Zunächst dieser allgemeinen Willensrichtung -- und mit ihr un- trennbar vereint -- ist dann die jüdische rein historische Auffassung des Glaubens zu nennen. Über das Verhältnis zwischen dem jüdischen Willensglauben und der Lehre Christi habe ich ausführlich im dritten Kapitel gesprochen, über sein Verhältnis zur Religion überhaupt im fünften; beide Stellen setze ich als bekannt voraus.1) Hier möchte ich nur darauf aufmerksam machen, welchen ausschlaggebenden Ein- fluss jüdischer Glaube als materielle, unerschütterliche Überzeugung bestimmter historischer Begebnisse gerade in jenem Augenblick der Geschichte, da das Christentum entstand, ausüben musste. Hatch schreibt hierüber: "Den jungen christlichen Gemeinden kam vor allem die Reaktion gegen reine philosophische Spekulation zu Gute, die Sehn- sucht nach Gewissheit. Die grosse Mehrzahl der Menschen war der Theorien überdrüssig; sie forderten Gewissheit; diese versprach ihnen die Lehre der christlichen Sendboten. Diese Lehre berief sich auf bestimmte historische Ereignisse und auf deren Augenzeugen. Die einfache Überlieferung von Christi Leben, Tod und Auferstehung be- friedigte das Bedürfnis der damaligen Menschheit".2) Das war ein Anfang. Zunächst richtete sich das Augenmerk einzig und allein auf Jesus Christus; die heiligen Schriften der Juden galten als sehr ver- dächtige Dokumente; Luther berichtet empört über das geringe An- sehen, dessen das Alte Testament bei Männern wie Origenes und selbst noch (so versichert er) bei Hieronymus genossen habe; die meisten Gnostiker verwarfen es ganz und gar, Marcion betrachtete es geradezu als ein Werk des Teufels! Doch sobald eine schmale Schneide jüdischer historischer Religion Eingang in die Vorstellungen gefunden hatte, konnte es nicht fehlen, dass der ganze Keil nach und nach eingetrieben wurde. Man meint, die sogenannten Judenchristen hätten eine Niederlage er- litten, mit Paulus hätten die Heidenchristen den Sieg davongetragen? Das ist nur sehr bedingt und fragmentarisch wahr. Äusserlich, ja, ging das jüdische Gesetz mit seinem "Bundeszeichen" völlig in die Brüche, äusserlich drang zugleich der Indoeuropäer mit seiner Trinität und sonstigen Mythologie und Metaphysik durch, doch innerlich bildete sich im Laufe der ersten Jahrhunderte immer mehr zum eigentlichen Rückgrat der christlichen Religion die jüdische Geschichte aus -- jene von fanatischen Priestern nach gewissen hieratischen Theorien und
1) Siehe S. 241 fg. und 394 fg.
2)Influence of Greek ideas and usages upon the Christian Church, 6. Ausg. S. 312.
Der Kampf.
Zunächst dieser allgemeinen Willensrichtung — und mit ihr un- trennbar vereint — ist dann die jüdische rein historische Auffassung des Glaubens zu nennen. Über das Verhältnis zwischen dem jüdischen Willensglauben und der Lehre Christi habe ich ausführlich im dritten Kapitel gesprochen, über sein Verhältnis zur Religion überhaupt im fünften; beide Stellen setze ich als bekannt voraus.1) Hier möchte ich nur darauf aufmerksam machen, welchen ausschlaggebenden Ein- fluss jüdischer Glaube als materielle, unerschütterliche Überzeugung bestimmter historischer Begebnisse gerade in jenem Augenblick der Geschichte, da das Christentum entstand, ausüben musste. Hatch schreibt hierüber: »Den jungen christlichen Gemeinden kam vor allem die Reaktion gegen reine philosophische Spekulation zu Gute, die Sehn- sucht nach Gewissheit. Die grosse Mehrzahl der Menschen war der Theorien überdrüssig; sie forderten Gewissheit; diese versprach ihnen die Lehre der christlichen Sendboten. Diese Lehre berief sich auf bestimmte historische Ereignisse und auf deren Augenzeugen. Die einfache Überlieferung von Christi Leben, Tod und Auferstehung be- friedigte das Bedürfnis der damaligen Menschheit«.2) Das war ein Anfang. Zunächst richtete sich das Augenmerk einzig und allein auf Jesus Christus; die heiligen Schriften der Juden galten als sehr ver- dächtige Dokumente; Luther berichtet empört über das geringe An- sehen, dessen das Alte Testament bei Männern wie Origenes und selbst noch (so versichert er) bei Hieronymus genossen habe; die meisten Gnostiker verwarfen es ganz und gar, Marcion betrachtete es geradezu als ein Werk des Teufels! Doch sobald eine schmale Schneide jüdischer historischer Religion Eingang in die Vorstellungen gefunden hatte, konnte es nicht fehlen, dass der ganze Keil nach und nach eingetrieben wurde. Man meint, die sogenannten Judenchristen hätten eine Niederlage er- litten, mit Paulus hätten die Heidenchristen den Sieg davongetragen? Das ist nur sehr bedingt und fragmentarisch wahr. Äusserlich, ja, ging das jüdische Gesetz mit seinem »Bundeszeichen« völlig in die Brüche, äusserlich drang zugleich der Indoeuropäer mit seiner Trinität und sonstigen Mythologie und Metaphysik durch, doch innerlich bildete sich im Laufe der ersten Jahrhunderte immer mehr zum eigentlichen Rückgrat der christlichen Religion die jüdische Geschichte aus — jene von fanatischen Priestern nach gewissen hieratischen Theorien und
1) Siehe S. 241 fg. und 394 fg.
2)Influence of Greek ideas and usages upon the Christian Church, 6. Ausg. S. 312.
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[570/0049]
Der Kampf.
Zunächst dieser allgemeinen Willensrichtung — und mit ihr un-
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des Glaubens zu nennen. Über das Verhältnis zwischen dem jüdischen
Willensglauben und der Lehre Christi habe ich ausführlich im dritten
Kapitel gesprochen, über sein Verhältnis zur Religion überhaupt im
fünften; beide Stellen setze ich als bekannt voraus. 1) Hier möchte
ich nur darauf aufmerksam machen, welchen ausschlaggebenden Ein-
fluss jüdischer Glaube als materielle, unerschütterliche Überzeugung
bestimmter historischer Begebnisse gerade in jenem Augenblick der
Geschichte, da das Christentum entstand, ausüben musste. Hatch schreibt
hierüber: »Den jungen christlichen Gemeinden kam vor allem die
Reaktion gegen reine philosophische Spekulation zu Gute, die Sehn-
sucht nach Gewissheit. Die grosse Mehrzahl der Menschen war
der Theorien überdrüssig; sie forderten Gewissheit; diese versprach
ihnen die Lehre der christlichen Sendboten. Diese Lehre berief sich
auf bestimmte historische Ereignisse und auf deren Augenzeugen. Die
einfache Überlieferung von Christi Leben, Tod und Auferstehung be-
friedigte das Bedürfnis der damaligen Menschheit«. 2) Das war ein
Anfang. Zunächst richtete sich das Augenmerk einzig und allein auf
Jesus Christus; die heiligen Schriften der Juden galten als sehr ver-
dächtige Dokumente; Luther berichtet empört über das geringe An-
sehen, dessen das Alte Testament bei Männern wie Origenes und selbst
noch (so versichert er) bei Hieronymus genossen habe; die meisten
Gnostiker verwarfen es ganz und gar, Marcion betrachtete es geradezu
als ein Werk des Teufels! Doch sobald eine schmale Schneide jüdischer
historischer Religion Eingang in die Vorstellungen gefunden hatte, konnte
es nicht fehlen, dass der ganze Keil nach und nach eingetrieben wurde.
Man meint, die sogenannten Judenchristen hätten eine Niederlage er-
litten, mit Paulus hätten die Heidenchristen den Sieg davongetragen?
Das ist nur sehr bedingt und fragmentarisch wahr. Äusserlich, ja,
ging das jüdische Gesetz mit seinem »Bundeszeichen« völlig in die
Brüche, äusserlich drang zugleich der Indoeuropäer mit seiner Trinität
und sonstigen Mythologie und Metaphysik durch, doch innerlich bildete
sich im Laufe der ersten Jahrhunderte immer mehr zum eigentlichen
Rückgrat der christlichen Religion die jüdische Geschichte aus — jene
von fanatischen Priestern nach gewissen hieratischen Theorien und
1) Siehe S. 241 fg. und 394 fg.
2) Influence of Greek ideas and usages upon the Christian Church, 6. Ausg. S. 312.
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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 570. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/49>, abgerufen am 09.11.2024.
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