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Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814.

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weiter um mich. Die Gesellschaft war sehr auf¬
geräumt, es ward getändelt und gescherzt, man
sprach zuweilen von leichtsinnigen Dingen wichtig,
von wichtigen öfters leichtsinnig, und gemächlich
erging besonders der Witz über abwesende Freunde
und deren Verhältnisse. Ich war da zu fremd,
um von alle dem Vieles zu verstehen, zu beküm¬
mert und in mich gekehrt, um den Sinn auf
solche Räthsel zu haben.

Wir hatten den Rosenhain erreicht. Die
schöne Fanny, wie es schien, die Herrin des
Tages, wollte aus Eigensinn einen blühenden
Zweig selbst brechen, sie verletzte sich an einem
Dorn, und wie von den dunkeln Rosen, floß Pur¬
pur auf ihre zarte Hand. Dieses Ereigniß brach¬
te die ganze Gesellschaft in Bewegung. Es wur¬
de Englisch Pflaster gesucht. Ein stiller, dünner,
hag'rer, länglichter, ältlicher Mann, der neben
mir ging, und den ich noch nicht bemerkt hatte,
steckte sogleich die Hand in die knapp anliegende
Schoßtasche seines altfränkischen grautaffentnen
Rockes, brachte eine kleine Brieftasche daraus her¬
vor, öffnete sie, und reichte der Dame mit devoter

weiter um mich. Die Geſellſchaft war ſehr auf¬
geraͤumt, es ward getaͤndelt und geſcherzt, man
ſprach zuweilen von leichtſinnigen Dingen wichtig,
von wichtigen oͤfters leichtſinnig, und gemaͤchlich
erging beſonders der Witz uͤber abweſende Freunde
und deren Verhaͤltniſſe. Ich war da zu fremd,
um von alle dem Vieles zu verſtehen, zu bekuͤm¬
mert und in mich gekehrt, um den Sinn auf
ſolche Raͤthſel zu haben.

Wir hatten den Roſenhain erreicht. Die
ſchoͤne Fanny, wie es ſchien, die Herrin des
Tages, wollte aus Eigenſinn einen bluͤhenden
Zweig ſelbſt brechen, ſie verletzte ſich an einem
Dorn, und wie von den dunkeln Roſen, floß Pur¬
pur auf ihre zarte Hand. Dieſes Ereigniß brach¬
te die ganze Geſellſchaft in Bewegung. Es wur¬
de Engliſch Pflaſter geſucht. Ein ſtiller, duͤnner,
hag'rer, laͤnglichter, aͤltlicher Mann, der neben
mir ging, und den ich noch nicht bemerkt hatte,
ſteckte ſogleich die Hand in die knapp anliegende
Schoßtaſche ſeines altfraͤnkiſchen grautaffentnen
Rockes, brachte eine kleine Brieftaſche daraus her¬
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[4/0024] weiter um mich. Die Geſellſchaft war ſehr auf¬ geraͤumt, es ward getaͤndelt und geſcherzt, man ſprach zuweilen von leichtſinnigen Dingen wichtig, von wichtigen oͤfters leichtſinnig, und gemaͤchlich erging beſonders der Witz uͤber abweſende Freunde und deren Verhaͤltniſſe. Ich war da zu fremd, um von alle dem Vieles zu verſtehen, zu bekuͤm¬ mert und in mich gekehrt, um den Sinn auf ſolche Raͤthſel zu haben. Wir hatten den Roſenhain erreicht. Die ſchoͤne Fanny, wie es ſchien, die Herrin des Tages, wollte aus Eigenſinn einen bluͤhenden Zweig ſelbſt brechen, ſie verletzte ſich an einem Dorn, und wie von den dunkeln Roſen, floß Pur¬ pur auf ihre zarte Hand. Dieſes Ereigniß brach¬ te die ganze Geſellſchaft in Bewegung. Es wur¬ de Engliſch Pflaſter geſucht. Ein ſtiller, duͤnner, hag'rer, laͤnglichter, aͤltlicher Mann, der neben mir ging, und den ich noch nicht bemerkt hatte, ſteckte ſogleich die Hand in die knapp anliegende Schoßtaſche ſeines altfraͤnkiſchen grautaffentnen Rockes, brachte eine kleine Brieftaſche daraus her¬ vor, oͤffnete ſie, und reichte der Dame mit devoter

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Zitationshilfe: Chamisso, Adelbert von: Peter Schlemihl's wundersame Geschichte. Nürnberg, 1814, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chamisso_schlemihl_1814/24>, abgerufen am 21.11.2024.