Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Entstehung einer neuen Welt.
diese dummen Phrasen. Doch auch auf dem Gebiet einer konkreten
und wahrhaftigen Geschichtsbetrachtung wird die Einsicht in den histo-
rischen Gang unserer Civilisation durch die einseitige Betonung der
Erfindung des Druckes verdunkelt. Die Idee des Druckes ist eine uralte;
jeder Stempel, jede Münze geht aus ihr hervor; das älteste Exemplar der
gotischen Bibelübersetzung, der sogenannte Codex argenteus, ist mit Hilfe
glühender Metalltypen auf Pergament "gedruckt"; entscheidend -- weil
unterscheidend -- ist nur die Art und Weise, wie die Germanen dazu
kamen, gegossene, zusammenstellbare Lettern und damit den praktischen
Buchdruck zu erfinden, und dies hängt wiederum mit ihrer Wert-
schätzung des Papiers zusammen. Denn der Buchdruck entsteht als Ver-
wendung des Papiers. Sobald das Papier -- d. h. also ein brauchbarer,
billiger Stoff zur Vervielfältigung -- da ist, fangen an hundert Orten
(in den Niederlanden, in Deutschland, in Italien, in Frankreich) die
fleissigen, findigen Germanen an, nach einer praktischen Lösung des
alten Problems, wie man Bücher mechanisch drucken könne, zu fahnden.
Es verlohnt sich, das, was hier vorging, genauer in Augenschein zu
nehmen, namentlich da Kompendien und Lexika über die früheste
Geschichte unseres Papiers noch sehr schlecht informiert sind. Erst
durch die Arbeiten von Joseph Karabacek und Julius Wiesner ist
nämlich volle Klarheit in diese Sache gekommen, und zwar mit dem
Ergebnis, dass hier eines der interessantesten Kapitel zu der Erkennt-
nis germanischer Eigenart vorliegt.1)

Auf die Idee, eine billige, handliche, allgemein verwendbare Unter-
lage für die Schrift zu fabrizieren (an Stelle des kostspieligen Pergamentes,
der noch kostspieligeren Seide, des verhältnismässig seltenen Papyrus,
der assyrischen Schreibziegel u. s. w.) scheinen jene emsigen Utilitarier,
die Chinesen, zuerst verfallen zu sein; doch entspricht die Behauptung,

1) Vergl. Karabacek: Das Arabische Papier, eine historisch-antiquarische Unter-
suchung,
Wien 1887 und Wiesner: Die mikroskopische Untersuchung des Papiers mit
besonderer Berücksichtigung der ältesten orientalischen und europäischen Papiere,
Wien 1887.
Die beiden Gelehrten haben zusammen, jeder in seinem Fache, diese Untersuchung
geführt, so dass ihre Arbeiten, wenn auch getrennt erschienen, sich gegenseitig
ergänzen und zusammen ein Ganzes bilden. Von entscheidender Wichtigkeit ist
die Feststellung, dass Papier aus baumwollenen Hadern nirgends vorkommt,
sondern die ältesten Stücke arabischer Manufaktur aus Leinenlumpen gemacht sind,
so dass dem Germanen (im Gegensatz zur bisherigen Annahme) nicht einmal der
bescheidene Einfall, Leinen an Stelle von Baumwolle zu gebrauchen, zu eigen bleibt.
Die Einzelheiten in meinen folgenden Ausführungen sind zum grossen Teil diesen
zwei Schriften entnommen.

Die Entstehung einer neuen Welt.
diese dummen Phrasen. Doch auch auf dem Gebiet einer konkreten
und wahrhaftigen Geschichtsbetrachtung wird die Einsicht in den histo-
rischen Gang unserer Civilisation durch die einseitige Betonung der
Erfindung des Druckes verdunkelt. Die Idee des Druckes ist eine uralte;
jeder Stempel, jede Münze geht aus ihr hervor; das älteste Exemplar der
gotischen Bibelübersetzung, der sogenannte Codex argenteus, ist mit Hilfe
glühender Metalltypen auf Pergament »gedruckt«; entscheidend — weil
unterscheidend — ist nur die Art und Weise, wie die Germanen dazu
kamen, gegossene, zusammenstellbare Lettern und damit den praktischen
Buchdruck zu erfinden, und dies hängt wiederum mit ihrer Wert-
schätzung des Papiers zusammen. Denn der Buchdruck entsteht als Ver-
wendung des Papiers. Sobald das Papier — d. h. also ein brauchbarer,
billiger Stoff zur Vervielfältigung — da ist, fangen an hundert Orten
(in den Niederlanden, in Deutschland, in Italien, in Frankreich) die
fleissigen, findigen Germanen an, nach einer praktischen Lösung des
alten Problems, wie man Bücher mechanisch drucken könne, zu fahnden.
Es verlohnt sich, das, was hier vorging, genauer in Augenschein zu
nehmen, namentlich da Kompendien und Lexika über die früheste
Geschichte unseres Papiers noch sehr schlecht informiert sind. Erst
durch die Arbeiten von Joseph Karabacek und Julius Wiesner ist
nämlich volle Klarheit in diese Sache gekommen, und zwar mit dem
Ergebnis, dass hier eines der interessantesten Kapitel zu der Erkennt-
nis germanischer Eigenart vorliegt.1)

Auf die Idee, eine billige, handliche, allgemein verwendbare Unter-
lage für die Schrift zu fabrizieren (an Stelle des kostspieligen Pergamentes,
der noch kostspieligeren Seide, des verhältnismässig seltenen Papyrus,
der assyrischen Schreibziegel u. s. w.) scheinen jene emsigen Utilitarier,
die Chinesen, zuerst verfallen zu sein; doch entspricht die Behauptung,

1) Vergl. Karabacek: Das Arabische Papier, eine historisch-antiquarische Unter-
suchung,
Wien 1887 und Wiesner: Die mikroskopische Untersuchung des Papiers mit
besonderer Berücksichtigung der ältesten orientalischen und europäischen Papiere,
Wien 1887.
Die beiden Gelehrten haben zusammen, jeder in seinem Fache, diese Untersuchung
geführt, so dass ihre Arbeiten, wenn auch getrennt erschienen, sich gegenseitig
ergänzen und zusammen ein Ganzes bilden. Von entscheidender Wichtigkeit ist
die Feststellung, dass Papier aus baumwollenen Hadern nirgends vorkommt,
sondern die ältesten Stücke arabischer Manufaktur aus Leinenlumpen gemacht sind,
so dass dem Germanen (im Gegensatz zur bisherigen Annahme) nicht einmal der
bescheidene Einfall, Leinen an Stelle von Baumwolle zu gebrauchen, zu eigen bleibt.
Die Einzelheiten in meinen folgenden Ausführungen sind zum grossen Teil diesen
zwei Schriften entnommen.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0295" n="816"/><fw place="top" type="header">Die Entstehung einer neuen Welt.</fw><lb/>
diese dummen Phrasen. Doch auch auf dem Gebiet einer konkreten<lb/>
und wahrhaftigen Geschichtsbetrachtung wird die Einsicht in den histo-<lb/>
rischen Gang unserer Civilisation durch die einseitige Betonung der<lb/>
Erfindung des Druckes verdunkelt. Die Idee des Druckes ist eine uralte;<lb/>
jeder Stempel, jede Münze geht aus ihr hervor; das älteste Exemplar der<lb/>
gotischen Bibelübersetzung, der sogenannte <hi rendition="#i">Codex argenteus,</hi> ist mit Hilfe<lb/>
glühender Metalltypen auf Pergament »gedruckt«; entscheidend &#x2014; weil<lb/>
unterscheidend &#x2014; ist nur die Art und Weise, wie die Germanen dazu<lb/>
kamen, gegossene, zusammenstellbare Lettern und damit den praktischen<lb/>
Buchdruck zu erfinden, und dies hängt wiederum mit ihrer Wert-<lb/>
schätzung des Papiers zusammen. Denn der Buchdruck entsteht als Ver-<lb/>
wendung des Papiers. Sobald das Papier &#x2014; d. h. also ein brauchbarer,<lb/>
billiger Stoff zur Vervielfältigung &#x2014; da ist, fangen an hundert Orten<lb/>
(in den Niederlanden, in Deutschland, in Italien, in Frankreich) die<lb/>
fleissigen, findigen Germanen an, nach einer praktischen Lösung des<lb/>
alten Problems, wie man Bücher mechanisch drucken könne, zu fahnden.<lb/>
Es verlohnt sich, das, was hier vorging, genauer in Augenschein zu<lb/>
nehmen, namentlich da Kompendien und Lexika über die früheste<lb/>
Geschichte unseres Papiers noch sehr schlecht informiert sind. Erst<lb/>
durch die Arbeiten von Joseph Karabacek und Julius Wiesner ist<lb/>
nämlich volle Klarheit in diese Sache gekommen, und zwar mit dem<lb/>
Ergebnis, dass hier eines der interessantesten Kapitel zu der Erkennt-<lb/>
nis germanischer Eigenart vorliegt.<note place="foot" n="1)">Vergl. Karabacek: <hi rendition="#i">Das Arabische Papier, eine historisch-antiquarische Unter-<lb/>
suchung,</hi> Wien 1887 und Wiesner: <hi rendition="#i">Die mikroskopische Untersuchung des Papiers mit<lb/>
besonderer Berücksichtigung der ältesten orientalischen und europäischen Papiere,</hi> Wien 1887.<lb/>
Die beiden Gelehrten haben zusammen, jeder in seinem Fache, diese Untersuchung<lb/>
geführt, so dass ihre Arbeiten, wenn auch getrennt erschienen, sich gegenseitig<lb/>
ergänzen und zusammen ein Ganzes bilden. Von entscheidender Wichtigkeit ist<lb/>
die Feststellung, dass Papier aus <hi rendition="#g">baumwollenen</hi> Hadern nirgends vorkommt,<lb/>
sondern die ältesten Stücke arabischer Manufaktur aus Leinenlumpen gemacht sind,<lb/>
so dass dem Germanen (im Gegensatz zur bisherigen Annahme) nicht einmal der<lb/>
bescheidene Einfall, Leinen an Stelle von Baumwolle zu gebrauchen, zu eigen bleibt.<lb/>
Die Einzelheiten in meinen folgenden Ausführungen sind zum grossen Teil diesen<lb/>
zwei Schriften entnommen.</note></p><lb/>
              <p>Auf die Idee, eine billige, handliche, allgemein verwendbare Unter-<lb/>
lage für die Schrift zu fabrizieren (an Stelle des kostspieligen Pergamentes,<lb/>
der noch kostspieligeren Seide, des verhältnismässig seltenen Papyrus,<lb/>
der assyrischen Schreibziegel u. s. w.) scheinen jene emsigen Utilitarier,<lb/>
die Chinesen, zuerst verfallen zu sein; doch entspricht die Behauptung,<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[816/0295] Die Entstehung einer neuen Welt. diese dummen Phrasen. Doch auch auf dem Gebiet einer konkreten und wahrhaftigen Geschichtsbetrachtung wird die Einsicht in den histo- rischen Gang unserer Civilisation durch die einseitige Betonung der Erfindung des Druckes verdunkelt. Die Idee des Druckes ist eine uralte; jeder Stempel, jede Münze geht aus ihr hervor; das älteste Exemplar der gotischen Bibelübersetzung, der sogenannte Codex argenteus, ist mit Hilfe glühender Metalltypen auf Pergament »gedruckt«; entscheidend — weil unterscheidend — ist nur die Art und Weise, wie die Germanen dazu kamen, gegossene, zusammenstellbare Lettern und damit den praktischen Buchdruck zu erfinden, und dies hängt wiederum mit ihrer Wert- schätzung des Papiers zusammen. Denn der Buchdruck entsteht als Ver- wendung des Papiers. Sobald das Papier — d. h. also ein brauchbarer, billiger Stoff zur Vervielfältigung — da ist, fangen an hundert Orten (in den Niederlanden, in Deutschland, in Italien, in Frankreich) die fleissigen, findigen Germanen an, nach einer praktischen Lösung des alten Problems, wie man Bücher mechanisch drucken könne, zu fahnden. Es verlohnt sich, das, was hier vorging, genauer in Augenschein zu nehmen, namentlich da Kompendien und Lexika über die früheste Geschichte unseres Papiers noch sehr schlecht informiert sind. Erst durch die Arbeiten von Joseph Karabacek und Julius Wiesner ist nämlich volle Klarheit in diese Sache gekommen, und zwar mit dem Ergebnis, dass hier eines der interessantesten Kapitel zu der Erkennt- nis germanischer Eigenart vorliegt. 1) Auf die Idee, eine billige, handliche, allgemein verwendbare Unter- lage für die Schrift zu fabrizieren (an Stelle des kostspieligen Pergamentes, der noch kostspieligeren Seide, des verhältnismässig seltenen Papyrus, der assyrischen Schreibziegel u. s. w.) scheinen jene emsigen Utilitarier, die Chinesen, zuerst verfallen zu sein; doch entspricht die Behauptung, 1) Vergl. Karabacek: Das Arabische Papier, eine historisch-antiquarische Unter- suchung, Wien 1887 und Wiesner: Die mikroskopische Untersuchung des Papiers mit besonderer Berücksichtigung der ältesten orientalischen und europäischen Papiere, Wien 1887. Die beiden Gelehrten haben zusammen, jeder in seinem Fache, diese Untersuchung geführt, so dass ihre Arbeiten, wenn auch getrennt erschienen, sich gegenseitig ergänzen und zusammen ein Ganzes bilden. Von entscheidender Wichtigkeit ist die Feststellung, dass Papier aus baumwollenen Hadern nirgends vorkommt, sondern die ältesten Stücke arabischer Manufaktur aus Leinenlumpen gemacht sind, so dass dem Germanen (im Gegensatz zur bisherigen Annahme) nicht einmal der bescheidene Einfall, Leinen an Stelle von Baumwolle zu gebrauchen, zu eigen bleibt. Die Einzelheiten in meinen folgenden Ausführungen sind zum grossen Teil diesen zwei Schriften entnommen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/295
Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 816. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/295>, abgerufen am 21.11.2024.