Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Religion. lose, mystische Selbstvernichtung der aus Indien nach Kleinasien im-portierten Theologie, auch nicht die umgekehrte Lösung der Aufgabe, wie wir sie bei dem jüdischen Neoplatoniker Philo finden, wo der israeli- tische Glaube mystisch-symbolisch aufgefasst wird, und das hellenische Denken, greisenhaft verunstaltet, diese sonderbar aufgeputzte jüngste Tochter Israel's umarmen muss (etwa wie David die Abisag) -- -- -- dies Alles hätte nicht zum Ziele geführt, das liegt ja deutlich vor Augen. Wie könnte man es sonst erklären, dass gerade um die Zeit, als Christus geboren wurde, das Judentum selber, so abschliessend seinem Wesen nach, so abstossend gegen alles Fremde, so streng und freude- los und schönheitsbar, einen wahren Triumphzug der Propaganda be- gonnen hatte? Die jüdische Religion ist aller Bekehrung abhold, doch die Anderen, von Sehnsucht nach Glauben getrieben, traten in Scharen zu ihr über. Und zwar trotzdem der Jude verhasst war. Man redet vom heutigen Antisemitismus; Renan versichert uns, diese Bewegung des Abscheues gegen jüdisches Wesen habe in dem Jahrhundert vor Christi Geburt viel heftiger gewütet.1) Was bildet denn die geheime Anziehungskraft des Judentums? Sein Wille. Der Wille, der, im re- ligiösen Gebiete schaltend, unbedingten, blinden Glauben erzeugt. Dichtkunst, Philosophie, Wissenschaft, Mystik, Mythologie -- -- -- sie alle schweifen weit ab und legen insofern den Willen lahm; sie zeugen von einer weltentrückten, spekulativen, idealen Gesinnung, die bei allen Edleren jene stolze Geringschätzung des Lebens hervor- ruft, welche dem indischen Weisen ermöglicht, sich lebend in sein eigenes Grab zu legen, welche die unnachahmliche Grösse von Homer's Achilleus ausmacht, welche den deutschen Siegfried zu einem Typus der Furchtlosigkeit stempelt, und welche in unserem Jahrhundert monumentalen Ausdruck sich schuf in Schopenhauer's Lehre von der Verneinung des Willens zum Leben. Der Wille ist hier gewisser- massen nach innen gerichtet. Ganz anders beim Juden. Sein Wille streckte sich zu allen Zeiten nach aussen; es war der unbedingte Wille zum Leben. Dieser Wille zum Leben war das erste, was das Judentum dem Christentum schenkte: daher jener Widerspruch, der noch heute so Manchem als unlösbares Rätsel auffällt, zwischen einer Lehre der inneren Umkehr, der Duldung und der Barmherzigkeit und einer Religion ausschliesslicher Selbstbehauptung und fanatischer Un- duldsamkeit. 1) Histoire du peuple d'Israel V, 227.
Religion. lose, mystische Selbstvernichtung der aus Indien nach Kleinasien im-portierten Theologie, auch nicht die umgekehrte Lösung der Aufgabe, wie wir sie bei dem jüdischen Neoplatoniker Philo finden, wo der israeli- tische Glaube mystisch-symbolisch aufgefasst wird, und das hellenische Denken, greisenhaft verunstaltet, diese sonderbar aufgeputzte jüngste Tochter Israel’s umarmen muss (etwa wie David die Abisag) — — — dies Alles hätte nicht zum Ziele geführt, das liegt ja deutlich vor Augen. Wie könnte man es sonst erklären, dass gerade um die Zeit, als Christus geboren wurde, das Judentum selber, so abschliessend seinem Wesen nach, so abstossend gegen alles Fremde, so streng und freude- los und schönheitsbar, einen wahren Triumphzug der Propaganda be- gonnen hatte? Die jüdische Religion ist aller Bekehrung abhold, doch die Anderen, von Sehnsucht nach Glauben getrieben, traten in Scharen zu ihr über. Und zwar trotzdem der Jude verhasst war. Man redet vom heutigen Antisemitismus; Renan versichert uns, diese Bewegung des Abscheues gegen jüdisches Wesen habe in dem Jahrhundert vor Christi Geburt viel heftiger gewütet.1) Was bildet denn die geheime Anziehungskraft des Judentums? Sein Wille. Der Wille, der, im re- ligiösen Gebiete schaltend, unbedingten, blinden Glauben erzeugt. Dichtkunst, Philosophie, Wissenschaft, Mystik, Mythologie — — — sie alle schweifen weit ab und legen insofern den Willen lahm; sie zeugen von einer weltentrückten, spekulativen, idealen Gesinnung, die bei allen Edleren jene stolze Geringschätzung des Lebens hervor- ruft, welche dem indischen Weisen ermöglicht, sich lebend in sein eigenes Grab zu legen, welche die unnachahmliche Grösse von Homer’s Achilleus ausmacht, welche den deutschen Siegfried zu einem Typus der Furchtlosigkeit stempelt, und welche in unserem Jahrhundert monumentalen Ausdruck sich schuf in Schopenhauer’s Lehre von der Verneinung des Willens zum Leben. Der Wille ist hier gewisser- massen nach innen gerichtet. Ganz anders beim Juden. Sein Wille streckte sich zu allen Zeiten nach aussen; es war der unbedingte Wille zum Leben. Dieser Wille zum Leben war das erste, was das Judentum dem Christentum schenkte: daher jener Widerspruch, der noch heute so Manchem als unlösbares Rätsel auffällt, zwischen einer Lehre der inneren Umkehr, der Duldung und der Barmherzigkeit und einer Religion ausschliesslicher Selbstbehauptung und fanatischer Un- duldsamkeit. 1) Histoire du peuple d’Israël V, 227.
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Religion.
lose, mystische Selbstvernichtung der aus Indien nach Kleinasien im-
portierten Theologie, auch nicht die umgekehrte Lösung der Aufgabe,
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tische Glaube mystisch-symbolisch aufgefasst wird, und das hellenische
Denken, greisenhaft verunstaltet, diese sonderbar aufgeputzte jüngste
Tochter Israel’s umarmen muss (etwa wie David die Abisag) — — —
dies Alles hätte nicht zum Ziele geführt, das liegt ja deutlich vor
Augen. Wie könnte man es sonst erklären, dass gerade um die Zeit, als
Christus geboren wurde, das Judentum selber, so abschliessend seinem
Wesen nach, so abstossend gegen alles Fremde, so streng und freude-
los und schönheitsbar, einen wahren Triumphzug der Propaganda be-
gonnen hatte? Die jüdische Religion ist aller Bekehrung abhold, doch
die Anderen, von Sehnsucht nach Glauben getrieben, traten in Scharen
zu ihr über. Und zwar trotzdem der Jude verhasst war. Man redet
vom heutigen Antisemitismus; Renan versichert uns, diese Bewegung
des Abscheues gegen jüdisches Wesen habe in dem Jahrhundert vor
Christi Geburt viel heftiger gewütet. 1) Was bildet denn die geheime
Anziehungskraft des Judentums? Sein Wille. Der Wille, der, im re-
ligiösen Gebiete schaltend, unbedingten, blinden Glauben erzeugt.
Dichtkunst, Philosophie, Wissenschaft, Mystik, Mythologie — — —
sie alle schweifen weit ab und legen insofern den Willen lahm; sie
zeugen von einer weltentrückten, spekulativen, idealen Gesinnung,
die bei allen Edleren jene stolze Geringschätzung des Lebens hervor-
ruft, welche dem indischen Weisen ermöglicht, sich lebend in sein
eigenes Grab zu legen, welche die unnachahmliche Grösse von Homer’s
Achilleus ausmacht, welche den deutschen Siegfried zu einem Typus
der Furchtlosigkeit stempelt, und welche in unserem Jahrhundert
monumentalen Ausdruck sich schuf in Schopenhauer’s Lehre von der
Verneinung des Willens zum Leben. Der Wille ist hier gewisser-
massen nach innen gerichtet. Ganz anders beim Juden. Sein Wille
streckte sich zu allen Zeiten nach aussen; es war der unbedingte
Wille zum Leben. Dieser Wille zum Leben war das erste, was das
Judentum dem Christentum schenkte: daher jener Widerspruch, der
noch heute so Manchem als unlösbares Rätsel auffällt, zwischen einer
Lehre der inneren Umkehr, der Duldung und der Barmherzigkeit und
einer Religion ausschliesslicher Selbstbehauptung und fanatischer Un-
duldsamkeit.
1) Histoire du peuple d’Israël V, 227.
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