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Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802.

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anders, mit dem zitternden Körper in unmittelbarer oder mittelbarer Berüh-
rung stehen, so müssen diese nothwendig auch dadurch genöthigt werden, in
ebendenselben Zeiträumen, wie der schallende Körper, zu zittern, insoweit es
vermöge der Kraft der zitternden Bewegung, und der Beschaffenheit der umher
befindlichen Materien geschehen kann; und die zur Empfindung solcher Bewe-
gungen organisirten Gehörnerven müssen nothwendig dadurch afficirt werden,
wenn zwischen ihnen und dem schallenden Körper eine Strecke von Materien
irgend einer Art, die im Stande sind, mitzuzittern, sich befindet. So würde
auch im luftleeren Raume ein klingender Körper, wenn er gehörig in Bewegung
gesetzt wird, eben so klingen, wie in der Luft, d. i. er würde in ebendenselben
Zeiträumen, oder vielleicht ein wenig geschwinder, zittern, und ebendieselben
Gestaltveränderungen annehmen; man würde aber nichts hören, weil zwischen
dem Ohre und dem klingenden Körper keine zusammenhängende Strecke von
mitzitternden Materien sich befinden würde.

Eine sehr mangelhafte und einseitige Behandlung der Akustik ist auch
besonders dadurch veranlaßt worden, daß man blos, oder vorzüglich,
auf Saiten, aber wenig oder gar nicht auf andere klingenden
Körper Rücksicht genommen hat.
Es waren nähmlich Saiten fast die
einzige Art von klingenden Körpern, deren Eigenschaften man, wiewohl mei-
stens auch nur unvollkommen, kannte, weshalb man also glaubte, daß andere
klingenden Körper sich nach eben denselben Gesetzen richten müßten. Die Ent-
deckungen der Schwingungen eines Stabes von Daniel Bernoulli und L. Euler,
und der Luftschwingungen in einem Blasinstrumente von eben diesen und von
La Grange, Lambert und Riccati sind fast von Niemanden erwähnt, und noch
weniger gehörig benutzt worden, ehe ich in einigen Schriften Manchen darauf
aufmerksam machte, und die Eigenschaften der meisten andern klingenden Kör-
per sind von mir erst später in manchen einzelnen Abhandlungen, manche auch
hier zuerst, bekannt gemacht worden, so daß man also die allgemeinen Eigen-
schaften klingender Körper von den besondern, die einer jeden einzelnen Art der-

anders, mit dem zitternden Koͤrper in unmittelbarer oder mittelbarer Beruͤh-
rung ſtehen, ſo muͤſſen dieſe nothwendig auch dadurch genoͤthigt werden, in
ebendenſelben Zeitraͤumen, wie der ſchallende Koͤrper, zu zittern, inſoweit es
vermoͤge der Kraft der zitternden Bewegung, und der Beſchaffenheit der umher
befindlichen Materien geſchehen kann; und die zur Empfindung ſolcher Bewe-
gungen organiſirten Gehoͤrnerven muͤſſen nothwendig dadurch afficirt werden,
wenn zwiſchen ihnen und dem ſchallenden Koͤrper eine Strecke von Materien
irgend einer Art, die im Stande ſind, mitzuzittern, ſich befindet. So wuͤrde
auch im luftleeren Raume ein klingender Koͤrper, wenn er gehoͤrig in Bewegung
geſetzt wird, eben ſo klingen, wie in der Luft, d. i. er wuͤrde in ebendenſelben
Zeitraͤumen, oder vielleicht ein wenig geſchwinder, zittern, und ebendieſelben
Geſtaltveraͤnderungen annehmen; man wuͤrde aber nichts hoͤren, weil zwiſchen
dem Ohre und dem klingenden Koͤrper keine zuſammenhaͤngende Strecke von
mitzitternden Materien ſich befinden wuͤrde.

Eine ſehr mangelhafte und einſeitige Behandlung der Akuſtik iſt auch
beſonders dadurch veranlaßt worden, daß man blos, oder vorzuͤglich,
auf Saiten, aber wenig oder gar nicht auf andere klingenden
Koͤrper Ruͤckſicht genommen hat.
Es waren naͤhmlich Saiten faſt die
einzige Art von klingenden Koͤrpern, deren Eigenſchaften man, wiewohl mei-
ſtens auch nur unvollkommen, kannte, weshalb man alſo glaubte, daß andere
klingenden Koͤrper ſich nach eben denſelben Geſetzen richten muͤßten. Die Ent-
deckungen der Schwingungen eines Stabes von Daniel Bernoulli und L. Euler,
und der Luftſchwingungen in einem Blasinſtrumente von eben dieſen und von
La Grange, Lambert und Riccati ſind faſt von Niemanden erwaͤhnt, und noch
weniger gehoͤrig benutzt worden, ehe ich in einigen Schriften Manchen darauf
aufmerkſam machte, und die Eigenſchaften der meiſten andern klingenden Koͤr-
per ſind von mir erſt ſpaͤter in manchen einzelnen Abhandlungen, manche auch
hier zuerſt, bekannt gemacht worden, ſo daß man alſo die allgemeinen Eigen-
ſchaften klingender Koͤrper von den beſondern, die einer jeden einzelnen Art der-

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[X/0012] anders, mit dem zitternden Koͤrper in unmittelbarer oder mittelbarer Beruͤh- rung ſtehen, ſo muͤſſen dieſe nothwendig auch dadurch genoͤthigt werden, in ebendenſelben Zeitraͤumen, wie der ſchallende Koͤrper, zu zittern, inſoweit es vermoͤge der Kraft der zitternden Bewegung, und der Beſchaffenheit der umher befindlichen Materien geſchehen kann; und die zur Empfindung ſolcher Bewe- gungen organiſirten Gehoͤrnerven muͤſſen nothwendig dadurch afficirt werden, wenn zwiſchen ihnen und dem ſchallenden Koͤrper eine Strecke von Materien irgend einer Art, die im Stande ſind, mitzuzittern, ſich befindet. So wuͤrde auch im luftleeren Raume ein klingender Koͤrper, wenn er gehoͤrig in Bewegung geſetzt wird, eben ſo klingen, wie in der Luft, d. i. er wuͤrde in ebendenſelben Zeitraͤumen, oder vielleicht ein wenig geſchwinder, zittern, und ebendieſelben Geſtaltveraͤnderungen annehmen; man wuͤrde aber nichts hoͤren, weil zwiſchen dem Ohre und dem klingenden Koͤrper keine zuſammenhaͤngende Strecke von mitzitternden Materien ſich befinden wuͤrde. Eine ſehr mangelhafte und einſeitige Behandlung der Akuſtik iſt auch beſonders dadurch veranlaßt worden, daß man blos, oder vorzuͤglich, auf Saiten, aber wenig oder gar nicht auf andere klingenden Koͤrper Ruͤckſicht genommen hat. Es waren naͤhmlich Saiten faſt die einzige Art von klingenden Koͤrpern, deren Eigenſchaften man, wiewohl mei- ſtens auch nur unvollkommen, kannte, weshalb man alſo glaubte, daß andere klingenden Koͤrper ſich nach eben denſelben Geſetzen richten muͤßten. Die Ent- deckungen der Schwingungen eines Stabes von Daniel Bernoulli und L. Euler, und der Luftſchwingungen in einem Blasinſtrumente von eben dieſen und von La Grange, Lambert und Riccati ſind faſt von Niemanden erwaͤhnt, und noch weniger gehoͤrig benutzt worden, ehe ich in einigen Schriften Manchen darauf aufmerkſam machte, und die Eigenſchaften der meiſten andern klingenden Koͤr- per ſind von mir erſt ſpaͤter in manchen einzelnen Abhandlungen, manche auch hier zuerſt, bekannt gemacht worden, ſo daß man alſo die allgemeinen Eigen- ſchaften klingender Koͤrper von den beſondern, die einer jeden einzelnen Art der-

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Zitationshilfe: Chladni, Ernst Florens Friedrich: Die Akustik. Leipzig, 1802, S. X. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_akustik_1802/12>, abgerufen am 23.11.2024.