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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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und dadurch auch für die Gegenwart gewinnen; allerdings kein wissen-
schaftlich nationalökonomisches (das müssen wir den Fachgelehrten
überlassen), doch ein solches, wie es der gewöhnliche Mensch für die
richtige Auffassung seiner Zeit gebrauchen kann.

Zu Grunde liegt eine einfache, unwandelbar sich gleichbleibende,
konkrete Thatsache: die wechselnde Form, welche wirtschaftliche Ver-
hältnisse bei bestimmten Menschen annehmen, ist ein direkter Ausfluss
ihres Charakters, und der Charakter des Germanen, dessen allgemeinste
Grundzüge ich im sechsten Kapitel gezeichnet habe, führt notwendiger
Weise zu bestimmten, wenn auch wechselnden Gestaltungen des wirt-
schaftlichen Lebens und zu ewig in ähnlicher Weise sich wiederholenden
Konflikten und Entwickelungsphasen. Man glaube nur ja nicht, dass
hier etwas allgemein Menschliches vorliege; die Geschichte bietet uns
im Gegenteil nichts Ähnliches, oder wenigstens nur oberflächliche Ähn-
lichkeiten. Denn das, was uns auszeichnet und unterscheidet, ist das
gleichzeitige Vorwalten der beiden Triebe -- zur Absonderung und
zur Vereinigung. Als Cato fragt, was Dante auf seinem beschwer-
lichen Wege suche, erhält er zur Antwort:

Liberta va cercando!

Dieses Suchen nach Freiheit liegt jenen beiden Äusserungen unseres
Charakters gleichmässig zu Grunde. Um wirtschaftlich frei zu sein,
verbinden wir uns mit Anderen; um wirtschaftlich frei zu sein, scheiden
wir aus dem Verband und setzen das eigene Haupt gegen die Welt aufs
Spiel. Daraus ergiebt sich für die Indoeuropäer ein so ganz anderes wirt-
schaftliches Leben, als für die semitischen Völker,1) die Chinesen u. s. w.
Doch, wie ich S. 504 fg. zeigte, weicht der germanische Charakter
und namentlich sein Freiheitsbegriff nicht unwesentlich auch von
dem seiner nächsten indoeuropäischen Verwandten ab. Wir sahen in
Rom die grosse "kooperative" Volkskraft zermalmend auf jeglicher
autonomen Entwickelung der geistigen und moralischen Persönlich-
keit lasten; als dann später die ungeheuren Reichtümer einzelner Indi-
viduen das System des Monopols einführten, diente dies nur dazu, den
Staat zu Grunde zu richten, wo dann nichts übrig blieb als physio-
gnomieloses Menschenchaos; denn die Römer waren so beanlagt, dass
sie einzig im Verband Grosses leisteten, dagegen aus dem Monopol kein
wirtschaftliches Leben zu entwickeln vermochten. In Griechenland
finden wir allerdings eine grössere Harmonie der Anlagen, doch hier

1) Siehe Mommsen über Karthago z. B., oben S. 141 fg.

Wirtschaft.
und dadurch auch für die Gegenwart gewinnen; allerdings kein wissen-
schaftlich nationalökonomisches (das müssen wir den Fachgelehrten
überlassen), doch ein solches, wie es der gewöhnliche Mensch für die
richtige Auffassung seiner Zeit gebrauchen kann.

Zu Grunde liegt eine einfache, unwandelbar sich gleichbleibende,
konkrete Thatsache: die wechselnde Form, welche wirtschaftliche Ver-
hältnisse bei bestimmten Menschen annehmen, ist ein direkter Ausfluss
ihres Charakters, und der Charakter des Germanen, dessen allgemeinste
Grundzüge ich im sechsten Kapitel gezeichnet habe, führt notwendiger
Weise zu bestimmten, wenn auch wechselnden Gestaltungen des wirt-
schaftlichen Lebens und zu ewig in ähnlicher Weise sich wiederholenden
Konflikten und Entwickelungsphasen. Man glaube nur ja nicht, dass
hier etwas allgemein Menschliches vorliege; die Geschichte bietet uns
im Gegenteil nichts Ähnliches, oder wenigstens nur oberflächliche Ähn-
lichkeiten. Denn das, was uns auszeichnet und unterscheidet, ist das
gleichzeitige Vorwalten der beiden Triebe — zur Absonderung und
zur Vereinigung. Als Cato fragt, was Dante auf seinem beschwer-
lichen Wege suche, erhält er zur Antwort:

Libertà va cercando!

Dieses Suchen nach Freiheit liegt jenen beiden Äusserungen unseres
Charakters gleichmässig zu Grunde. Um wirtschaftlich frei zu sein,
verbinden wir uns mit Anderen; um wirtschaftlich frei zu sein, scheiden
wir aus dem Verband und setzen das eigene Haupt gegen die Welt aufs
Spiel. Daraus ergiebt sich für die Indoeuropäer ein so ganz anderes wirt-
schaftliches Leben, als für die semitischen Völker,1) die Chinesen u. s. w.
Doch, wie ich S. 504 fg. zeigte, weicht der germanische Charakter
und namentlich sein Freiheitsbegriff nicht unwesentlich auch von
dem seiner nächsten indoeuropäischen Verwandten ab. Wir sahen in
Rom die grosse »kooperative« Volkskraft zermalmend auf jeglicher
autonomen Entwickelung der geistigen und moralischen Persönlich-
keit lasten; als dann später die ungeheuren Reichtümer einzelner Indi-
viduen das System des Monopols einführten, diente dies nur dazu, den
Staat zu Grunde zu richten, wo dann nichts übrig blieb als physio-
gnomieloses Menschenchaos; denn die Römer waren so beanlagt, dass
sie einzig im Verband Grosses leisteten, dagegen aus dem Monopol kein
wirtschaftliches Leben zu entwickeln vermochten. In Griechenland
finden wir allerdings eine grössere Harmonie der Anlagen, doch hier

1) Siehe Mommsen über Karthago z. B., oben S. 141 fg.
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[823/0302] Wirtschaft. und dadurch auch für die Gegenwart gewinnen; allerdings kein wissen- schaftlich nationalökonomisches (das müssen wir den Fachgelehrten überlassen), doch ein solches, wie es der gewöhnliche Mensch für die richtige Auffassung seiner Zeit gebrauchen kann. Zu Grunde liegt eine einfache, unwandelbar sich gleichbleibende, konkrete Thatsache: die wechselnde Form, welche wirtschaftliche Ver- hältnisse bei bestimmten Menschen annehmen, ist ein direkter Ausfluss ihres Charakters, und der Charakter des Germanen, dessen allgemeinste Grundzüge ich im sechsten Kapitel gezeichnet habe, führt notwendiger Weise zu bestimmten, wenn auch wechselnden Gestaltungen des wirt- schaftlichen Lebens und zu ewig in ähnlicher Weise sich wiederholenden Konflikten und Entwickelungsphasen. Man glaube nur ja nicht, dass hier etwas allgemein Menschliches vorliege; die Geschichte bietet uns im Gegenteil nichts Ähnliches, oder wenigstens nur oberflächliche Ähn- lichkeiten. Denn das, was uns auszeichnet und unterscheidet, ist das gleichzeitige Vorwalten der beiden Triebe — zur Absonderung und zur Vereinigung. Als Cato fragt, was Dante auf seinem beschwer- lichen Wege suche, erhält er zur Antwort: Libertà va cercando! Dieses Suchen nach Freiheit liegt jenen beiden Äusserungen unseres Charakters gleichmässig zu Grunde. Um wirtschaftlich frei zu sein, verbinden wir uns mit Anderen; um wirtschaftlich frei zu sein, scheiden wir aus dem Verband und setzen das eigene Haupt gegen die Welt aufs Spiel. Daraus ergiebt sich für die Indoeuropäer ein so ganz anderes wirt- schaftliches Leben, als für die semitischen Völker, 1) die Chinesen u. s. w. Doch, wie ich S. 504 fg. zeigte, weicht der germanische Charakter und namentlich sein Freiheitsbegriff nicht unwesentlich auch von dem seiner nächsten indoeuropäischen Verwandten ab. Wir sahen in Rom die grosse »kooperative« Volkskraft zermalmend auf jeglicher autonomen Entwickelung der geistigen und moralischen Persönlich- keit lasten; als dann später die ungeheuren Reichtümer einzelner Indi- viduen das System des Monopols einführten, diente dies nur dazu, den Staat zu Grunde zu richten, wo dann nichts übrig blieb als physio- gnomieloses Menschenchaos; denn die Römer waren so beanlagt, dass sie einzig im Verband Grosses leisteten, dagegen aus dem Monopol kein wirtschaftliches Leben zu entwickeln vermochten. In Griechenland finden wir allerdings eine grössere Harmonie der Anlagen, doch hier 1) Siehe Mommsen über Karthago z. B., oben S. 141 fg.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 823. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/302>, abgerufen am 22.11.2024.