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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Religion.
Empörung treibt, Rom selber stellt eine so einheitliche, so eisern
logische, so massiv festgestaltete Idee dar, dass alle Gegnerschaft gegen
sie eine besondere, einigermassen uniforme Färbung dadurch erhält.

Halten wir also im Interesse einer klaren Zusammenfassung
diesen Begriff der "Empörung gegen Rom" fest. Doch muss inner-
halb desselben ein wichtiger Unterschied beachtet werden. Unter dem
einheitlichen Äusseren beherbergt nämlich der Begriff "Rom" zwei
grundverschiedene Tendenzen: die eine fliesst aus einem christlichen
Quell, die andere aus einem heidnischen, die eine strebt einem kirch-
lichen Ideal zu, die andere einem politischen. Rom ist, wie Byron
sagt, "an hermaphrodite of empire".1) Auch hier wieder das unselige
Zwitterhafte, das uns im Christentum auf Schritt und Tritt begegnet!
Und zwar stehen nicht allein zwei Ideale -- ein politisches und ein
kirchliches -- nebeneinander, sondern das politische Ideal Rom's, jüdisch-
heidnisch in Fundamenten und Aufbau, birgt einen so grossartigen
socialen Traum, dass es zu allen Zeiten selbst mächtige Geister be-
rückt hat, während das eigentliche religiöse Ideal, durchdrungen wie
es auch sein mag von der Gegenwart Christi (so dass manche hohe
Seele in dieser Kirche nur Christum erblickt) direkt antichristliche Vor-
stellungen und Lehren ins Christentum eingeführt und nach und nach
gross gezogen hat. Manchen Mann von gutem Urteil bedünkte darum
das politische Ideal Rom's religiöser als sein kirchliches! Erhielt nun die
Auflehnung gegen Rom eine gewisse Einheitlichkeit durch den Umstand,
dass das Grundprinzip Rom's auf beiden Gebieten (dem politischen und
dem religiösen) die absolute Despotie ist, somit jeglicher Widerspruch
Rebellion bedeutet, so begreift man dennoch leicht, dass in Wirklich-
lichkeit die Gründe zur Empörung für verschiedene Menschen sehr
verschiedene waren. So nahmen z. B. die germanischen Fürsten der
früheren Zeit die religiöse Lehre meistens ohne weiteres an, wie Rom sie
predigte, unbekümmert ob sie christlich oder unchristlich war, verfochten
aber zugleich ihre eigenen politischen Rechte gegen das aller römischen
Religion zu Grunde liegende politische Ideal, mit seinem grossartigen
Traum der "Gottesstadt" auf Erden, und gaben nur in äusserster Not
einiges Wenige von ihren nationalen Ansprüchen preis; wogegen der
byzantinische Kaiser Leo in keinem politischen Rechte bedroht war
und aus rein christlich-religiöser Überzeugung, um nämlich der herein-
brechenden heidnischen Superstition Einhalt zu thun, gegen den Bilder-

1) The Deformed transformed, I, 2.
39*

Religion.
Empörung treibt, Rom selber stellt eine so einheitliche, so eisern
logische, so massiv festgestaltete Idee dar, dass alle Gegnerschaft gegen
sie eine besondere, einigermassen uniforme Färbung dadurch erhält.

Halten wir also im Interesse einer klaren Zusammenfassung
diesen Begriff der »Empörung gegen Rom« fest. Doch muss inner-
halb desselben ein wichtiger Unterschied beachtet werden. Unter dem
einheitlichen Äusseren beherbergt nämlich der Begriff »Rom« zwei
grundverschiedene Tendenzen: die eine fliesst aus einem christlichen
Quell, die andere aus einem heidnischen, die eine strebt einem kirch-
lichen Ideal zu, die andere einem politischen. Rom ist, wie Byron
sagt, »an hermaphrodite of empire«.1) Auch hier wieder das unselige
Zwitterhafte, das uns im Christentum auf Schritt und Tritt begegnet!
Und zwar stehen nicht allein zwei Ideale — ein politisches und ein
kirchliches — nebeneinander, sondern das politische Ideal Rom’s, jüdisch-
heidnisch in Fundamenten und Aufbau, birgt einen so grossartigen
socialen Traum, dass es zu allen Zeiten selbst mächtige Geister be-
rückt hat, während das eigentliche religiöse Ideal, durchdrungen wie
es auch sein mag von der Gegenwart Christi (so dass manche hohe
Seele in dieser Kirche nur Christum erblickt) direkt antichristliche Vor-
stellungen und Lehren ins Christentum eingeführt und nach und nach
gross gezogen hat. Manchen Mann von gutem Urteil bedünkte darum
das politische Ideal Rom’s religiöser als sein kirchliches! Erhielt nun die
Auflehnung gegen Rom eine gewisse Einheitlichkeit durch den Umstand,
dass das Grundprinzip Rom’s auf beiden Gebieten (dem politischen und
dem religiösen) die absolute Despotie ist, somit jeglicher Widerspruch
Rebellion bedeutet, so begreift man dennoch leicht, dass in Wirklich-
lichkeit die Gründe zur Empörung für verschiedene Menschen sehr
verschiedene waren. So nahmen z. B. die germanischen Fürsten der
früheren Zeit die religiöse Lehre meistens ohne weiteres an, wie Rom sie
predigte, unbekümmert ob sie christlich oder unchristlich war, verfochten
aber zugleich ihre eigenen politischen Rechte gegen das aller römischen
Religion zu Grunde liegende politische Ideal, mit seinem grossartigen
Traum der »Gottesstadt« auf Erden, und gaben nur in äusserster Not
einiges Wenige von ihren nationalen Ansprüchen preis; wogegen der
byzantinische Kaiser Leo in keinem politischen Rechte bedroht war
und aus rein christlich-religiöser Überzeugung, um nämlich der herein-
brechenden heidnischen Superstition Einhalt zu thun, gegen den Bilder-

1) The Deformed transformed, I, 2.
39*
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[611/0090] Religion. Empörung treibt, Rom selber stellt eine so einheitliche, so eisern logische, so massiv festgestaltete Idee dar, dass alle Gegnerschaft gegen sie eine besondere, einigermassen uniforme Färbung dadurch erhält. Halten wir also im Interesse einer klaren Zusammenfassung diesen Begriff der »Empörung gegen Rom« fest. Doch muss inner- halb desselben ein wichtiger Unterschied beachtet werden. Unter dem einheitlichen Äusseren beherbergt nämlich der Begriff »Rom« zwei grundverschiedene Tendenzen: die eine fliesst aus einem christlichen Quell, die andere aus einem heidnischen, die eine strebt einem kirch- lichen Ideal zu, die andere einem politischen. Rom ist, wie Byron sagt, »an hermaphrodite of empire«. 1) Auch hier wieder das unselige Zwitterhafte, das uns im Christentum auf Schritt und Tritt begegnet! Und zwar stehen nicht allein zwei Ideale — ein politisches und ein kirchliches — nebeneinander, sondern das politische Ideal Rom’s, jüdisch- heidnisch in Fundamenten und Aufbau, birgt einen so grossartigen socialen Traum, dass es zu allen Zeiten selbst mächtige Geister be- rückt hat, während das eigentliche religiöse Ideal, durchdrungen wie es auch sein mag von der Gegenwart Christi (so dass manche hohe Seele in dieser Kirche nur Christum erblickt) direkt antichristliche Vor- stellungen und Lehren ins Christentum eingeführt und nach und nach gross gezogen hat. Manchen Mann von gutem Urteil bedünkte darum das politische Ideal Rom’s religiöser als sein kirchliches! Erhielt nun die Auflehnung gegen Rom eine gewisse Einheitlichkeit durch den Umstand, dass das Grundprinzip Rom’s auf beiden Gebieten (dem politischen und dem religiösen) die absolute Despotie ist, somit jeglicher Widerspruch Rebellion bedeutet, so begreift man dennoch leicht, dass in Wirklich- lichkeit die Gründe zur Empörung für verschiedene Menschen sehr verschiedene waren. So nahmen z. B. die germanischen Fürsten der früheren Zeit die religiöse Lehre meistens ohne weiteres an, wie Rom sie predigte, unbekümmert ob sie christlich oder unchristlich war, verfochten aber zugleich ihre eigenen politischen Rechte gegen das aller römischen Religion zu Grunde liegende politische Ideal, mit seinem grossartigen Traum der »Gottesstadt« auf Erden, und gaben nur in äusserster Not einiges Wenige von ihren nationalen Ansprüchen preis; wogegen der byzantinische Kaiser Leo in keinem politischen Rechte bedroht war und aus rein christlich-religiöser Überzeugung, um nämlich der herein- brechenden heidnischen Superstition Einhalt zu thun, gegen den Bilder- 1) The Deformed transformed, I, 2. 39*

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 611. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/90>, abgerufen am 09.11.2024.