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Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899.

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Der Kampf.
die Kirche ins Auge gefasst und erhofft, er ist katholischer, nicht
häretischer oder schismatischer Reformator."1) Gerade darum hat er
aber auch auf die Kirche -- trotz seines gewaltigen Genies -- nicht
den geringsten Einfluss ausgeübt, weder im Leben noch im Tode.
"Katholischer Reformator" ist eine contradictio in adjecto, denn die
Bewegung der römischen Kirche kann nur darin bestehen, worin sie
auch thatsächlich bestanden hat, dass ihre Prinzipien immer klarer,
immer logischer, immer unnachgiebiger entwickelt und ausgeübt werden.
Ich möchte wissen, welcher Bannfluch heute den Mann treffen würde,
der es wagte, als Katholik, den Vertreter Christi auf Erden an-
zuherrschen:

E che altro e da voi all' idolatre,
Se non ch'egli uno, e voi n'orate cento?
2)

und der, nachdem er die römische Priesterschaft als ein unchristliches,
"unevangelisches Gezücht" gebrandmarkt und verhöhnt hat, fortfährt:

Di questo ingrassa il porco, sant' Antonio,
Ed altri assai, che son peggio che porci,
Pagando di moneta senza conio.
3)

Wie gänzlich alle diejenigen nordischen Männer,4) welche von einer
Reform "nicht gegen die Kirche, sondern durch die Kirche" geträumt
hatten, unterlegen sind, ersehen wir gerade daraus, dass heute keiner
diese Sprache zu führen wagen würde.5) Auch Dante's Betonung
des Glaubens den Werken gegenüber:

La fe, senza la qual ben far non basta

(siehe z. B. Purgatorio XXII etc.) würde heute kaum geduldet werden.
Doch das, worauf ich hier die Aufmerksamkeit besonders hinlenken

1) Kraus: Dante (1897), S. 736.
2) Inferno, Canto XIX. "Was unterscheidet Euch denn von einem Götzen-
diener, wenn nicht, dass er einen einzigen und Ihr hundert Götzen anbetet?"
3) Paradiso, Can. XXIX. "Aus dem Ertrag (der geschilderten Irreführung
des "dummen Volkes") mästet der heilige Antonius sein Schwein, und dasselbe
thun viele Andere, die schlimmer als die Schweine sind und mit ungestempelter
Münze (d. h. mit Ablässen) bezahlen". Die Italiener scheinen zu keiner Zeit eine
besondere Bewunderung für ihre römischen Priester gefühlt zu haben, auch Boccaccio
nennt sie: "Schweine, die sich dahin flüchten, wo sie ohne Arbeit zu essen be-
kommen" (Decamerone, III, 3).
4) Siehe S. 499 Anm.
5) Dante würde es ergehen wie jenen "Kirchenvätern und Heiligen", von
denen Balzac in Louis Lambert schreibt: "heute würde sie die Kirche als Häretiker
und Atheisten brandmarken".

Der Kampf.
die Kirche ins Auge gefasst und erhofft, er ist katholischer, nicht
häretischer oder schismatischer Reformator.«1) Gerade darum hat er
aber auch auf die Kirche — trotz seines gewaltigen Genies — nicht
den geringsten Einfluss ausgeübt, weder im Leben noch im Tode.
»Katholischer Reformator« ist eine contradictio in adjecto, denn die
Bewegung der römischen Kirche kann nur darin bestehen, worin sie
auch thatsächlich bestanden hat, dass ihre Prinzipien immer klarer,
immer logischer, immer unnachgiebiger entwickelt und ausgeübt werden.
Ich möchte wissen, welcher Bannfluch heute den Mann treffen würde,
der es wagte, als Katholik, den Vertreter Christi auf Erden an-
zuherrschen:

E che altro è da voi all’ idolatre,
Se non ch’egli uno, e voi n’orate cento?
2)

und der, nachdem er die römische Priesterschaft als ein unchristliches,
»unevangelisches Gezücht« gebrandmarkt und verhöhnt hat, fortfährt:

Di questo ingrassa il porco, sant’ Antonio,
Ed altri assai, che son peggio che porci,
Pagando di moneta senza conio.
3)

Wie gänzlich alle diejenigen nordischen Männer,4) welche von einer
Reform »nicht gegen die Kirche, sondern durch die Kirche« geträumt
hatten, unterlegen sind, ersehen wir gerade daraus, dass heute keiner
diese Sprache zu führen wagen würde.5) Auch Dante’s Betonung
des Glaubens den Werken gegenüber:

La fé, senza la qual ben far non basta

(siehe z. B. Purgatorio XXII etc.) würde heute kaum geduldet werden.
Doch das, worauf ich hier die Aufmerksamkeit besonders hinlenken

1) Kraus: Dante (1897), S. 736.
2) Inferno, Canto XIX. »Was unterscheidet Euch denn von einem Götzen-
diener, wenn nicht, dass er einen einzigen und Ihr hundert Götzen anbetet?«
3) Paradiso, Can. XXIX. »Aus dem Ertrag (der geschilderten Irreführung
des »dummen Volkes«) mästet der heilige Antonius sein Schwein, und dasselbe
thun viele Andere, die schlimmer als die Schweine sind und mit ungestempelter
Münze (d. h. mit Ablässen) bezahlen«. Die Italiener scheinen zu keiner Zeit eine
besondere Bewunderung für ihre römischen Priester gefühlt zu haben, auch Boccaccio
nennt sie: »Schweine, die sich dahin flüchten, wo sie ohne Arbeit zu essen be-
kommen« (Decamerone, III, 3).
4) Siehe S. 499 Anm.
5) Dante würde es ergehen wie jenen »Kirchenvätern und Heiligen«, von
denen Balzac in Louis Lambert schreibt: »heute würde sie die Kirche als Häretiker
und Atheisten brandmarken«.
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[620/0099] Der Kampf. die Kirche ins Auge gefasst und erhofft, er ist katholischer, nicht häretischer oder schismatischer Reformator.« 1) Gerade darum hat er aber auch auf die Kirche — trotz seines gewaltigen Genies — nicht den geringsten Einfluss ausgeübt, weder im Leben noch im Tode. »Katholischer Reformator« ist eine contradictio in adjecto, denn die Bewegung der römischen Kirche kann nur darin bestehen, worin sie auch thatsächlich bestanden hat, dass ihre Prinzipien immer klarer, immer logischer, immer unnachgiebiger entwickelt und ausgeübt werden. Ich möchte wissen, welcher Bannfluch heute den Mann treffen würde, der es wagte, als Katholik, den Vertreter Christi auf Erden an- zuherrschen: E che altro è da voi all’ idolatre, Se non ch’egli uno, e voi n’orate cento? 2) und der, nachdem er die römische Priesterschaft als ein unchristliches, »unevangelisches Gezücht« gebrandmarkt und verhöhnt hat, fortfährt: Di questo ingrassa il porco, sant’ Antonio, Ed altri assai, che son peggio che porci, Pagando di moneta senza conio. 3) Wie gänzlich alle diejenigen nordischen Männer, 4) welche von einer Reform »nicht gegen die Kirche, sondern durch die Kirche« geträumt hatten, unterlegen sind, ersehen wir gerade daraus, dass heute keiner diese Sprache zu führen wagen würde. 5) Auch Dante’s Betonung des Glaubens den Werken gegenüber: La fé, senza la qual ben far non basta (siehe z. B. Purgatorio XXII etc.) würde heute kaum geduldet werden. Doch das, worauf ich hier die Aufmerksamkeit besonders hinlenken 1) Kraus: Dante (1897), S. 736. 2) Inferno, Canto XIX. »Was unterscheidet Euch denn von einem Götzen- diener, wenn nicht, dass er einen einzigen und Ihr hundert Götzen anbetet?« 3) Paradiso, Can. XXIX. »Aus dem Ertrag (der geschilderten Irreführung des »dummen Volkes«) mästet der heilige Antonius sein Schwein, und dasselbe thun viele Andere, die schlimmer als die Schweine sind und mit ungestempelter Münze (d. h. mit Ablässen) bezahlen«. Die Italiener scheinen zu keiner Zeit eine besondere Bewunderung für ihre römischen Priester gefühlt zu haben, auch Boccaccio nennt sie: »Schweine, die sich dahin flüchten, wo sie ohne Arbeit zu essen be- kommen« (Decamerone, III, 3). 4) Siehe S. 499 Anm. 5) Dante würde es ergehen wie jenen »Kirchenvätern und Heiligen«, von denen Balzac in Louis Lambert schreibt: »heute würde sie die Kirche als Häretiker und Atheisten brandmarken«.

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Zitationshilfe: Chamberlain, Houston Stewart: Die Grundlagen des Neunzehnten Jahrhunderts. Bd. 2. München 1899, S. 620. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamberlain_grundlagen02_1899/99>, abgerufen am 09.11.2024.