Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Der Kampf.
wissenschaftlichen Lehrbüchern des katholischen Kirchenrechts (siehe
z. B. das von Phillips, 3. Aufl., 1881, S. 804) noch immer von dem
Durchdringen des "Nationalitätsprinzips innerhalb der Einen und All-
gemeinen Kirche Gottes" als von einem der bedauerlichsten Vorgänge
der Geschichte Europa's. Dass die grosse Mehrzahl der römischen
Katholiken dennoch vortreffliche Patrioten sind, ist ein Mangel an Kon-
sequenz, der ihnen zur Ehre gereicht; ähnlich hat ja gerade Karl der
Grosse, der sich a Deo coronatus imperator, Romanum gubernans im-
perium
nannte, durch seine kulturelle Thätigkeit und seine germanische
Gesinnung mehr als ein Anderer zur Entfesselung der Nationalitäten
und zur Knebelung des folgerechten römischen Gedankens beigetragen;
doch wird durch derartige Inkonsequenzen die einzig richtige Lehre der
theokratischen Universalkirche in keiner Weise tangiert, und es ist un-
möglich, dass diese Lehre und dieser Einfluss sich jemals anders als
in antinationaler Richtung geltend mache. Denn, ich wiederhole es,
hier handelt es sich nicht um dieses eine bestimmte Kirchen- und
Imperiumsideal, sondern um ein allgemeines Gesetz menschlichen
Wesens und Thuns.

Damit dieses Gesetz recht klar erkannt werde, wollen wir jetzt
kurz die entgegengesetzte Weltauffassung betrachten: äusserlich be-
grenzt, innerlich grenzenlos. Nur in der Gestalt des äusserlich scharf
Abgegrenzten, keinem andern Menschen Gleichen, das Gesetz seines
besonderen Seins sichtbar zur Schau Tragenden tritt uns die hervor-
ragende Persönlichkeit entgegen; nur als streng begrenzte individuelle
Erscheinung offenbart uns das Genie die grenzenlose Welt seines Innern.
Hiervon war in meinem ersten Kapitel (über hellenische Kunst) so
eindringlich die Rede, dass ich es jetzt nicht noch einmal auszuführen
brauche; im zweiten Kapitel, dem über Rom, sahen wir dann dasselbe

kennen, in welcher streng aktenmässig und mit wissenschaftlicher Unparteilichkeit
dieses ganze Erziehungssystem dargelegt wird. Wer diese trockene, nüchterne
Darstellung aufmerksam liest, wird nicht bezweifeln, dass jede Nation, welche seine
Schulen den Jesuiten öffnet, einfach Selbstmord begeht. Ich verdächtige durchaus
nicht die guten Absichten der Jesuiten und bestreite nicht, dass sie einen gewissen
pädagogischen Erfolg erzielen; doch bezweckt dieses ganze System die prinzipielle
Vernichtung der Individualität -- der persönlichen sowohl wie der nationalen.
Andrerseits muss aber zugegeben werden, dass dieses frevelhafte Attentat auf alles
Heiligste im Menschen, diese grundsätzliche Heranbildung eines Geschlechtes, das
"aus dem Hellen ins Dunkle strebt", die streng logische Anwendung der römischen
Postulate ist; in der starren und erstarrenden Folgerichtigkeit liegt die Kraft des
Jesuitismus.)

Der Kampf.
wissenschaftlichen Lehrbüchern des katholischen Kirchenrechts (siehe
z. B. das von Phillips, 3. Aufl., 1881, S. 804) noch immer von dem
Durchdringen des »Nationalitätsprinzips innerhalb der Einen und All-
gemeinen Kirche Gottes« als von einem der bedauerlichsten Vorgänge
der Geschichte Europa’s. Dass die grosse Mehrzahl der römischen
Katholiken dennoch vortreffliche Patrioten sind, ist ein Mangel an Kon-
sequenz, der ihnen zur Ehre gereicht; ähnlich hat ja gerade Karl der
Grosse, der sich a Deo coronatus imperator, Romanum gubernans im-
perium
nannte, durch seine kulturelle Thätigkeit und seine germanische
Gesinnung mehr als ein Anderer zur Entfesselung der Nationalitäten
und zur Knebelung des folgerechten römischen Gedankens beigetragen;
doch wird durch derartige Inkonsequenzen die einzig richtige Lehre der
theokratischen Universalkirche in keiner Weise tangiert, und es ist un-
möglich, dass diese Lehre und dieser Einfluss sich jemals anders als
in antinationaler Richtung geltend mache. Denn, ich wiederhole es,
hier handelt es sich nicht um dieses eine bestimmte Kirchen- und
Imperiumsideal, sondern um ein allgemeines Gesetz menschlichen
Wesens und Thuns.

Damit dieses Gesetz recht klar erkannt werde, wollen wir jetzt
kurz die entgegengesetzte Weltauffassung betrachten: äusserlich be-
grenzt, innerlich grenzenlos. Nur in der Gestalt des äusserlich scharf
Abgegrenzten, keinem andern Menschen Gleichen, das Gesetz seines
besonderen Seins sichtbar zur Schau Tragenden tritt uns die hervor-
ragende Persönlichkeit entgegen; nur als streng begrenzte individuelle
Erscheinung offenbart uns das Genie die grenzenlose Welt seines Innern.
Hiervon war in meinem ersten Kapitel (über hellenische Kunst) so
eindringlich die Rede, dass ich es jetzt nicht noch einmal auszuführen
brauche; im zweiten Kapitel, dem über Rom, sahen wir dann dasselbe

kennen, in welcher streng aktenmässig und mit wissenschaftlicher Unparteilichkeit
dieses ganze Erziehungssystem dargelegt wird. Wer diese trockene, nüchterne
Darstellung aufmerksam liest, wird nicht bezweifeln, dass jede Nation, welche seine
Schulen den Jesuiten öffnet, einfach Selbstmord begeht. Ich verdächtige durchaus
nicht die guten Absichten der Jesuiten und bestreite nicht, dass sie einen gewissen
pädagogischen Erfolg erzielen; doch bezweckt dieses ganze System die prinzipielle
Vernichtung der Individualität — der persönlichen sowohl wie der nationalen.
Andrerseits muss aber zugegeben werden, dass dieses frevelhafte Attentat auf alles
Heiligste im Menschen, diese grundsätzliche Heranbildung eines Geschlechtes, das
»aus dem Hellen ins Dunkle strebt«, die streng logische Anwendung der römischen
Postulate ist; in der starren und erstarrenden Folgerichtigkeit liegt die Kraft des
Jesuitismus.)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0145" n="666"/><fw place="top" type="header">Der Kampf.</fw><lb/>
wissenschaftlichen Lehrbüchern des katholischen Kirchenrechts (siehe<lb/>
z. B. das von Phillips, 3. Aufl., 1881, S. 804) noch immer von dem<lb/>
Durchdringen des »Nationalitätsprinzips innerhalb der Einen und All-<lb/>
gemeinen Kirche Gottes« als von einem der bedauerlichsten Vorgänge<lb/>
der Geschichte Europa&#x2019;s. Dass die grosse Mehrzahl der römischen<lb/>
Katholiken dennoch vortreffliche Patrioten sind, ist ein Mangel an Kon-<lb/>
sequenz, der ihnen zur Ehre gereicht; ähnlich hat ja gerade Karl der<lb/>
Grosse, der sich <hi rendition="#i">a Deo coronatus imperator, Romanum gubernans im-<lb/>
perium</hi> nannte, durch seine kulturelle Thätigkeit und seine germanische<lb/>
Gesinnung mehr als ein Anderer zur Entfesselung der Nationalitäten<lb/>
und zur Knebelung des folgerechten römischen Gedankens beigetragen;<lb/>
doch wird durch derartige Inkonsequenzen die einzig richtige Lehre der<lb/>
theokratischen Universalkirche in keiner Weise tangiert, und es ist un-<lb/>
möglich, dass diese Lehre und dieser Einfluss sich jemals anders als<lb/>
in antinationaler Richtung geltend mache. Denn, ich wiederhole es,<lb/>
hier handelt es sich nicht um dieses eine bestimmte Kirchen- und<lb/>
Imperiumsideal, sondern um ein allgemeines Gesetz menschlichen<lb/>
Wesens und Thuns.</p><lb/>
        <p>Damit dieses Gesetz recht klar erkannt werde, wollen wir jetzt<lb/>
kurz die entgegengesetzte Weltauffassung betrachten: äusserlich be-<lb/>
grenzt, innerlich grenzenlos. Nur in der Gestalt des äusserlich scharf<lb/>
Abgegrenzten, keinem andern Menschen Gleichen, das Gesetz seines<lb/>
besonderen Seins sichtbar zur Schau Tragenden tritt uns die hervor-<lb/>
ragende Persönlichkeit entgegen; nur als streng begrenzte individuelle<lb/>
Erscheinung offenbart uns das Genie die grenzenlose Welt seines Innern.<lb/>
Hiervon war in meinem ersten Kapitel (über hellenische Kunst) so<lb/>
eindringlich die Rede, dass ich es jetzt nicht noch einmal auszuführen<lb/>
brauche; im zweiten Kapitel, dem über Rom, sahen wir dann dasselbe<lb/><note xml:id="seg2pn_8_2" prev="#seg2pn_8_1" place="foot" n="1)">kennen, in welcher streng aktenmässig und mit wissenschaftlicher Unparteilichkeit<lb/>
dieses ganze Erziehungssystem dargelegt wird. Wer diese trockene, nüchterne<lb/>
Darstellung aufmerksam liest, wird nicht bezweifeln, dass jede Nation, welche seine<lb/>
Schulen den Jesuiten öffnet, einfach Selbstmord begeht. Ich verdächtige durchaus<lb/>
nicht die guten Absichten der Jesuiten und bestreite nicht, dass sie einen gewissen<lb/>
pädagogischen Erfolg erzielen; doch bezweckt dieses ganze System die prinzipielle<lb/>
Vernichtung der Individualität &#x2014; der persönlichen sowohl wie der nationalen.<lb/>
Andrerseits muss aber zugegeben werden, dass dieses frevelhafte Attentat auf alles<lb/>
Heiligste im Menschen, diese grundsätzliche Heranbildung eines Geschlechtes, das<lb/>
»aus dem Hellen ins Dunkle strebt«, die streng logische Anwendung der römischen<lb/>
Postulate ist; in der starren und erstarrenden Folgerichtigkeit liegt die Kraft des<lb/>
Jesuitismus.)</note><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[666/0145] Der Kampf. wissenschaftlichen Lehrbüchern des katholischen Kirchenrechts (siehe z. B. das von Phillips, 3. Aufl., 1881, S. 804) noch immer von dem Durchdringen des »Nationalitätsprinzips innerhalb der Einen und All- gemeinen Kirche Gottes« als von einem der bedauerlichsten Vorgänge der Geschichte Europa’s. Dass die grosse Mehrzahl der römischen Katholiken dennoch vortreffliche Patrioten sind, ist ein Mangel an Kon- sequenz, der ihnen zur Ehre gereicht; ähnlich hat ja gerade Karl der Grosse, der sich a Deo coronatus imperator, Romanum gubernans im- perium nannte, durch seine kulturelle Thätigkeit und seine germanische Gesinnung mehr als ein Anderer zur Entfesselung der Nationalitäten und zur Knebelung des folgerechten römischen Gedankens beigetragen; doch wird durch derartige Inkonsequenzen die einzig richtige Lehre der theokratischen Universalkirche in keiner Weise tangiert, und es ist un- möglich, dass diese Lehre und dieser Einfluss sich jemals anders als in antinationaler Richtung geltend mache. Denn, ich wiederhole es, hier handelt es sich nicht um dieses eine bestimmte Kirchen- und Imperiumsideal, sondern um ein allgemeines Gesetz menschlichen Wesens und Thuns. Damit dieses Gesetz recht klar erkannt werde, wollen wir jetzt kurz die entgegengesetzte Weltauffassung betrachten: äusserlich be- grenzt, innerlich grenzenlos. Nur in der Gestalt des äusserlich scharf Abgegrenzten, keinem andern Menschen Gleichen, das Gesetz seines besonderen Seins sichtbar zur Schau Tragenden tritt uns die hervor- ragende Persönlichkeit entgegen; nur als streng begrenzte individuelle Erscheinung offenbart uns das Genie die grenzenlose Welt seines Innern. Hiervon war in meinem ersten Kapitel (über hellenische Kunst) so eindringlich die Rede, dass ich es jetzt nicht noch einmal auszuführen brauche; im zweiten Kapitel, dem über Rom, sahen wir dann dasselbe 1) 1) kennen, in welcher streng aktenmässig und mit wissenschaftlicher Unparteilichkeit dieses ganze Erziehungssystem dargelegt wird. Wer diese trockene, nüchterne Darstellung aufmerksam liest, wird nicht bezweifeln, dass jede Nation, welche seine Schulen den Jesuiten öffnet, einfach Selbstmord begeht. Ich verdächtige durchaus nicht die guten Absichten der Jesuiten und bestreite nicht, dass sie einen gewissen pädagogischen Erfolg erzielen; doch bezweckt dieses ganze System die prinzipielle Vernichtung der Individualität — der persönlichen sowohl wie der nationalen. Andrerseits muss aber zugegeben werden, dass dieses frevelhafte Attentat auf alles Heiligste im Menschen, diese grundsätzliche Heranbildung eines Geschlechtes, das »aus dem Hellen ins Dunkle strebt«, die streng logische Anwendung der römischen Postulate ist; in der starren und erstarrenden Folgerichtigkeit liegt die Kraft des Jesuitismus.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/145
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 666. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/145>, abgerufen am 21.11.2024.