreichgedankens.
So viel musste ich vorrausschicken, damit von vornherein fest-
gestellt werde, welcher Kampf allein uns in diesem Buche beschäftigen
kann und soll. Der Kampf zwischen Kaiser und Papst um den Vor-
rang gehört der Vergangenheit an, der Kampf zwischen Nationalismus
und Universalismus dauert heute noch fort.
Doch möchte ich, ehe wir zu unserem eigentlichen Gegenstand
übergehen, noch eine Betrachtung bezüglich jenes Wettstreites innerhalb
1) Hefele: Konziliengeschichte, V, 67.
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