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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampt.
reicht bis auf Christus selber zurück; denn, wie ich im dritten Kapitel
dieses Buches bemerkte: Leben und Lehren Christi deuten unverkennbar
auf einen Zustand, der nur durch Gemeinsamkeit verwirklicht werden
kann.1) Genau hier ist der Punkt, wo das alternde Kaisertum und
das jugendliche Christentum eine gewisse Verwandtschaft miteinander
entdeckten oder zu entdecken wähnten. Ohne Zweifel war ein Jeder
der beiden Kontrahierenden von sehr verschiedenen Beweggründen
geleitet, der eine von politischen, der andere von religiösen; ver-
mutlich täuschten sich beide; das Kaisertum wird nicht geahnt haben,
dass es seine weltliche Gewalt auf ewig preisgab, das reine Christen-
tum der alten Zeit wird nicht bedacht haben, dass es sich dem Heiden-
tum in die Arme warf und sofort von ihm werde überwuchert werden;
doch gleichviel: aus ihrer Vereinigung, aus ihrer Verschmelzung und
gegenseitigen Durchdringung entstand die römische Kirche. Nun
umfasst die Kirche nach der als orthodox anerkannten Definition des
Augustinus sämtliche Menschen der Erde,2) und jeder Mensch, gleich-
viel ob er "Fürst oder Knecht, Kaufmann oder Lehrer, Apostel oder
Doktor sei" hat seine Thätigkeit hier auf Erden als ein ihm in der
Kirche angewiesenes Amt
zu betrachten, in hac ecclesia suum
munus.
3) Durch welches Schlupfloch hier ein "Staat" oder gar eine
"Nation" sich sollte herausretten können, um als selbständiges Wesen
sich der Kirche gegenüber aufzurichten und ihr zuzurufen: du, kümmere
dich hinfürder um deine Angelegenheiten, ich werde in den Dingen
dieser Welt nach eigenem Belieben herrschen! -- ist nicht ersicht-
lich; eine derartige Annahme ist unlogisch und unsinnig, sie hebt
die Idee der römischen Kirche auf. Diese Idee gestattet offenbar
keinerlei Einschränkung, weder geistig noch materiell, und wenn der
Papst in seiner Eigenschaft als Vertreter der Kirche, als deren pater
ac moderator,
das Recht fordert, in weltlichen Dingen das entscheidende
Wort zu sprechen, so ist das eben so berechtigt und logisch, wie wenn
Theodosius in seinem berühmten Dekret gegen die Häretiker behauptet,

1) Siehe S. 247.
2) Ecclesia est populus fidelis per universum orbem dispersus, aufgenommen in
I, 10, 2 des Catechismus ex decreto Concilii Tridentini. Da nun aber schon von
Theodosius an der Glaube von Allen erzwungen werden sollte und der Un-
glaube oder Irrglaube ein Majestätsverbrechen bildete, da ausserdem die Schismatiker
und Häretiker dennoch "unter der Gewalt der Kirche stehen" (a. a. O. I, 10, 9),
so umfasst diese Definition sämtliche Menschen ohne Ausnahme, omnes humanae
creaturae,
wie Bonifaz in der oben citierten Stelle richtig sagte.
3) Cat. Trid. I, 10, 25.

Der Kampt.
reicht bis auf Christus selber zurück; denn, wie ich im dritten Kapitel
dieses Buches bemerkte: Leben und Lehren Christi deuten unverkennbar
auf einen Zustand, der nur durch Gemeinsamkeit verwirklicht werden
kann.1) Genau hier ist der Punkt, wo das alternde Kaisertum und
das jugendliche Christentum eine gewisse Verwandtschaft miteinander
entdeckten oder zu entdecken wähnten. Ohne Zweifel war ein Jeder
der beiden Kontrahierenden von sehr verschiedenen Beweggründen
geleitet, der eine von politischen, der andere von religiösen; ver-
mutlich täuschten sich beide; das Kaisertum wird nicht geahnt haben,
dass es seine weltliche Gewalt auf ewig preisgab, das reine Christen-
tum der alten Zeit wird nicht bedacht haben, dass es sich dem Heiden-
tum in die Arme warf und sofort von ihm werde überwuchert werden;
doch gleichviel: aus ihrer Vereinigung, aus ihrer Verschmelzung und
gegenseitigen Durchdringung entstand die römische Kirche. Nun
umfasst die Kirche nach der als orthodox anerkannten Definition des
Augustinus sämtliche Menschen der Erde,2) und jeder Mensch, gleich-
viel ob er »Fürst oder Knecht, Kaufmann oder Lehrer, Apostel oder
Doktor sei« hat seine Thätigkeit hier auf Erden als ein ihm in der
Kirche angewiesenes Amt
zu betrachten, in hac ecclesia suum
munus.
3) Durch welches Schlupfloch hier ein »Staat« oder gar eine
»Nation« sich sollte herausretten können, um als selbständiges Wesen
sich der Kirche gegenüber aufzurichten und ihr zuzurufen: du, kümmere
dich hinfürder um deine Angelegenheiten, ich werde in den Dingen
dieser Welt nach eigenem Belieben herrschen! — ist nicht ersicht-
lich; eine derartige Annahme ist unlogisch und unsinnig, sie hebt
die Idee der römischen Kirche auf. Diese Idee gestattet offenbar
keinerlei Einschränkung, weder geistig noch materiell, und wenn der
Papst in seiner Eigenschaft als Vertreter der Kirche, als deren pater
ac moderator,
das Recht fordert, in weltlichen Dingen das entscheidende
Wort zu sprechen, so ist das eben so berechtigt und logisch, wie wenn
Theodosius in seinem berühmten Dekret gegen die Häretiker behauptet,

1) Siehe S. 247.
2) Ecclesia est populus fidelis per universum orbem dispersus, aufgenommen in
I, 10, 2 des Catechismus ex decreto Concilii Tridentini. Da nun aber schon von
Theodosius an der Glaube von Allen erzwungen werden sollte und der Un-
glaube oder Irrglaube ein Majestätsverbrechen bildete, da ausserdem die Schismatiker
und Häretiker dennoch »unter der Gewalt der Kirche stehen« (a. a. O. I, 10, 9),
so umfasst diese Definition sämtliche Menschen ohne Ausnahme, omnes humanae
creaturae,
wie Bonifaz in der oben citierten Stelle richtig sagte.
3) Cat. Trid. I, 10, 25.
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[672/0151] Der Kampt. reicht bis auf Christus selber zurück; denn, wie ich im dritten Kapitel dieses Buches bemerkte: Leben und Lehren Christi deuten unverkennbar auf einen Zustand, der nur durch Gemeinsamkeit verwirklicht werden kann. 1) Genau hier ist der Punkt, wo das alternde Kaisertum und das jugendliche Christentum eine gewisse Verwandtschaft miteinander entdeckten oder zu entdecken wähnten. Ohne Zweifel war ein Jeder der beiden Kontrahierenden von sehr verschiedenen Beweggründen geleitet, der eine von politischen, der andere von religiösen; ver- mutlich täuschten sich beide; das Kaisertum wird nicht geahnt haben, dass es seine weltliche Gewalt auf ewig preisgab, das reine Christen- tum der alten Zeit wird nicht bedacht haben, dass es sich dem Heiden- tum in die Arme warf und sofort von ihm werde überwuchert werden; doch gleichviel: aus ihrer Vereinigung, aus ihrer Verschmelzung und gegenseitigen Durchdringung entstand die römische Kirche. Nun umfasst die Kirche nach der als orthodox anerkannten Definition des Augustinus sämtliche Menschen der Erde, 2) und jeder Mensch, gleich- viel ob er »Fürst oder Knecht, Kaufmann oder Lehrer, Apostel oder Doktor sei« hat seine Thätigkeit hier auf Erden als ein ihm in der Kirche angewiesenes Amt zu betrachten, in hac ecclesia suum munus. 3) Durch welches Schlupfloch hier ein »Staat« oder gar eine »Nation« sich sollte herausretten können, um als selbständiges Wesen sich der Kirche gegenüber aufzurichten und ihr zuzurufen: du, kümmere dich hinfürder um deine Angelegenheiten, ich werde in den Dingen dieser Welt nach eigenem Belieben herrschen! — ist nicht ersicht- lich; eine derartige Annahme ist unlogisch und unsinnig, sie hebt die Idee der römischen Kirche auf. Diese Idee gestattet offenbar keinerlei Einschränkung, weder geistig noch materiell, und wenn der Papst in seiner Eigenschaft als Vertreter der Kirche, als deren pater ac moderator, das Recht fordert, in weltlichen Dingen das entscheidende Wort zu sprechen, so ist das eben so berechtigt und logisch, wie wenn Theodosius in seinem berühmten Dekret gegen die Häretiker behauptet, 1) Siehe S. 247. 2) Ecclesia est populus fidelis per universum orbem dispersus, aufgenommen in I, 10, 2 des Catechismus ex decreto Concilii Tridentini. Da nun aber schon von Theodosius an der Glaube von Allen erzwungen werden sollte und der Un- glaube oder Irrglaube ein Majestätsverbrechen bildete, da ausserdem die Schismatiker und Häretiker dennoch »unter der Gewalt der Kirche stehen« (a. a. O. I, 10, 9), so umfasst diese Definition sämtliche Menschen ohne Ausnahme, omnes humanae creaturae, wie Bonifaz in der oben citierten Stelle richtig sagte. 3) Cat. Trid. I, 10, 25.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 672. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/151>, abgerufen am 09.11.2024.