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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814.

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folgte ein langes Stillschweigen. Er nahm zuerst
das Wort:

"Sie können mich nicht leiden, mein Herr,
Sie hassen mich, ich weiß es; doch warum has¬
sen Sie mich? Ist es etwa, weil Sie mich auf
öffentlicher Strasse angefallen, und mir mein Vo¬
gelnest mit Gewalt zu rauben gemeint, oder ist
es darum, daß Sie mein Gut, den Schatten,
den Sie Ihrer bloßen Ehrlichkeit anvertraut glaub¬
ten, mir diebischer Weise zu entwenden gesucht
haben? Ich meinerseits hasse Sie darum nicht;
ich finde ganz natürlich, daß Sie alle Ihre Vor¬
theile, List und Gewalt geltend zu machen suchen;
daß Sie übrigens die allerstrengsten Grundsätze ha¬
ben, und, wie die Ehrlichkeit selbst denken, ist ei¬
ne Liebhaberei, wogegen ich auch nichts habe. --
Ich denke in der That nicht so streng als Sie;
ich handle bloß, wie Sie denken. Oder hab' ich
Ihnen etwa irgend wann den Daumen auf die
Gurgel gedrückt, um Ihre wertheste Seele, zu der
ich einmal Lust habe, an mich zu bringen! Hab'
ich von wegen meines ausgetauschten Säckels einen
Diener auf Sie los gelassen, hab' ich Ihnen damit

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folgte ein langes Stillſchweigen. Er nahm zuerſt
das Wort:

“Sie koͤnnen mich nicht leiden, mein Herr,
Sie haſſen mich, ich weiß es; doch warum haſ¬
ſen Sie mich? Iſt es etwa, weil Sie mich auf
oͤffentlicher Straſſe angefallen, und mir mein Vo¬
gelneſt mit Gewalt zu rauben gemeint, oder iſt
es darum, daß Sie mein Gut, den Schatten,
den Sie Ihrer bloßen Ehrlichkeit anvertraut glaub¬
ten, mir diebiſcher Weiſe zu entwenden geſucht
haben? Ich meinerſeits haſſe Sie darum nicht;
ich finde ganz natuͤrlich, daß Sie alle Ihre Vor¬
theile, Liſt und Gewalt geltend zu machen ſuchen;
daß Sie uͤbrigens die allerſtrengſten Grundſaͤtze ha¬
ben, und, wie die Ehrlichkeit ſelbſt denken, iſt ei¬
ne Liebhaberei, wogegen ich auch nichts habe. —
Ich denke in der That nicht ſo ſtreng als Sie;
ich handle bloß, wie Sie denken. Oder hab' ich
Ihnen etwa irgend wann den Daumen auf die
Gurgel gedruͤckt, um Ihre wertheſte Seele, zu der
ich einmal Luſt habe, an mich zu bringen! Hab'
ich von wegen meines ausgetauſchten Saͤckels einen
Diener auf Sie los gelaſſen, hab' ich Ihnen damit

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[99/0119] folgte ein langes Stillſchweigen. Er nahm zuerſt das Wort: “Sie koͤnnen mich nicht leiden, mein Herr, Sie haſſen mich, ich weiß es; doch warum haſ¬ ſen Sie mich? Iſt es etwa, weil Sie mich auf oͤffentlicher Straſſe angefallen, und mir mein Vo¬ gelneſt mit Gewalt zu rauben gemeint, oder iſt es darum, daß Sie mein Gut, den Schatten, den Sie Ihrer bloßen Ehrlichkeit anvertraut glaub¬ ten, mir diebiſcher Weiſe zu entwenden geſucht haben? Ich meinerſeits haſſe Sie darum nicht; ich finde ganz natuͤrlich, daß Sie alle Ihre Vor¬ theile, Liſt und Gewalt geltend zu machen ſuchen; daß Sie uͤbrigens die allerſtrengſten Grundſaͤtze ha¬ ben, und, wie die Ehrlichkeit ſelbſt denken, iſt ei¬ ne Liebhaberei, wogegen ich auch nichts habe. — Ich denke in der That nicht ſo ſtreng als Sie; ich handle bloß, wie Sie denken. Oder hab' ich Ihnen etwa irgend wann den Daumen auf die Gurgel gedruͤckt, um Ihre wertheſte Seele, zu der ich einmal Luſt habe, an mich zu bringen! Hab' ich von wegen meines ausgetauſchten Saͤckels einen Diener auf Sie los gelaſſen, hab' ich Ihnen damit G2

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814/119>, abgerufen am 21.11.2024.