Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.Religion. von Dante's Geistesschärfe sich als orthodoxer römischer Katholik be-trachten und dennoch die Scheidung der weltlichen und der geistlichen Gewalt, sowie die Unterordnung dieser unter jene verlangen? Rom ist ja gerade das Erbe der höchsten weltlichen Gewalt; nur als seine mandatarii führen die Fürsten das Schwert, und Bonifaz VIII. erstaunte die Welt nur durch seine Unumwundenheit, nicht durch die Neuheit seines Standpunktes, als er ausrief: ego sum Caesar! ego sum Imperator! Sobald Rom diesen Anspruch aufgäbe (und sei er den thatsächlichen Verhältnissen gegenüber noch so theoretisch), so hätte es sich den Todesstoss versetzt. Man vergesse nie, dass die Kirche ihre ganze Autorität aus der Annahme schöpft, sie sei die Vertreterin Gottes; wie Antonio Perez mit echt spanischem Humor sagt: "El Dios del cielo es delicado mucho en suffrir compannero in niguna cosa", der Gott des Himmels ist viel zu eifersüchtig, als dass er in irgend einem Dinge einen Nebenbuhler dulden würde.1) Und in diesem Zusammenhange übersehe man auch nicht, dass alle Ansprüche Rom's historische sind, die religiösen sowohl wie die politischen; auch sein apostolisches Primat leitet sich von einer historischen Ein- setzung -- nicht von irgend einer geistigen Überlegenheit -- ab.2) Sobald Rom an irgend einem Punkte die lückenlose, historische Kon- tinuität preisgäbe, könnte es nicht ausbleiben, dass das ganze Gebäude bald einstürzte; und zwar wäre der gefährlichste Punkt gerade die An- knüpfung an die Suprematie des römischen weltlichen Imperiums, nunmehr zu einem göttlichen Imperium erweitert; denn die rein religiöse Einsetzung ist so sehr bei den Haaren herbeigezogen, dass noch Augustinus sie bestritt,3) wogegen das thatsächliche Imperium eine der massivsten grundlegenden Thatsachen der Geschichte ist und auch seine Auffassung als "göttlichen Ursprungs" (und darum 1) Von Humboldt in einem Brief an Varnhagen von Ense vom 26. September 1845 citiert. 2) Gerade gegen Petrus hat Christus Worte gerichtet, wie sonst gegen keinen Apostel: "Hebe dich, Satan, von mir, du bist mir ärgerlich, denn du meinest nicht was göttlich, sondern was menschlich ist" (Matth. XVI, 23). Und nicht allein das dreimalige Verleugnen Christi, sondern auch das von Paulus als "Heuchelei" ge- geisselte Benehmen in Antiochien (Gal. II, 13) lassen uns in Petrus einen zwar heftigen, doch schwachen Charakter erkennen. Nimmt man also an, er habe wirklich das Primat erhalten, so geschah es jedenfalls nicht seines Verdienstes wegen, auch nicht um das natürliche Übergewicht seiner hervorragenden Grösse sicher zu stellen, sondern in Folge einer von Gott beliebten, historisch vollzogenen Einsetzung. 3) Siehe oben S. 595.
Religion. von Dante’s Geistesschärfe sich als orthodoxer römischer Katholik be-trachten und dennoch die Scheidung der weltlichen und der geistlichen Gewalt, sowie die Unterordnung dieser unter jene verlangen? Rom ist ja gerade das Erbe der höchsten weltlichen Gewalt; nur als seine mandatarii führen die Fürsten das Schwert, und Bonifaz VIII. erstaunte die Welt nur durch seine Unumwundenheit, nicht durch die Neuheit seines Standpunktes, als er ausrief: ego sum Caesar! ego sum Imperator! Sobald Rom diesen Anspruch aufgäbe (und sei er den thatsächlichen Verhältnissen gegenüber noch so theoretisch), so hätte es sich den Todesstoss versetzt. Man vergesse nie, dass die Kirche ihre ganze Autorität aus der Annahme schöpft, sie sei die Vertreterin Gottes; wie Antonio Perez mit echt spanischem Humor sagt: »El Dios del cielo es delicado mucho en suffrir compañero in niguna cosa«, der Gott des Himmels ist viel zu eifersüchtig, als dass er in irgend einem Dinge einen Nebenbuhler dulden würde.1) Und in diesem Zusammenhange übersehe man auch nicht, dass alle Ansprüche Rom’s historische sind, die religiösen sowohl wie die politischen; auch sein apostolisches Primat leitet sich von einer historischen Ein- setzung — nicht von irgend einer geistigen Überlegenheit — ab.2) Sobald Rom an irgend einem Punkte die lückenlose, historische Kon- tinuität preisgäbe, könnte es nicht ausbleiben, dass das ganze Gebäude bald einstürzte; und zwar wäre der gefährlichste Punkt gerade die An- knüpfung an die Suprematie des römischen weltlichen Imperiums, nunmehr zu einem göttlichen Imperium erweitert; denn die rein religiöse Einsetzung ist so sehr bei den Haaren herbeigezogen, dass noch Augustinus sie bestritt,3) wogegen das thatsächliche Imperium eine der massivsten grundlegenden Thatsachen der Geschichte ist und auch seine Auffassung als »göttlichen Ursprungs« (und darum 1) Von Humboldt in einem Brief an Varnhagen von Ense vom 26. September 1845 citiert. 2) Gerade gegen Petrus hat Christus Worte gerichtet, wie sonst gegen keinen Apostel: »Hebe dich, Satan, von mir, du bist mir ärgerlich, denn du meinest nicht was göttlich, sondern was menschlich ist« (Matth. XVI, 23). Und nicht allein das dreimalige Verleugnen Christi, sondern auch das von Paulus als »Heuchelei« ge- geisselte Benehmen in Antiochien (Gal. II, 13) lassen uns in Petrus einen zwar heftigen, doch schwachen Charakter erkennen. Nimmt man also an, er habe wirklich das Primat erhalten, so geschah es jedenfalls nicht seines Verdienstes wegen, auch nicht um das natürliche Übergewicht seiner hervorragenden Grösse sicher zu stellen, sondern in Folge einer von Gott beliebten, historisch vollzogenen Einsetzung. 3) Siehe oben S. 595.
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von Dante’s Geistesschärfe sich als orthodoxer römischer Katholik be-
trachten und dennoch die Scheidung der weltlichen und der geistlichen
Gewalt, sowie die Unterordnung dieser unter jene verlangen? Rom
ist ja gerade das Erbe der höchsten weltlichen Gewalt; nur als
seine mandatarii führen die Fürsten das Schwert, und Bonifaz VIII.
erstaunte die Welt nur durch seine Unumwundenheit, nicht durch die
Neuheit seines Standpunktes, als er ausrief: ego sum Caesar! ego sum
Imperator! Sobald Rom diesen Anspruch aufgäbe (und sei er den
thatsächlichen Verhältnissen gegenüber noch so theoretisch), so hätte
es sich den Todesstoss versetzt. Man vergesse nie, dass die Kirche
ihre ganze Autorität aus der Annahme schöpft, sie sei die Vertreterin
Gottes; wie Antonio Perez mit echt spanischem Humor sagt: »El
Dios del cielo es delicado mucho en suffrir compañero in niguna
cosa«, der Gott des Himmels ist viel zu eifersüchtig, als dass er in
irgend einem Dinge einen Nebenbuhler dulden würde. 1) Und in
diesem Zusammenhange übersehe man auch nicht, dass alle Ansprüche
Rom’s historische sind, die religiösen sowohl wie die politischen;
auch sein apostolisches Primat leitet sich von einer historischen Ein-
setzung — nicht von irgend einer geistigen Überlegenheit — ab. 2)
Sobald Rom an irgend einem Punkte die lückenlose, historische Kon-
tinuität preisgäbe, könnte es nicht ausbleiben, dass das ganze Gebäude
bald einstürzte; und zwar wäre der gefährlichste Punkt gerade die An-
knüpfung an die Suprematie des römischen weltlichen Imperiums,
nunmehr zu einem göttlichen Imperium erweitert; denn die rein
religiöse Einsetzung ist so sehr bei den Haaren herbeigezogen, dass
noch Augustinus sie bestritt, 3) wogegen das thatsächliche Imperium
eine der massivsten grundlegenden Thatsachen der Geschichte ist
und auch seine Auffassung als »göttlichen Ursprungs« (und darum
1) Von Humboldt in einem Brief an Varnhagen von Ense vom 26. September
1845 citiert.
2) Gerade gegen Petrus hat Christus Worte gerichtet, wie sonst gegen keinen
Apostel: »Hebe dich, Satan, von mir, du bist mir ärgerlich, denn du meinest nicht
was göttlich, sondern was menschlich ist« (Matth. XVI, 23). Und nicht allein das
dreimalige Verleugnen Christi, sondern auch das von Paulus als »Heuchelei« ge-
geisselte Benehmen in Antiochien (Gal. II, 13) lassen uns in Petrus einen zwar
heftigen, doch schwachen Charakter erkennen. Nimmt man also an, er habe wirklich
das Primat erhalten, so geschah es jedenfalls nicht seines Verdienstes wegen, auch
nicht um das natürliche Übergewicht seiner hervorragenden Grösse sicher zu stellen,
sondern in Folge einer von Gott beliebten, historisch vollzogenen Einsetzung.
3) Siehe oben S. 595.
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