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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Sechstes Capitel,
es erzehlen wollen; deren sich verschiedene Arten
gedencken lassen. 1. Hat der Mensch einen na-
türlichen Trieb, seine Gedancken andern bekannt
zu machen; und es ist wie eine grosse Erleichte-
rung des Hertzens, wenn wir unsere Angelegen-
heiten,
welche nichts anders als Geschichte sind,
andern eröffnen dürffen. Dies ist die erste Quel-
le vieler Erzehlungen; bey welcher insbesondere
zu mercken ist, daß ein jeder bald merckt, es sey
einem andern mit Anhörung alltäglicher Geschäff-
te und Begebenheiten wenig gedienet, als die er
vor sich selbst wissen kan (§. 8. C. 4.); daher su-
chet denn ein jeder seine Erzehlung nach seinem
Vermögen so einzurichten, daß sie ein sonderba-
res,
oder gar wunderbares Ansehen bekom-
me, und was neues sey. 2. Jst jeder, dem
was aufgetragen worden zu erkundigen, oder aus-
zurichten, verbunden, von dem, was geschehen,
und wie er die Sachen befunden, Bericht ab-
zustatten. Dabey wird hauptsächlich das Um-
ständliche
erfordert. 3. Offters erzehlet einer
dem andern etwas zum Schertz und Zeitvertreib;
wobey nothwendig das Verdrüßliche wegblei-
ben muß; ausser in so ferne es auf einer plaisan-
ten Seite vorgestellet werden kan. 4. Haupt-
sächlich aber erzehlen wir, daß sich der Zuhörer
darnach richten, und eine Entschlüssung fassen soll,
und denn ist klar, daß man hierbey nur so viel
aus der uns beywohnenden Geschichte heraus zu
nehmen habe, als zu dem Geschäffte und zu der
Entschlüssung dienen kan: so wird wegen der ver-
schiedenen Absichten die Erzehlung immer etwas

anders

Sechſtes Capitel,
es erzehlen wollen; deren ſich verſchiedene Arten
gedencken laſſen. 1. Hat der Menſch einen na-
tuͤrlichen Trieb, ſeine Gedancken andern bekannt
zu machen; und es iſt wie eine groſſe Erleichte-
rung des Hertzens, wenn wir unſere Angelegen-
heiten,
welche nichts anders als Geſchichte ſind,
andern eroͤffnen duͤrffen. Dies iſt die erſte Quel-
le vieler Erzehlungen; bey welcher insbeſondere
zu mercken iſt, daß ein jeder bald merckt, es ſey
einem andern mit Anhoͤrung alltaͤglicher Geſchaͤff-
te und Begebenheiten wenig gedienet, als die er
vor ſich ſelbſt wiſſen kan (§. 8. C. 4.); daher ſu-
chet denn ein jeder ſeine Erzehlung nach ſeinem
Vermoͤgen ſo einzurichten, daß ſie ein ſonderba-
res,
oder gar wunderbares Anſehen bekom-
me, und was neues ſey. 2. Jſt jeder, dem
was aufgetragen worden zu erkundigen, oder aus-
zurichten, verbunden, von dem, was geſchehen,
und wie er die Sachen befunden, Bericht ab-
zuſtatten. Dabey wird hauptſaͤchlich das Um-
ſtaͤndliche
erfordert. 3. Offters erzehlet einer
dem andern etwas zum Schertz und Zeitvertreib;
wobey nothwendig das Verdruͤßliche wegblei-
ben muß; auſſer in ſo ferne es auf einer plaiſan-
ten Seite vorgeſtellet werden kan. 4. Haupt-
ſaͤchlich aber erzehlen wir, daß ſich der Zuhoͤrer
darnach richten, und eine Entſchluͤſſung faſſen ſoll,
und denn iſt klar, daß man hierbey nur ſo viel
aus der uns beywohnenden Geſchichte heraus zu
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[124/0160] Sechſtes Capitel, es erzehlen wollen; deren ſich verſchiedene Arten gedencken laſſen. 1. Hat der Menſch einen na- tuͤrlichen Trieb, ſeine Gedancken andern bekannt zu machen; und es iſt wie eine groſſe Erleichte- rung des Hertzens, wenn wir unſere Angelegen- heiten, welche nichts anders als Geſchichte ſind, andern eroͤffnen duͤrffen. Dies iſt die erſte Quel- le vieler Erzehlungen; bey welcher insbeſondere zu mercken iſt, daß ein jeder bald merckt, es ſey einem andern mit Anhoͤrung alltaͤglicher Geſchaͤff- te und Begebenheiten wenig gedienet, als die er vor ſich ſelbſt wiſſen kan (§. 8. C. 4.); daher ſu- chet denn ein jeder ſeine Erzehlung nach ſeinem Vermoͤgen ſo einzurichten, daß ſie ein ſonderba- res, oder gar wunderbares Anſehen bekom- me, und was neues ſey. 2. Jſt jeder, dem was aufgetragen worden zu erkundigen, oder aus- zurichten, verbunden, von dem, was geſchehen, und wie er die Sachen befunden, Bericht ab- zuſtatten. Dabey wird hauptſaͤchlich das Um- ſtaͤndliche erfordert. 3. Offters erzehlet einer dem andern etwas zum Schertz und Zeitvertreib; wobey nothwendig das Verdruͤßliche wegblei- ben muß; auſſer in ſo ferne es auf einer plaiſan- ten Seite vorgeſtellet werden kan. 4. Haupt- ſaͤchlich aber erzehlen wir, daß ſich der Zuhoͤrer darnach richten, und eine Entſchluͤſſung faſſen ſoll, und denn iſt klar, daß man hierbey nur ſo viel aus der uns beywohnenden Geſchichte heraus zu nehmen habe, als zu dem Geſchaͤffte und zu der Entſchluͤſſung dienen kan: ſo wird wegen der ver- ſchiedenen Abſichten die Erzehlung immer etwas anders

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/160>, abgerufen am 23.11.2024.