Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Der Kampf. des Erdbodens der Kirche unterstehen und ihr einverleibt sind, dassauch die letzte Verfügung über sämtliche Länder ihr zukomme. Über gewisse Reiche, wie z. B. Spanien, Ungarn, England u. s. w. beanspruchte die Kirche ohne Weiteres die Oberlehensherrlichkeit;1) bei allen übrigen behielt sie sich die Bestätigung und Krönung der Könige vor, sie setzte sie ab und ernannte neue Könige an Stelle der abgesetzten (wie z. B. bei den Karlingern) -- -- denn, wie Thomas von Aquin in seinem De regimine principum ausführt: "Wie der Körper Kraft und Fähigkeit erst von der Seele erhält, ebenso entfliesst die zeitliche Autorität der Fürsten aus der geistlichen des Petrus und seiner Nachfolger".2) Das königliche Amt ist eben, wie schon oben gezeigt, nichts mehr und nichts weniger als ein munus innerhalb der Kirche, innerhalb der civitas Dei. Daher ist auch kein Häretiker rechtmässiger König. Schon 1535 wurden von Paul III. alle englischen Unterthanen des Gehorsams gegen ihren König feierlich entbunden,3) und im Jahre 1569 wurde von Pius V. diese Massregel noch verschärft, indem die grosse Königin Elisabeth nicht nur abgesetzt und "jeglichen Eigentums" entblösst, sondern jeder Engländer, der es wagen sollte, ihr zu gehorchen, mit Exkommunikation bedroht wurde.4) In Folge dessen besteht die ganze politische Entwickelung Europa's seit der Reformation für die Kirche nicht zu Recht; sie fügt sich in das Unvermeidliche, doch erkennt sie es nicht an: gegen den Augsburger Religionsfrieden hat sie protestiert, gegen den westfälischen Frieden erhob sie mit noch grösserer Feierlich- keit Einspruch und erklärte ihn "für alle Zukunft null und nichtig",5) später ordinare .... ad bonum et prosperum regimen regni. Die früheren Citate sind demselben Werke entnommen, V, 163, 154, 1003, 1131, VI, 325--327. 1) Das Eigentumsrecht auf Ungarn stützt sich auf eine angebliche Schenkung des Königs Stephan, Spanien und England (wohl auch Frankreich?) werden als in der gefälschten konstantinischen Schenkung inbegriffen betrachtet, nach welcher dem päpstlichen Stuhle "die königliche Gewalt in sämtlichen Provinzen Italiens sowie in den westlichen Gegenden (in partibus occidentalibus)" sollte überlassen worden sein (vergl. Hefele V, 11). 2) Ich citiere nach Bryce: Le Saint Empire Romain Germanique, S. 134. 3) Hegenröther: Hefele's Konziliengeschichte fortgesetzt IX, 896. 4) Green: History of the English people (Eversley ed.) IV, 265, 270. 5) Phillips: Lehrbuch des Kirchenrechts, S. 807, und die dort genannte Bulle
Zelo domus. -- Uebrigens hat hier nicht allein der römische Papst, sondern auch der römische Kaiser protestiert, indem er seine sogenannten "Reservatrechte" sich vorbehielt, sich aber zugleich weigerte, zu erklären, was er darunter verstünde; was er sich damit wahrte, war aber ganz einfach der nie aufgegebene Anspruch auf die potestas universalis, d. h. auf die unbeschränkte Allgewalt, mit anderen Der Kampf. des Erdbodens der Kirche unterstehen und ihr einverleibt sind, dassauch die letzte Verfügung über sämtliche Länder ihr zukomme. Über gewisse Reiche, wie z. B. Spanien, Ungarn, England u. s. w. beanspruchte die Kirche ohne Weiteres die Oberlehensherrlichkeit;1) bei allen übrigen behielt sie sich die Bestätigung und Krönung der Könige vor, sie setzte sie ab und ernannte neue Könige an Stelle der abgesetzten (wie z. B. bei den Karlingern) — — denn, wie Thomas von Aquin in seinem De regimine principum ausführt: »Wie der Körper Kraft und Fähigkeit erst von der Seele erhält, ebenso entfliesst die zeitliche Autorität der Fürsten aus der geistlichen des Petrus und seiner Nachfolger«.2) Das königliche Amt ist eben, wie schon oben gezeigt, nichts mehr und nichts weniger als ein munus innerhalb der Kirche, innerhalb der civitas Dei. Daher ist auch kein Häretiker rechtmässiger König. Schon 1535 wurden von Paul III. alle englischen Unterthanen des Gehorsams gegen ihren König feierlich entbunden,3) und im Jahre 1569 wurde von Pius V. diese Massregel noch verschärft, indem die grosse Königin Elisabeth nicht nur abgesetzt und »jeglichen Eigentums« entblösst, sondern jeder Engländer, der es wagen sollte, ihr zu gehorchen, mit Exkommunikation bedroht wurde.4) In Folge dessen besteht die ganze politische Entwickelung Europa’s seit der Reformation für die Kirche nicht zu Recht; sie fügt sich in das Unvermeidliche, doch erkennt sie es nicht an: gegen den Augsburger Religionsfrieden hat sie protestiert, gegen den westfälischen Frieden erhob sie mit noch grösserer Feierlich- keit Einspruch und erklärte ihn »für alle Zukunft null und nichtig«,5) später ordinare .... ad bonum et prosperum regimen regni. Die früheren Citate sind demselben Werke entnommen, V, 163, 154, 1003, 1131, VI, 325—327. 1) Das Eigentumsrecht auf Ungarn stützt sich auf eine angebliche Schenkung des Königs Stephan, Spanien und England (wohl auch Frankreich?) werden als in der gefälschten konstantinischen Schenkung inbegriffen betrachtet, nach welcher dem päpstlichen Stuhle »die königliche Gewalt in sämtlichen Provinzen Italiens sowie in den westlichen Gegenden (in partibus occidentalibus)« sollte überlassen worden sein (vergl. Hefele V, 11). 2) Ich citiere nach Bryce: Le Saint Empire Romain Germanique, S. 134. 3) Hegenröther: Hefele’s Konziliengeschichte fortgesetzt IX, 896. 4) Green: History of the English people (Eversley ed.) IV, 265, 270. 5) Phillips: Lehrbuch des Kirchenrechts, S. 807, und die dort genannte Bulle
Zelo domus. — Uebrigens hat hier nicht allein der römische Papst, sondern auch der römische Kaiser protestiert, indem er seine sogenannten »Reservatrechte« sich vorbehielt, sich aber zugleich weigerte, zu erklären, was er darunter verstünde; was er sich damit wahrte, war aber ganz einfach der nie aufgegebene Anspruch auf die potestas universalis, d. h. auf die unbeschränkte Allgewalt, mit anderen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0153" n="674"/><fw place="top" type="header">Der Kampf.</fw><lb/> des Erdbodens der Kirche unterstehen und ihr einverleibt sind, dass<lb/> auch die letzte Verfügung über sämtliche Länder ihr zukomme. Über<lb/> gewisse Reiche, wie z. B. Spanien, Ungarn, England u. s. w. beanspruchte<lb/> die Kirche ohne Weiteres die Oberlehensherrlichkeit;<note place="foot" n="1)">Das Eigentumsrecht auf Ungarn stützt sich auf eine angebliche Schenkung<lb/> des Königs Stephan, Spanien und England (wohl auch Frankreich?) werden als in<lb/> der gefälschten konstantinischen Schenkung inbegriffen betrachtet, nach welcher dem<lb/> päpstlichen Stuhle »die königliche Gewalt in sämtlichen Provinzen Italiens <hi rendition="#g">sowie<lb/> in den westlichen Gegenden</hi> (<hi rendition="#i">in partibus occidentalibus</hi>)« sollte überlassen<lb/> worden sein (vergl. Hefele V, 11).</note> bei allen übrigen<lb/> behielt sie sich die Bestätigung und Krönung der Könige vor, sie setzte<lb/> sie ab und ernannte neue Könige an Stelle der abgesetzten (wie z. B.<lb/> bei den Karlingern) — — denn, wie Thomas von Aquin in seinem<lb/><hi rendition="#i">De regimine principum</hi> ausführt: »Wie der Körper Kraft und Fähigkeit<lb/> erst von der Seele erhält, ebenso entfliesst die zeitliche Autorität der<lb/> Fürsten aus der geistlichen des Petrus und seiner Nachfolger«.<note place="foot" n="2)">Ich citiere nach Bryce: <hi rendition="#i">Le Saint Empire Romain Germanique,</hi> S. 134.</note> Das<lb/> königliche Amt ist eben, wie schon oben gezeigt, nichts mehr und<lb/> nichts weniger als ein <hi rendition="#i">munus</hi> innerhalb der Kirche, innerhalb der<lb/><hi rendition="#i">civitas Dei.</hi> Daher ist auch kein Häretiker rechtmässiger König. Schon<lb/> 1535 wurden von Paul III. alle englischen Unterthanen des Gehorsams<lb/> gegen ihren König feierlich entbunden,<note place="foot" n="3)">Hegenröther: Hefele’s <hi rendition="#i">Konziliengeschichte</hi> fortgesetzt IX, 896.</note> und im Jahre 1569 wurde<lb/> von Pius V. diese Massregel noch verschärft, indem die grosse Königin<lb/> Elisabeth nicht nur abgesetzt und »jeglichen Eigentums« entblösst,<lb/> sondern jeder Engländer, der es wagen sollte, ihr zu gehorchen, mit<lb/> Exkommunikation bedroht wurde.<note place="foot" n="4)">Green: <hi rendition="#i">History of the English people</hi> (Eversley ed.) IV, 265, 270.</note> In Folge dessen besteht die ganze<lb/> politische Entwickelung Europa’s seit der Reformation für die Kirche<lb/> nicht zu Recht; sie fügt sich in das Unvermeidliche, doch erkennt sie<lb/> es nicht an: gegen den Augsburger Religionsfrieden hat sie protestiert,<lb/> gegen den westfälischen Frieden erhob sie mit noch grösserer Feierlich-<lb/> keit Einspruch und erklärte ihn »für alle Zukunft null und nichtig«,<note xml:id="seg2pn_10_1" next="#seg2pn_10_2" place="foot" n="5)">Phillips: <hi rendition="#i">Lehrbuch des Kirchenrechts</hi>, S. 807, und die dort genannte Bulle<lb/><hi rendition="#i">Zelo domus.</hi> — Uebrigens hat hier nicht allein der römische Papst, sondern auch<lb/> der römische Kaiser protestiert, indem er seine sogenannten »Reservatrechte« sich<lb/> vorbehielt, sich aber zugleich weigerte, zu erklären, was er darunter verstünde;<lb/> was er sich damit wahrte, war aber ganz einfach der nie aufgegebene Anspruch<lb/> auf die <hi rendition="#i">potestas universalis,</hi> d. h. auf die unbeschränkte Allgewalt, mit anderen</note><lb/><note xml:id="seg2pn_9_2" prev="#seg2pn_9_1" place="foot" n="1)">später <hi rendition="#i">ordinare .... ad bonum et prosperum regimen regni.</hi> Die früheren Citate sind<lb/> demselben Werke entnommen, V, 163, 154, 1003, 1131, VI, 325—327.</note><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [674/0153]
Der Kampf.
des Erdbodens der Kirche unterstehen und ihr einverleibt sind, dass
auch die letzte Verfügung über sämtliche Länder ihr zukomme. Über
gewisse Reiche, wie z. B. Spanien, Ungarn, England u. s. w. beanspruchte
die Kirche ohne Weiteres die Oberlehensherrlichkeit; 1) bei allen übrigen
behielt sie sich die Bestätigung und Krönung der Könige vor, sie setzte
sie ab und ernannte neue Könige an Stelle der abgesetzten (wie z. B.
bei den Karlingern) — — denn, wie Thomas von Aquin in seinem
De regimine principum ausführt: »Wie der Körper Kraft und Fähigkeit
erst von der Seele erhält, ebenso entfliesst die zeitliche Autorität der
Fürsten aus der geistlichen des Petrus und seiner Nachfolger«. 2) Das
königliche Amt ist eben, wie schon oben gezeigt, nichts mehr und
nichts weniger als ein munus innerhalb der Kirche, innerhalb der
civitas Dei. Daher ist auch kein Häretiker rechtmässiger König. Schon
1535 wurden von Paul III. alle englischen Unterthanen des Gehorsams
gegen ihren König feierlich entbunden, 3) und im Jahre 1569 wurde
von Pius V. diese Massregel noch verschärft, indem die grosse Königin
Elisabeth nicht nur abgesetzt und »jeglichen Eigentums« entblösst,
sondern jeder Engländer, der es wagen sollte, ihr zu gehorchen, mit
Exkommunikation bedroht wurde. 4) In Folge dessen besteht die ganze
politische Entwickelung Europa’s seit der Reformation für die Kirche
nicht zu Recht; sie fügt sich in das Unvermeidliche, doch erkennt sie
es nicht an: gegen den Augsburger Religionsfrieden hat sie protestiert,
gegen den westfälischen Frieden erhob sie mit noch grösserer Feierlich-
keit Einspruch und erklärte ihn »für alle Zukunft null und nichtig«, 5)
1)
1) Das Eigentumsrecht auf Ungarn stützt sich auf eine angebliche Schenkung
des Königs Stephan, Spanien und England (wohl auch Frankreich?) werden als in
der gefälschten konstantinischen Schenkung inbegriffen betrachtet, nach welcher dem
päpstlichen Stuhle »die königliche Gewalt in sämtlichen Provinzen Italiens sowie
in den westlichen Gegenden (in partibus occidentalibus)« sollte überlassen
worden sein (vergl. Hefele V, 11).
2) Ich citiere nach Bryce: Le Saint Empire Romain Germanique, S. 134.
3) Hegenröther: Hefele’s Konziliengeschichte fortgesetzt IX, 896.
4) Green: History of the English people (Eversley ed.) IV, 265, 270.
5) Phillips: Lehrbuch des Kirchenrechts, S. 807, und die dort genannte Bulle
Zelo domus. — Uebrigens hat hier nicht allein der römische Papst, sondern auch
der römische Kaiser protestiert, indem er seine sogenannten »Reservatrechte« sich
vorbehielt, sich aber zugleich weigerte, zu erklären, was er darunter verstünde;
was er sich damit wahrte, war aber ganz einfach der nie aufgegebene Anspruch
auf die potestas universalis, d. h. auf die unbeschränkte Allgewalt, mit anderen
1) später ordinare .... ad bonum et prosperum regimen regni. Die früheren Citate sind
demselben Werke entnommen, V, 163, 154, 1003, 1131, VI, 325—327.
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