Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Die Entstehung einer neuen Welt. fern sie eine Grundlage für echte Religiosität abgiebt; doch ist diemoderne Voraussetzung, jede Kirche vertrage sich mit jeder Politik, eine Tollheit. In der künstlichen Organisation der Gesellschaft bildet die Kirche das innerste Rad, d. h. einen wesentlichen Teil des poli- tischen Uhrwerkes. Freilich kann diesem Rade in dem Gesamtmecha- nismus eine grössere oder geringere Wichtigkeit zukommen, doch ist es unmöglich, dass seine Struktur und Thätigkeit ohne Einfluss auf das Ganze bleibe. Wer kann denn die Geschichte der europäischen Staaten vom Jahre 1500 bis zum Jahre 1900 betrachten, ohne zugeben zu müssen, dass die römische Kirche sichtbar einen gewaltigen Ein- fluss auf die politische Geschichte der Nationen ausübe? Man blicke auf die (der überwiegenden und massgebenden Mehrzahl nach) der römisch-katholischen Kirche angehörigen Nationen, und man blicke auf die sogenannten "protestantischen", d. h. nicht-römischen Nationen! Das Urteil wird möglicher Weise verschieden ausfallen; doch wer wird den Einfluss der Kirche in Abrede stellen? Mancher wird viel- leicht hier einwerfen, es handle sich um Rassenunterschiede, und ich habe selber so grosses Gewicht auf die physische Gestaltung als Grund- lage der sittlichen Persönlichkeit gelegt, dass ich der Letzte wäre, die Berechtigung dieser Ansicht zu bestreiten;1) doch ist nichts gefähr- licher als Geschichte aus einem einzigen Prinzipe herauskonstruieren zu wollen; die Natur ist unendlich verwickelt; was wir als Rasse be- zeichnen, ist innerhalb gewisser Grenzen ein plastisches Phänomen, und wie das Physische auf das Intellektuelle, so kann auch das Intellek- tuelle auf das Physische zurückwirken. Man nehme z. B. an, die religiöse Reform, welche im spanischen Adel gotischer Abkunft eine Zeit lang so hohe Wellen schlug, hätte in einem feurigen, verwegenen Fürsten den Mann gefunden, fähig die Nation -- und wäre es auch mit Feuer und Schwert gewesen -- von Rom loszureissen; (ob er den Lutheranern, Zwinglianern, Calvinisten oder irgend einer anderen Sekte angehört hätte, ist erwiesenermassen durchaus nebensächlich, entscheidend ist allein die vollkommene Trennung von Rom): glaubt irgend Jemand, dass Spanien, und sei seine Bevölkerung noch so sehr mit iberischen und völkerchaotischen Elementen durchsetzt, heute da stünde, wo es steht? Gewiss glaubt das Niemand, Niemand wenigstens, der, wie ich, diese edlen, tapferen Männer, diese schönen feurigen Geschwürms mehr ist" verloren habe, nunmehr "zur Schule zu geben, die armen Kinder aufzuziehen, das so herzlich wohl angelegt ist." 1) Siehe S. 313, 575, etc.
Die Entstehung einer neuen Welt. fern sie eine Grundlage für echte Religiosität abgiebt; doch ist diemoderne Voraussetzung, jede Kirche vertrage sich mit jeder Politik, eine Tollheit. In der künstlichen Organisation der Gesellschaft bildet die Kirche das innerste Rad, d. h. einen wesentlichen Teil des poli- tischen Uhrwerkes. Freilich kann diesem Rade in dem Gesamtmecha- nismus eine grössere oder geringere Wichtigkeit zukommen, doch ist es unmöglich, dass seine Struktur und Thätigkeit ohne Einfluss auf das Ganze bleibe. Wer kann denn die Geschichte der europäischen Staaten vom Jahre 1500 bis zum Jahre 1900 betrachten, ohne zugeben zu müssen, dass die römische Kirche sichtbar einen gewaltigen Ein- fluss auf die politische Geschichte der Nationen ausübe? Man blicke auf die (der überwiegenden und massgebenden Mehrzahl nach) der römisch-katholischen Kirche angehörigen Nationen, und man blicke auf die sogenannten »protestantischen«, d. h. nicht-römischen Nationen! Das Urteil wird möglicher Weise verschieden ausfallen; doch wer wird den Einfluss der Kirche in Abrede stellen? Mancher wird viel- leicht hier einwerfen, es handle sich um Rassenunterschiede, und ich habe selber so grosses Gewicht auf die physische Gestaltung als Grund- lage der sittlichen Persönlichkeit gelegt, dass ich der Letzte wäre, die Berechtigung dieser Ansicht zu bestreiten;1) doch ist nichts gefähr- licher als Geschichte aus einem einzigen Prinzipe herauskonstruieren zu wollen; die Natur ist unendlich verwickelt; was wir als Rasse be- zeichnen, ist innerhalb gewisser Grenzen ein plastisches Phänomen, und wie das Physische auf das Intellektuelle, so kann auch das Intellek- tuelle auf das Physische zurückwirken. Man nehme z. B. an, die religiöse Reform, welche im spanischen Adel gotischer Abkunft eine Zeit lang so hohe Wellen schlug, hätte in einem feurigen, verwegenen Fürsten den Mann gefunden, fähig die Nation — und wäre es auch mit Feuer und Schwert gewesen — von Rom loszureissen; (ob er den Lutheranern, Zwinglianern, Calvinisten oder irgend einer anderen Sekte angehört hätte, ist erwiesenermassen durchaus nebensächlich, entscheidend ist allein die vollkommene Trennung von Rom): glaubt irgend Jemand, dass Spanien, und sei seine Bevölkerung noch so sehr mit iberischen und völkerchaotischen Elementen durchsetzt, heute da stünde, wo es steht? Gewiss glaubt das Niemand, Niemand wenigstens, der, wie ich, diese edlen, tapferen Männer, diese schönen feurigen Geschwürms mehr ist« verloren habe, nunmehr »zur Schule zu geben, die armen Kinder aufzuziehen, das so herzlich wohl angelegt ist.« 1) Siehe S. 313, 575, etc.
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Die Entstehung einer neuen Welt.
fern sie eine Grundlage für echte Religiosität abgiebt; doch ist die
moderne Voraussetzung, jede Kirche vertrage sich mit jeder Politik,
eine Tollheit. In der künstlichen Organisation der Gesellschaft bildet
die Kirche das innerste Rad, d. h. einen wesentlichen Teil des poli-
tischen Uhrwerkes. Freilich kann diesem Rade in dem Gesamtmecha-
nismus eine grössere oder geringere Wichtigkeit zukommen, doch ist
es unmöglich, dass seine Struktur und Thätigkeit ohne Einfluss auf
das Ganze bleibe. Wer kann denn die Geschichte der europäischen
Staaten vom Jahre 1500 bis zum Jahre 1900 betrachten, ohne zugeben
zu müssen, dass die römische Kirche sichtbar einen gewaltigen Ein-
fluss auf die politische Geschichte der Nationen ausübe? Man blicke
auf die (der überwiegenden und massgebenden Mehrzahl nach) der
römisch-katholischen Kirche angehörigen Nationen, und man blicke
auf die sogenannten »protestantischen«, d. h. nicht-römischen Nationen!
Das Urteil wird möglicher Weise verschieden ausfallen; doch wer
wird den Einfluss der Kirche in Abrede stellen? Mancher wird viel-
leicht hier einwerfen, es handle sich um Rassenunterschiede, und ich
habe selber so grosses Gewicht auf die physische Gestaltung als Grund-
lage der sittlichen Persönlichkeit gelegt, dass ich der Letzte wäre, die
Berechtigung dieser Ansicht zu bestreiten; 1) doch ist nichts gefähr-
licher als Geschichte aus einem einzigen Prinzipe herauskonstruieren
zu wollen; die Natur ist unendlich verwickelt; was wir als Rasse be-
zeichnen, ist innerhalb gewisser Grenzen ein plastisches Phänomen,
und wie das Physische auf das Intellektuelle, so kann auch das Intellek-
tuelle auf das Physische zurückwirken. Man nehme z. B. an, die
religiöse Reform, welche im spanischen Adel gotischer Abkunft eine
Zeit lang so hohe Wellen schlug, hätte in einem feurigen, verwegenen
Fürsten den Mann gefunden, fähig die Nation — und wäre es auch
mit Feuer und Schwert gewesen — von Rom loszureissen; (ob er
den Lutheranern, Zwinglianern, Calvinisten oder irgend einer anderen
Sekte angehört hätte, ist erwiesenermassen durchaus nebensächlich,
entscheidend ist allein die vollkommene Trennung von Rom): glaubt
irgend Jemand, dass Spanien, und sei seine Bevölkerung noch so sehr
mit iberischen und völkerchaotischen Elementen durchsetzt, heute da
stünde, wo es steht? Gewiss glaubt das Niemand, Niemand wenigstens,
der, wie ich, diese edlen, tapferen Männer, diese schönen feurigen
1)
1) Siehe S. 313, 575, etc.
1) Geschwürms mehr ist« verloren habe, nunmehr »zur Schule zu geben, die armen
Kinder aufzuziehen, das so herzlich wohl angelegt ist.«
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