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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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vom Zuschauer und Sehepunckte.
nicht einen funckelnden Stein, sondern nach dem
ihm schon beywohnenden Begriff einen Diaman-
ten
nennen. Wenn wir jemanden schreiben se-
hen, so stellen wir uns kaum die besondern Um-
stände, oder was in dem Begriff des Schreibens
enthalten vor, wenigstens bemercken wir sie nicht
eintzeln, als daß er eine Feder in der Hand habe,
daß sie unten zugespitzt sey, daß sie in Dinte ein-
getaucht sey, und daß sie auf dem Papiere herum-
geführet werde: sondern wir fassen dieses alles so
gleich in dem uns schon bekannten Begriffe und
Worte des Schreibens zusammen; welches der-
jenige nicht thun würde noch könte, der vom
Schreiben überhaupt keine Nachricht hätte. Da-
her macht jeder Zuschauer einer Sache nicht so
viel Urtheile davon, als sich nach der Anzahl der
verschiedenen Empfindungen machen liessen, son-
dern er bemerckt nur die verschiedenen Abwechse-
lungen und Veränderungen, die nach denen ihm
beywohnenden allgemeinen Begriffen zusammen
als eine Veränderung und Begebenheit pflegen
angesehen zu werden. Wie aber dieses aus vie-
lerley Gründen geschehen könne, ist (§. 6. 7-11.
C. 1.) gewiesen worden. Als man siehet einem
Buchbinder und seinen Leuten zu: man wird
wahrnehmen, der eine legt Bogen zusammen, der
andere schlägt das Buch, der dritte hefftet, ein
vierter beschneidet, ein anderer vergoldet, ein an-
derer endlich collationiret. Jede von diesen Be-
gebenheiten bestehet aus mehreren Handlungen,
die wir würcklich gesehen haben, welche man aber
so gleich in allgemeine Begriffe und gewisse Ar-

ten

vom Zuſchauer und Sehepunckte.
nicht einen funckelnden Stein, ſondern nach dem
ihm ſchon beywohnenden Begriff einen Diaman-
ten
nennen. Wenn wir jemanden ſchreiben ſe-
hen, ſo ſtellen wir uns kaum die beſondern Um-
ſtaͤnde, oder was in dem Begriff des Schreibens
enthalten vor, wenigſtens bemercken wir ſie nicht
eintzeln, als daß er eine Feder in der Hand habe,
daß ſie unten zugeſpitzt ſey, daß ſie in Dinte ein-
getaucht ſey, und daß ſie auf dem Papiere herum-
gefuͤhret werde: ſondern wir faſſen dieſes alles ſo
gleich in dem uns ſchon bekannten Begriffe und
Worte des Schreibens zuſammen; welches der-
jenige nicht thun wuͤrde noch koͤnte, der vom
Schreiben uͤberhaupt keine Nachricht haͤtte. Da-
her macht jeder Zuſchauer einer Sache nicht ſo
viel Urtheile davon, als ſich nach der Anzahl der
verſchiedenen Empfindungen machen lieſſen, ſon-
dern er bemerckt nur die verſchiedenen Abwechſe-
lungen und Veraͤnderungen, die nach denen ihm
beywohnenden allgemeinen Begriffen zuſammen
als eine Veraͤnderung und Begebenheit pflegen
angeſehen zu werden. Wie aber dieſes aus vie-
lerley Gruͤnden geſchehen koͤnne, iſt (§. 6. 7-11.
C. 1.) gewieſen worden. Als man ſiehet einem
Buchbinder und ſeinen Leuten zu: man wird
wahrnehmen, der eine legt Bogen zuſammen, der
andere ſchlaͤgt das Buch, der dritte hefftet, ein
vierter beſchneidet, ein anderer vergoldet, ein an-
derer endlich collationiret. Jede von dieſen Be-
gebenheiten beſtehet aus mehreren Handlungen,
die wir wuͤrcklich geſehen haben, welche man aber
ſo gleich in allgemeine Begriffe und gewiſſe Ar-

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[111/0147] vom Zuſchauer und Sehepunckte. nicht einen funckelnden Stein, ſondern nach dem ihm ſchon beywohnenden Begriff einen Diaman- ten nennen. Wenn wir jemanden ſchreiben ſe- hen, ſo ſtellen wir uns kaum die beſondern Um- ſtaͤnde, oder was in dem Begriff des Schreibens enthalten vor, wenigſtens bemercken wir ſie nicht eintzeln, als daß er eine Feder in der Hand habe, daß ſie unten zugeſpitzt ſey, daß ſie in Dinte ein- getaucht ſey, und daß ſie auf dem Papiere herum- gefuͤhret werde: ſondern wir faſſen dieſes alles ſo gleich in dem uns ſchon bekannten Begriffe und Worte des Schreibens zuſammen; welches der- jenige nicht thun wuͤrde noch koͤnte, der vom Schreiben uͤberhaupt keine Nachricht haͤtte. Da- her macht jeder Zuſchauer einer Sache nicht ſo viel Urtheile davon, als ſich nach der Anzahl der verſchiedenen Empfindungen machen lieſſen, ſon- dern er bemerckt nur die verſchiedenen Abwechſe- lungen und Veraͤnderungen, die nach denen ihm beywohnenden allgemeinen Begriffen zuſammen als eine Veraͤnderung und Begebenheit pflegen angeſehen zu werden. Wie aber dieſes aus vie- lerley Gruͤnden geſchehen koͤnne, iſt (§. 6. 7-11. C. 1.) gewieſen worden. Als man ſiehet einem Buchbinder und ſeinen Leuten zu: man wird wahrnehmen, der eine legt Bogen zuſammen, der andere ſchlaͤgt das Buch, der dritte hefftet, ein vierter beſchneidet, ein anderer vergoldet, ein an- derer endlich collationiret. Jede von dieſen Be- gebenheiten beſtehet aus mehreren Handlungen, die wir wuͤrcklich geſehen haben, welche man aber ſo gleich in allgemeine Begriffe und gewiſſe Ar- ten

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/147>, abgerufen am 24.11.2024.