"Umkehr" nicht stattgefunden hat; und ist es auch unterhaltend, einen Kirchenvater den Priestern seiner Diöcese die praktisch-weltbürgerliche (um nicht zu sagen rechtsanwältliche) Moral eines Cicero als Muster vorhalten zu sehen, so greift doch derartiges nicht bis auf den Grund des religiösen Gebäudes. Ähnliches liesse sich über manche andere Zuthat ausführen und wird uns später noch beschäftigen.
Jene beiden Hauptpfeiler nun, auf denen die christlichen Theo- logen der ersten Jahrhunderte die neue Religion errichteten, sind: jüdischer historisch-chronistischer Glaube und indoeuropäische symbo- lische und metaphysische Mythologie. Wie ich schon früher aus- führlich dargethan habe, handelt es sich hier um zwei grundverschiedene Weltanschauungen.1) Jetzt wurden diese beiden Anschauungen mit einander amalgamiert. Indoeuropäer -- Männer in hellenischer Poesie und Philosophie grossgezogen -- gestalteten jüdische Geschichtsreligion so um, wie es ihrem phantasiereichen, nach Ideen dürstenden Geist zusagte; Juden andererseits bemächtigten sich (schon vor der Entstehung des Christentums) der Mythologie und Metaphysik der Griechen, durch- tränkten sie mit dem historischen Aberglauben ihres Volkes, und sponnen aus dem Ganzen ein abstraktes dogmatisches Gewebe, ebenso unfass- bar wie die erhabensten Spekulationen eines Plato und doch zugleich alles Transscendent-Allegorische zu empirischen Gestalten materiali- sierend: auf beiden Seiten also das Walten eines unheilbaren Miss- verständnisses und Unverständnisses, wie es die gewaltsame Ablenkung aus der eigenen Bahn bedingt. Im Christentum diese fremden Elemente zusammenzuschweissen, war das Werk der ersten Jahrhunderte, ein Werk, das natürlich nur unter unaufhörlichem Kampfe gelingen konnte. Auf seinen einfachsten Ausdruck zurückgeführt, ist dieser Kampf ein Wettstreit zwischen indoeuropäischen und jüdischen religiösen Instinkten um die Vorherrschaft. Er bricht sofort nach dem Tode Christi aus zwischen den Judenchristen und den Heidenchristen, wütet Jahrhunderte lang auf das Heftigste zwischen Gnose und Antignose, zwischen Aria- nern und Athanasiern, wacht in der Reformation wieder auf und wird heute zwar nicht mehr in den Wolken oder auf Schlachtfeldern, jedoch unterirdisch auf das Lebhafteste weitergeführt. Diesen Vorgang kann man sich durch ein Gleichnis deutlich machen. Es ist als nähme man zwei Bäume verschiedener Gattung, köpfte sie und böge sie -- ohne sie zu entwurzeln -- gegeneinander und verbände sie dann
1) Siehe namentlich S. 220 fg. und S. 391 fg.
Der Kampf.
»Umkehr« nicht stattgefunden hat; und ist es auch unterhaltend, einen Kirchenvater den Priestern seiner Diöcese die praktisch-weltbürgerliche (um nicht zu sagen rechtsanwältliche) Moral eines Cicero als Muster vorhalten zu sehen, so greift doch derartiges nicht bis auf den Grund des religiösen Gebäudes. Ähnliches liesse sich über manche andere Zuthat ausführen und wird uns später noch beschäftigen.
Jene beiden Hauptpfeiler nun, auf denen die christlichen Theo- logen der ersten Jahrhunderte die neue Religion errichteten, sind: jüdischer historisch-chronistischer Glaube und indoeuropäische symbo- lische und metaphysische Mythologie. Wie ich schon früher aus- führlich dargethan habe, handelt es sich hier um zwei grundverschiedene Weltanschauungen.1) Jetzt wurden diese beiden Anschauungen mit einander amalgamiert. Indoeuropäer — Männer in hellenischer Poesie und Philosophie grossgezogen — gestalteten jüdische Geschichtsreligion so um, wie es ihrem phantasiereichen, nach Ideen dürstenden Geist zusagte; Juden andererseits bemächtigten sich (schon vor der Entstehung des Christentums) der Mythologie und Metaphysik der Griechen, durch- tränkten sie mit dem historischen Aberglauben ihres Volkes, und sponnen aus dem Ganzen ein abstraktes dogmatisches Gewebe, ebenso unfass- bar wie die erhabensten Spekulationen eines Plato und doch zugleich alles Transscendent-Allegorische zu empirischen Gestalten materiali- sierend: auf beiden Seiten also das Walten eines unheilbaren Miss- verständnisses und Unverständnisses, wie es die gewaltsame Ablenkung aus der eigenen Bahn bedingt. Im Christentum diese fremden Elemente zusammenzuschweissen, war das Werk der ersten Jahrhunderte, ein Werk, das natürlich nur unter unaufhörlichem Kampfe gelingen konnte. Auf seinen einfachsten Ausdruck zurückgeführt, ist dieser Kampf ein Wettstreit zwischen indoeuropäischen und jüdischen religiösen Instinkten um die Vorherrschaft. Er bricht sofort nach dem Tode Christi aus zwischen den Judenchristen und den Heidenchristen, wütet Jahrhunderte lang auf das Heftigste zwischen Gnose und Antignose, zwischen Aria- nern und Athanasiern, wacht in der Reformation wieder auf und wird heute zwar nicht mehr in den Wolken oder auf Schlachtfeldern, jedoch unterirdisch auf das Lebhafteste weitergeführt. Diesen Vorgang kann man sich durch ein Gleichnis deutlich machen. Es ist als nähme man zwei Bäume verschiedener Gattung, köpfte sie und böge sie — ohne sie zu entwurzeln — gegeneinander und verbände sie dann
1) Siehe namentlich S. 220 fg. und S. 391 fg.
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Der Kampf.
»Umkehr« nicht stattgefunden hat; und ist es auch unterhaltend, einen
Kirchenvater den Priestern seiner Diöcese die praktisch-weltbürgerliche
(um nicht zu sagen rechtsanwältliche) Moral eines Cicero als Muster
vorhalten zu sehen, so greift doch derartiges nicht bis auf den Grund
des religiösen Gebäudes. Ähnliches liesse sich über manche andere
Zuthat ausführen und wird uns später noch beschäftigen.
Jene beiden Hauptpfeiler nun, auf denen die christlichen Theo-
logen der ersten Jahrhunderte die neue Religion errichteten, sind:
jüdischer historisch-chronistischer Glaube und indoeuropäische symbo-
lische und metaphysische Mythologie. Wie ich schon früher aus-
führlich dargethan habe, handelt es sich hier um zwei grundverschiedene
Weltanschauungen. 1) Jetzt wurden diese beiden Anschauungen mit
einander amalgamiert. Indoeuropäer — Männer in hellenischer Poesie
und Philosophie grossgezogen — gestalteten jüdische Geschichtsreligion
so um, wie es ihrem phantasiereichen, nach Ideen dürstenden Geist
zusagte; Juden andererseits bemächtigten sich (schon vor der Entstehung
des Christentums) der Mythologie und Metaphysik der Griechen, durch-
tränkten sie mit dem historischen Aberglauben ihres Volkes, und sponnen
aus dem Ganzen ein abstraktes dogmatisches Gewebe, ebenso unfass-
bar wie die erhabensten Spekulationen eines Plato und doch zugleich
alles Transscendent-Allegorische zu empirischen Gestalten materiali-
sierend: auf beiden Seiten also das Walten eines unheilbaren Miss-
verständnisses und Unverständnisses, wie es die gewaltsame Ablenkung
aus der eigenen Bahn bedingt. Im Christentum diese fremden Elemente
zusammenzuschweissen, war das Werk der ersten Jahrhunderte, ein
Werk, das natürlich nur unter unaufhörlichem Kampfe gelingen konnte.
Auf seinen einfachsten Ausdruck zurückgeführt, ist dieser Kampf ein
Wettstreit zwischen indoeuropäischen und jüdischen religiösen Instinkten
um die Vorherrschaft. Er bricht sofort nach dem Tode Christi aus
zwischen den Judenchristen und den Heidenchristen, wütet Jahrhunderte
lang auf das Heftigste zwischen Gnose und Antignose, zwischen Aria-
nern und Athanasiern, wacht in der Reformation wieder auf und
wird heute zwar nicht mehr in den Wolken oder auf Schlachtfeldern,
jedoch unterirdisch auf das Lebhafteste weitergeführt. Diesen Vorgang
kann man sich durch ein Gleichnis deutlich machen. Es ist als nähme
man zwei Bäume verschiedener Gattung, köpfte sie und böge sie —
ohne sie zu entwurzeln — gegeneinander und verbände sie dann
1) Siehe namentlich S. 220 fg. und S. 391 fg.
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 550. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/29>, abgerufen am 23.11.2024.
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