Verlauf der Reformation sich in mancher Beziehung gestalten sollte -- wo habgierige, bigotte und (um mit Treitschke zu reden) "beispiellos unfähige" Fürsten das endlich erwachte Germanien, so weit sie es vermochten, mit Feuer und Schwert wieder entgermanisierten und der Pflege der Basken und ihrer Kinder anvertrauten -- Luther's That ging doch nicht unter, und zwar deswegen nicht, weil sie auf fester politischer Grundlage ruhte. Es ist lächerlich, die sogenannten "Lutheraner" zu zählen und danach Luther's Wirken zu ermessen; denn dieser Held hat die ganze Welt emanzipiert, und der heutige Katholik verdankt es ihm ebenso sehr wie jeder Andere, wenn er ein freier Mann ist.
Dass Luther mehr ein Politiker als ein Theolog war, schliesst natürlich nicht aus, dass die lebendige Kraft zu seinem Thun aus einem tiefinneren Quell floss: aus seiner Religion, die wir mit seiner Kirche nicht verwechseln wollen. Doch gehört das nicht in diesen Abschnitt; hier genügt es, das Eine zu sagen, dass Luther's inbrünstige Vaterlandsliebe ein Teil seiner Religion war. Aber auch ein Weiteres ist bemerkenswert, dass nämlich, sobald die Reformation als Schild- erhebung gegen Rom aufgetreten war, die religiöse Gährung, welche schon seit Jahrhunderten die Gemüter wie in einem beständigen Fieber erhalten hatte, fast plötzlich aufhörte. Religionskriege finden freilich statt, in denen aber ganz ruhig Katholiken (wie Richelieu) sich mit Protestanten gegen andere Katholiken verbinden. Hugenotten ringen zwar mit Gallikanern um die Vorherrschaft, und Papisten und Angli- kaner köpfen sich gegenseitig fleissig: überall steht jedoch das politische Moment im Vordergrund. Der Protestant sagt nicht mehr das ganze Evangelium auswendig her, neue Interessen nehmen jetzt sein Denken in Anspruch; nicht einmal der fromme Herder kann im kirchlichen Sinne des Wortes gläubig genannt werden, er hat zu wahrhaftig auf die Stimme der Völker und auf die Stimme der Natur gelauscht; und der Jesuit, als Beichtvater der Monarchen und als Bekehrer der Völker, drückt beide Augen vor allen dogmatischen Verirrungen zu, wenn nur die Macht Rom's gefördert wird. Man sieht. wie der mächtige Impuls, der von Luther ausgeht, die Menschen hinwegtreibt von den kirchlich- religiösen Dingen; gewiss, sie gehen nicht alle in einer Richtung, sondern stieben auseinander, doch ist die Tendenz -- die wir auch in unserem Jahrhundert bemerken konnten -- eine zunehmende Gleich- gültigkeit, und zwar eine Gleichgültigkeit, welche die nicht-römischen Kirchen, als die schwächsten, zuerst trifft. Auch dies ist ein politisch- kirchliches Moment von höchster Wichtigkeit für das Verständnis des
Politik und Kirche.
Verlauf der Reformation sich in mancher Beziehung gestalten sollte — wo habgierige, bigotte und (um mit Treitschke zu reden) »beispiellos unfähige« Fürsten das endlich erwachte Germanien, so weit sie es vermochten, mit Feuer und Schwert wieder entgermanisierten und der Pflege der Basken und ihrer Kinder anvertrauten — Luther’s That ging doch nicht unter, und zwar deswegen nicht, weil sie auf fester politischer Grundlage ruhte. Es ist lächerlich, die sogenannten »Lutheraner« zu zählen und danach Luther’s Wirken zu ermessen; denn dieser Held hat die ganze Welt emanzipiert, und der heutige Katholik verdankt es ihm ebenso sehr wie jeder Andere, wenn er ein freier Mann ist.
Dass Luther mehr ein Politiker als ein Theolog war, schliesst natürlich nicht aus, dass die lebendige Kraft zu seinem Thun aus einem tiefinneren Quell floss: aus seiner Religion, die wir mit seiner Kirche nicht verwechseln wollen. Doch gehört das nicht in diesen Abschnitt; hier genügt es, das Eine zu sagen, dass Luther’s inbrünstige Vaterlandsliebe ein Teil seiner Religion war. Aber auch ein Weiteres ist bemerkenswert, dass nämlich, sobald die Reformation als Schild- erhebung gegen Rom aufgetreten war, die religiöse Gährung, welche schon seit Jahrhunderten die Gemüter wie in einem beständigen Fieber erhalten hatte, fast plötzlich aufhörte. Religionskriege finden freilich statt, in denen aber ganz ruhig Katholiken (wie Richelieu) sich mit Protestanten gegen andere Katholiken verbinden. Hugenotten ringen zwar mit Gallikanern um die Vorherrschaft, und Papisten und Angli- kaner köpfen sich gegenseitig fleissig: überall steht jedoch das politische Moment im Vordergrund. Der Protestant sagt nicht mehr das ganze Evangelium auswendig her, neue Interessen nehmen jetzt sein Denken in Anspruch; nicht einmal der fromme Herder kann im kirchlichen Sinne des Wortes gläubig genannt werden, er hat zu wahrhaftig auf die Stimme der Völker und auf die Stimme der Natur gelauscht; und der Jesuit, als Beichtvater der Monarchen und als Bekehrer der Völker, drückt beide Augen vor allen dogmatischen Verirrungen zu, wenn nur die Macht Rom’s gefördert wird. Man sieht. wie der mächtige Impuls, der von Luther ausgeht, die Menschen hinwegtreibt von den kirchlich- religiösen Dingen; gewiss, sie gehen nicht alle in einer Richtung, sondern stieben auseinander, doch ist die Tendenz — die wir auch in unserem Jahrhundert bemerken konnten — eine zunehmende Gleich- gültigkeit, und zwar eine Gleichgültigkeit, welche die nicht-römischen Kirchen, als die schwächsten, zuerst trifft. Auch dies ist ein politisch- kirchliches Moment von höchster Wichtigkeit für das Verständnis des
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[847/0326]
Politik und Kirche.
Verlauf der Reformation sich in mancher Beziehung gestalten sollte —
wo habgierige, bigotte und (um mit Treitschke zu reden) »beispiellos
unfähige« Fürsten das endlich erwachte Germanien, so weit sie es
vermochten, mit Feuer und Schwert wieder entgermanisierten und der
Pflege der Basken und ihrer Kinder anvertrauten — Luther’s That ging
doch nicht unter, und zwar deswegen nicht, weil sie auf fester politischer
Grundlage ruhte. Es ist lächerlich, die sogenannten »Lutheraner« zu
zählen und danach Luther’s Wirken zu ermessen; denn dieser Held
hat die ganze Welt emanzipiert, und der heutige Katholik verdankt es
ihm ebenso sehr wie jeder Andere, wenn er ein freier Mann ist.
Dass Luther mehr ein Politiker als ein Theolog war, schliesst
natürlich nicht aus, dass die lebendige Kraft zu seinem Thun aus
einem tiefinneren Quell floss: aus seiner Religion, die wir mit seiner
Kirche nicht verwechseln wollen. Doch gehört das nicht in diesen
Abschnitt; hier genügt es, das Eine zu sagen, dass Luther’s inbrünstige
Vaterlandsliebe ein Teil seiner Religion war. Aber auch ein Weiteres
ist bemerkenswert, dass nämlich, sobald die Reformation als Schild-
erhebung gegen Rom aufgetreten war, die religiöse Gährung, welche
schon seit Jahrhunderten die Gemüter wie in einem beständigen Fieber
erhalten hatte, fast plötzlich aufhörte. Religionskriege finden freilich
statt, in denen aber ganz ruhig Katholiken (wie Richelieu) sich mit
Protestanten gegen andere Katholiken verbinden. Hugenotten ringen
zwar mit Gallikanern um die Vorherrschaft, und Papisten und Angli-
kaner köpfen sich gegenseitig fleissig: überall steht jedoch das politische
Moment im Vordergrund. Der Protestant sagt nicht mehr das ganze
Evangelium auswendig her, neue Interessen nehmen jetzt sein Denken
in Anspruch; nicht einmal der fromme Herder kann im kirchlichen
Sinne des Wortes gläubig genannt werden, er hat zu wahrhaftig auf
die Stimme der Völker und auf die Stimme der Natur gelauscht; und
der Jesuit, als Beichtvater der Monarchen und als Bekehrer der Völker,
drückt beide Augen vor allen dogmatischen Verirrungen zu, wenn nur
die Macht Rom’s gefördert wird. Man sieht. wie der mächtige Impuls,
der von Luther ausgeht, die Menschen hinwegtreibt von den kirchlich-
religiösen Dingen; gewiss, sie gehen nicht alle in einer Richtung,
sondern stieben auseinander, doch ist die Tendenz — die wir auch in
unserem Jahrhundert bemerken konnten — eine zunehmende Gleich-
gültigkeit, und zwar eine Gleichgültigkeit, welche die nicht-römischen
Kirchen, als die schwächsten, zuerst trifft. Auch dies ist ein politisch-
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 847. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/326>, abgerufen am 22.11.2024.
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