Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
Achtes Capitel,
§. 8.
Ungeheure Anschläge.

Allein es können lasterhaffte Menschen ie zu-
weilen solche Anschläge fassen, die dennoch ihrer
kundbaren Laster ungeachtet, und nach den gemei-
nen Begriffen von Lastern, nimmermehr vermu-
thet hätte, wenn uns nicht die Wahrheit der Sa-
che in die Augen leuchtete; solche Anschläge die
tausend andere, auch Lasterhafte, wenn sie sich gleich
in eben solchen äuserlichen Umständen befunden
hätten, dennoch nicht würden gefasset haben.
Herodes lässet aus Besorgniß eines neugebohr-
nen künfftigen Königes, der nicht aus seinem
Hause wäre, alle zweyjährigen Knaben, und drun-
ter tödten. Vielen andern Tyrannen würde doch
eine solche Grausamkeit nicht einmahl eingefallen
seyn, geschweige daß sie solche würcklich hätten
ausüben sollen. Herostratus zündet den Dia-
nentempel zu Ephesus an, um einen unsterblichen
Nahmen zu erlangen: Sollten wohl viele solche
ausschweiffende Anschläge und Ruhmbegierde ge-
fasset haben? Nero lässet Rom in Brand ste-
cken, um sich Troja im Feuer lebhafft vorstellen
zu können: Oder auch die Stadt nach seiner Phan-
tasey bauen zu können. Mahomet ersinnet
eine neue Religion, um das Haupt eines Kriegs-
heers zu werden. Dergleichen Anschläge würden
uns noch unbesonnener und widersinniger vor-
kommen, wenn uns nicht die würckliche erfolgte
Ausführung, die Unternehmung weit leichter vor-
stellte, als sie vernünfftige Menschen zu der Zeit

anse-
Achtes Capitel,
§. 8.
Ungeheure Anſchlaͤge.

Allein es koͤnnen laſterhaffte Menſchen ie zu-
weilen ſolche Anſchlaͤge faſſen, die dennoch ihrer
kundbaren Laſter ungeachtet, und nach den gemei-
nen Begriffen von Laſtern, nimmermehr vermu-
thet haͤtte, wenn uns nicht die Wahrheit der Sa-
che in die Augen leuchtete; ſolche Anſchlaͤge die
tauſend andere, auch Laſterhafte, wenn ſie ſich gleich
in eben ſolchen aͤuſerlichen Umſtaͤnden befunden
haͤtten, dennoch nicht wuͤrden gefaſſet haben.
Herodes laͤſſet aus Beſorgniß eines neugebohr-
nen kuͤnfftigen Koͤniges, der nicht aus ſeinem
Hauſe waͤre, alle zweyjaͤhrigen Knaben, und drun-
ter toͤdten. Vielen andern Tyrannen wuͤrde doch
eine ſolche Grauſamkeit nicht einmahl eingefallen
ſeyn, geſchweige daß ſie ſolche wuͤrcklich haͤtten
ausuͤben ſollen. Heroſtratus zuͤndet den Dia-
nentempel zu Epheſus an, um einen unſterblichen
Nahmen zu erlangen: Sollten wohl viele ſolche
ausſchweiffende Anſchlaͤge und Ruhmbegierde ge-
faſſet haben? Nero laͤſſet Rom in Brand ſte-
cken, um ſich Troja im Feuer lebhafft vorſtellen
zu koͤnnen: Oder auch die Stadt nach ſeiner Phan-
taſey bauen zu koͤnnen. Mahomet erſinnet
eine neue Religion, um das Haupt eines Kriegs-
heers zu werden. Dergleichen Anſchlaͤge wuͤrden
uns noch unbeſonnener und widerſinniger vor-
kommen, wenn uns nicht die wuͤrckliche erfolgte
Ausfuͤhrung, die Unternehmung weit leichter vor-
ſtellte, als ſie vernuͤnfftige Menſchen zu der Zeit

anſe-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0250" n="214"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Achtes Capitel,</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 8.<lb/>
Ungeheure An&#x017F;chla&#x0364;ge.</head><lb/>
          <p>Allein es ko&#x0364;nnen la&#x017F;terhaffte Men&#x017F;chen ie zu-<lb/>
weilen &#x017F;olche An&#x017F;chla&#x0364;ge fa&#x017F;&#x017F;en, die dennoch ihrer<lb/>
kundbaren La&#x017F;ter ungeachtet, und nach den gemei-<lb/>
nen Begriffen von La&#x017F;tern, nimmermehr vermu-<lb/>
thet ha&#x0364;tte, wenn uns nicht die Wahrheit der Sa-<lb/>
che in die Augen leuchtete; &#x017F;olche An&#x017F;chla&#x0364;ge die<lb/>
tau&#x017F;end andere, auch La&#x017F;terhafte, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich gleich<lb/>
in eben &#x017F;olchen a&#x0364;u&#x017F;erlichen Um&#x017F;ta&#x0364;nden befunden<lb/>
ha&#x0364;tten, dennoch nicht wu&#x0364;rden gefa&#x017F;&#x017F;et haben.<lb/><hi rendition="#fr">Herodes</hi> la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et aus Be&#x017F;orgniß eines neugebohr-<lb/>
nen ku&#x0364;nfftigen Ko&#x0364;niges, der nicht aus &#x017F;einem<lb/>
Hau&#x017F;e wa&#x0364;re, alle zweyja&#x0364;hrigen Knaben, und drun-<lb/>
ter to&#x0364;dten. Vielen andern Tyrannen wu&#x0364;rde doch<lb/>
eine &#x017F;olche Grau&#x017F;amkeit nicht einmahl eingefallen<lb/>
&#x017F;eyn, ge&#x017F;chweige daß &#x017F;ie &#x017F;olche wu&#x0364;rcklich ha&#x0364;tten<lb/>
ausu&#x0364;ben &#x017F;ollen. <hi rendition="#fr">Hero&#x017F;tratus</hi> zu&#x0364;ndet den Dia-<lb/>
nentempel zu Ephe&#x017F;us an, um einen un&#x017F;terblichen<lb/>
Nahmen zu erlangen: Sollten wohl viele &#x017F;olche<lb/>
aus&#x017F;chweiffende An&#x017F;chla&#x0364;ge und Ruhmbegierde ge-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;et haben? <hi rendition="#fr">Nero</hi> la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et Rom in Brand &#x017F;te-<lb/>
cken, um &#x017F;ich Troja im Feuer lebhafft vor&#x017F;tellen<lb/>
zu ko&#x0364;nnen: Oder auch die Stadt nach &#x017F;einer Phan-<lb/>
ta&#x017F;ey bauen zu ko&#x0364;nnen. <hi rendition="#fr">Mahomet</hi> er&#x017F;innet<lb/>
eine neue Religion, um das Haupt eines Kriegs-<lb/>
heers zu werden. Dergleichen An&#x017F;chla&#x0364;ge wu&#x0364;rden<lb/>
uns noch unbe&#x017F;onnener und wider&#x017F;inniger vor-<lb/>
kommen, wenn uns nicht die wu&#x0364;rckliche erfolgte<lb/>
Ausfu&#x0364;hrung, die Unternehmung weit leichter vor-<lb/>
&#x017F;tellte, als &#x017F;ie vernu&#x0364;nfftige Men&#x017F;chen zu der Zeit<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">an&#x017F;e-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0250] Achtes Capitel, §. 8. Ungeheure Anſchlaͤge. Allein es koͤnnen laſterhaffte Menſchen ie zu- weilen ſolche Anſchlaͤge faſſen, die dennoch ihrer kundbaren Laſter ungeachtet, und nach den gemei- nen Begriffen von Laſtern, nimmermehr vermu- thet haͤtte, wenn uns nicht die Wahrheit der Sa- che in die Augen leuchtete; ſolche Anſchlaͤge die tauſend andere, auch Laſterhafte, wenn ſie ſich gleich in eben ſolchen aͤuſerlichen Umſtaͤnden befunden haͤtten, dennoch nicht wuͤrden gefaſſet haben. Herodes laͤſſet aus Beſorgniß eines neugebohr- nen kuͤnfftigen Koͤniges, der nicht aus ſeinem Hauſe waͤre, alle zweyjaͤhrigen Knaben, und drun- ter toͤdten. Vielen andern Tyrannen wuͤrde doch eine ſolche Grauſamkeit nicht einmahl eingefallen ſeyn, geſchweige daß ſie ſolche wuͤrcklich haͤtten ausuͤben ſollen. Heroſtratus zuͤndet den Dia- nentempel zu Epheſus an, um einen unſterblichen Nahmen zu erlangen: Sollten wohl viele ſolche ausſchweiffende Anſchlaͤge und Ruhmbegierde ge- faſſet haben? Nero laͤſſet Rom in Brand ſte- cken, um ſich Troja im Feuer lebhafft vorſtellen zu koͤnnen: Oder auch die Stadt nach ſeiner Phan- taſey bauen zu koͤnnen. Mahomet erſinnet eine neue Religion, um das Haupt eines Kriegs- heers zu werden. Dergleichen Anſchlaͤge wuͤrden uns noch unbeſonnener und widerſinniger vor- kommen, wenn uns nicht die wuͤrckliche erfolgte Ausfuͤhrung, die Unternehmung weit leichter vor- ſtellte, als ſie vernuͤnfftige Menſchen zu der Zeit anſe-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/250
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/250>, abgerufen am 21.11.2024.