Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Staat. er, der Kaiser, sei "von himmlischer Weisheit geleitet", oder wenn Karlder Grosse aus eigener Machtvollkommenheit über dogmatische Fragen entscheidet. Denn die Kirche umfasst Alles, Leib und Seele, Erde und Himmel, ihre Gewalt ist unbegrenzt und wer sie vertritt -- gleichviel wer er sei -- gebietet folglich unumschränkt. Schon Gregor II., kein überspannter Kirchenfürst, verglich den Papst einem "Gott auf Erden"; Gregor VII. führt aus, "die weltliche Gewalt müsse der geistlichen (d. h. der römischen Kirche) gehorchen"; an Wilhelm den Eroberer schreibt er, die apostolische Gewalt müsse vor Gott Rechenschaft ab- geben über alle Könige; Gregor IX. schreibt in einem Briefe vom 23. Oktober 1236 (in welchem er speziell betont, dass die Rechte des Kaisers nur von der Kirche "übertragen" seien): "Wie der Stell- vertreter Petri die Herrschaft über alle Seelen hat, so besitzt er auch in der ganzen Welt ein Prinzipat über das Zeitliche und die Leiber und regiert auch das Zeitliche mit dem Zügel der Gerechtigkeit"; Innocenz IV. führt aus, man könne der Kirche das Recht nicht be- streiten, spiritualiter de temporalibus zu richten. Und da diese Worte, so unzweideutig sie auch sind, doch mancher kasuistischen Haarspalterei Raum liessen, zerstreute der ehrliche und fähige Bonifaz VIII. jedes Missverständnis durch seine Bulle Ausculta fili vom 5. Dezember 1301 (an den König von Frankreich gerichtet), in welcher er schreibt: "Gott hat uns unerachtet unserer geringen Verdienste über die Könige und Reiche gesetzt und uns das Joch apostolischer Knechtschaft auferlegt, um in seinem Namen und nach seiner Anweisung auszureissen, nieder- zureissen, zu zerstören, zu zerstreuen, aufzubauen und zu pflanzen .... Lass Dir also, geliebtester Sohn, von Niemandem einreden, dass Du keinen Obern habest und dem höchsten Hierarchen der kirchlichen Hierarchie nicht untergeben seiest. Wer dies meint, ist ein Thor; wer es hartnäckig behauptet, ist ein Ungläubiger und gehört nicht zum Schafstall des guten Hirten". Weiter unten bestimmt dann Bonifaz, es sollen mehrere französische Bischöfe nach Rom kommen, damit der Papst mit ihnen bestimme, was "zur Besserung der Misstände und zum Heil und zur guten Verwaltung des Reiches erspriesslich ist" -- wozu der römisch-katholische Bischof Hefele sehr richtig bemerkt: "Wer aber das Recht besitzt, in einem Reiche zu ordnen, auszureissen, zu bauen und für gute Verwaltung zu sorgen, ist der wirkliche Obere desselben".1) Es ist ebenfalls nur konsequent, da sämtliche Menschen 1) Konziliengeschichte VI, 331. Der lateinische Text der Kirchenrechte lautet:
ad evellendum, destruendum, disperdendum, dissipandum, aedificandum atque plantandum: Staat. er, der Kaiser, sei »von himmlischer Weisheit geleitet«, oder wenn Karlder Grosse aus eigener Machtvollkommenheit über dogmatische Fragen entscheidet. Denn die Kirche umfasst Alles, Leib und Seele, Erde und Himmel, ihre Gewalt ist unbegrenzt und wer sie vertritt — gleichviel wer er sei — gebietet folglich unumschränkt. Schon Gregor II., kein überspannter Kirchenfürst, verglich den Papst einem »Gott auf Erden«; Gregor VII. führt aus, »die weltliche Gewalt müsse der geistlichen (d. h. der römischen Kirche) gehorchen«; an Wilhelm den Eroberer schreibt er, die apostolische Gewalt müsse vor Gott Rechenschaft ab- geben über alle Könige; Gregor IX. schreibt in einem Briefe vom 23. Oktober 1236 (in welchem er speziell betont, dass die Rechte des Kaisers nur von der Kirche »übertragen« seien): »Wie der Stell- vertreter Petri die Herrschaft über alle Seelen hat, so besitzt er auch in der ganzen Welt ein Prinzipat über das Zeitliche und die Leiber und regiert auch das Zeitliche mit dem Zügel der Gerechtigkeit«; Innocenz IV. führt aus, man könne der Kirche das Recht nicht be- streiten, spiritualiter de temporalibus zu richten. Und da diese Worte, so unzweideutig sie auch sind, doch mancher kasuistischen Haarspalterei Raum liessen, zerstreute der ehrliche und fähige Bonifaz VIII. jedes Missverständnis durch seine Bulle Ausculta fili vom 5. Dezember 1301 (an den König von Frankreich gerichtet), in welcher er schreibt: »Gott hat uns unerachtet unserer geringen Verdienste über die Könige und Reiche gesetzt und uns das Joch apostolischer Knechtschaft auferlegt, um in seinem Namen und nach seiner Anweisung auszureissen, nieder- zureissen, zu zerstören, zu zerstreuen, aufzubauen und zu pflanzen .... Lass Dir also, geliebtester Sohn, von Niemandem einreden, dass Du keinen Obern habest und dem höchsten Hierarchen der kirchlichen Hierarchie nicht untergeben seiest. Wer dies meint, ist ein Thor; wer es hartnäckig behauptet, ist ein Ungläubiger und gehört nicht zum Schafstall des guten Hirten«. Weiter unten bestimmt dann Bonifaz, es sollen mehrere französische Bischöfe nach Rom kommen, damit der Papst mit ihnen bestimme, was »zur Besserung der Misstände und zum Heil und zur guten Verwaltung des Reiches erspriesslich ist« — wozu der römisch-katholische Bischof Hefele sehr richtig bemerkt: »Wer aber das Recht besitzt, in einem Reiche zu ordnen, auszureissen, zu bauen und für gute Verwaltung zu sorgen, ist der wirkliche Obere desselben«.1) Es ist ebenfalls nur konsequent, da sämtliche Menschen 1) Konziliengeschichte VI, 331. Der lateinische Text der Kirchenrechte lautet:
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Staat.
er, der Kaiser, sei »von himmlischer Weisheit geleitet«, oder wenn Karl
der Grosse aus eigener Machtvollkommenheit über dogmatische Fragen
entscheidet. Denn die Kirche umfasst Alles, Leib und Seele, Erde und
Himmel, ihre Gewalt ist unbegrenzt und wer sie vertritt — gleichviel
wer er sei — gebietet folglich unumschränkt. Schon Gregor II., kein
überspannter Kirchenfürst, verglich den Papst einem »Gott auf Erden«;
Gregor VII. führt aus, »die weltliche Gewalt müsse der geistlichen
(d. h. der römischen Kirche) gehorchen«; an Wilhelm den Eroberer
schreibt er, die apostolische Gewalt müsse vor Gott Rechenschaft ab-
geben über alle Könige; Gregor IX. schreibt in einem Briefe vom
23. Oktober 1236 (in welchem er speziell betont, dass die Rechte des
Kaisers nur von der Kirche »übertragen« seien): »Wie der Stell-
vertreter Petri die Herrschaft über alle Seelen hat, so besitzt er auch
in der ganzen Welt ein Prinzipat über das Zeitliche und die Leiber
und regiert auch das Zeitliche mit dem Zügel der Gerechtigkeit«;
Innocenz IV. führt aus, man könne der Kirche das Recht nicht be-
streiten, spiritualiter de temporalibus zu richten. Und da diese Worte,
so unzweideutig sie auch sind, doch mancher kasuistischen Haarspalterei
Raum liessen, zerstreute der ehrliche und fähige Bonifaz VIII. jedes
Missverständnis durch seine Bulle Ausculta fili vom 5. Dezember 1301
(an den König von Frankreich gerichtet), in welcher er schreibt: »Gott
hat uns unerachtet unserer geringen Verdienste über die Könige und
Reiche gesetzt und uns das Joch apostolischer Knechtschaft auferlegt,
um in seinem Namen und nach seiner Anweisung auszureissen, nieder-
zureissen, zu zerstören, zu zerstreuen, aufzubauen und zu pflanzen ....
Lass Dir also, geliebtester Sohn, von Niemandem einreden, dass Du
keinen Obern habest und dem höchsten Hierarchen der kirchlichen
Hierarchie nicht untergeben seiest. Wer dies meint, ist ein Thor;
wer es hartnäckig behauptet, ist ein Ungläubiger und gehört nicht
zum Schafstall des guten Hirten«. Weiter unten bestimmt dann Bonifaz,
es sollen mehrere französische Bischöfe nach Rom kommen, damit der
Papst mit ihnen bestimme, was »zur Besserung der Misstände und
zum Heil und zur guten Verwaltung des Reiches erspriesslich ist« —
wozu der römisch-katholische Bischof Hefele sehr richtig bemerkt:
»Wer aber das Recht besitzt, in einem Reiche zu ordnen, auszureissen,
zu bauen und für gute Verwaltung zu sorgen, ist der wirkliche Obere
desselben«. 1) Es ist ebenfalls nur konsequent, da sämtliche Menschen
1) Konziliengeschichte VI, 331. Der lateinische Text der Kirchenrechte lautet:
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