Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Achtes Capitel,
in Ansehung der Ursache weiter kein Zweifel übrig.
(§. 4.) Allein es können dergleichen Handlungen
auch aus Absichten vorgenommen werden. Denn
da Handlungen, die mit keiner Lust verknüpft sind,
ja die so gar beschwehrlich sind, um der nützlichen,
oder scheinbaren Folgen dennoch vorgenommen
werden, (n. 2. §. 3): warum sollte man nicht
auch angenehme Handlungen, wenn sie nützliche
Folgen noch darneben haben, um dieser Folgen
willen, oder aus Absichten unternehmen können.
Der Unterscheid ist nur, daß alsdenn die Sache der
Seele auf zweyerley Art angenehm ist, und also de-
sto mehr erleichtert wird. Und so wird aus einer
natürlichen Handlung zugleich eine politische
Handlung. Manchmahl siehet man bey angeneh-
men Handlungen gar nicht auf das damit verknüpf-
te Vergnügen, sondern bloß auf die Absicht, die
dadurch soll erhalten werden. Staatsmänner
thun vieles aus Absichten, was andere bloß zur
Lust thun: Sie geben Gastmahle, öffters gar nicht
zum Vergnügen, sondern es nur an keinen äuserli-
chen Zeichen der Freundschafft fehlen zu lassen: oder
nur, weil es die Gewohnheit und Beschaffenheit
ihres Standes erfordert: Sie nehmen Promena-
den für, öffters nur, um nicht zu Hause zu seyn,
gewissen Zuspruch, oder Concurrenz zu vermeiden;
oder gewisse Entreuven, die nicht abgeredet schei-
nen sollen, zu haben. Die gantze Sache kan also
entweder nur Verstellung seyn, wenn man nach
dem Vergnügen gar nichts fragt: oder das Ver-
gnügen kan nur eine Nebenursach seyn. Folg-
lich führet uns der allgemeine Begriff solcher Hand-

lung

Achtes Capitel,
in Anſehung der Urſache weiter kein Zweifel uͤbrig.
(§. 4.) Allein es koͤnnen dergleichen Handlungen
auch aus Abſichten vorgenommen werden. Denn
da Handlungen, die mit keiner Luſt verknuͤpft ſind,
ja die ſo gar beſchwehrlich ſind, um der nuͤtzlichen,
oder ſcheinbaren Folgen dennoch vorgenommen
werden, (n. 2. §. 3): warum ſollte man nicht
auch angenehme Handlungen, wenn ſie nuͤtzliche
Folgen noch darneben haben, um dieſer Folgen
willen, oder aus Abſichten unternehmen koͤnnen.
Der Unterſcheid iſt nur, daß alsdenn die Sache der
Seele auf zweyerley Art angenehm iſt, und alſo de-
ſto mehr erleichtert wird. Und ſo wird aus einer
natuͤrlichen Handlung zugleich eine politiſche
Handlung. Manchmahl ſiehet man bey angeneh-
men Handlungen gar nicht auf das damit verknuͤpf-
te Vergnuͤgen, ſondern bloß auf die Abſicht, die
dadurch ſoll erhalten werden. Staatsmaͤnner
thun vieles aus Abſichten, was andere bloß zur
Luſt thun: Sie geben Gaſtmahle, oͤffters gar nicht
zum Vergnuͤgen, ſondern es nur an keinen aͤuſerli-
chen Zeichen der Freundſchafft fehlen zu laſſen: oder
nur, weil es die Gewohnheit und Beſchaffenheit
ihres Standes erfordert: Sie nehmen Promena-
den fuͤr, oͤffters nur, um nicht zu Hauſe zu ſeyn,
gewiſſen Zuſpruch, oder Concurrenz zu vermeiden;
oder gewiſſe Entreuven, die nicht abgeredet ſchei-
nen ſollen, zu haben. Die gantze Sache kan alſo
entweder nur Verſtellung ſeyn, wenn man nach
dem Vergnuͤgen gar nichts fragt: oder das Ver-
gnuͤgen kan nur eine Nebenurſach ſeyn. Folg-
lich fuͤhret uns der allgemeine Begriff ſolcher Hand-

lung
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0290" n="254"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Achtes Capitel,</hi></fw><lb/>
in An&#x017F;ehung der Ur&#x017F;ache weiter kein Zweifel u&#x0364;brig.<lb/>
(§. 4.) Allein es ko&#x0364;nnen dergleichen Handlungen<lb/>
auch aus Ab&#x017F;ichten vorgenommen werden. Denn<lb/>
da Handlungen, die mit keiner Lu&#x017F;t verknu&#x0364;pft &#x017F;ind,<lb/>
ja die &#x017F;o gar be&#x017F;chwehrlich &#x017F;ind, um der nu&#x0364;tzlichen,<lb/>
oder &#x017F;cheinbaren Folgen dennoch vorgenommen<lb/>
werden, (<hi rendition="#aq">n.</hi> 2. §. 3): warum &#x017F;ollte man nicht<lb/>
auch angenehme Handlungen, wenn &#x017F;ie nu&#x0364;tzliche<lb/>
Folgen noch darneben haben, um die&#x017F;er Folgen<lb/>
willen, oder aus Ab&#x017F;ichten unternehmen ko&#x0364;nnen.<lb/>
Der Unter&#x017F;cheid i&#x017F;t nur, daß alsdenn die Sache der<lb/>
Seele auf zweyerley Art angenehm i&#x017F;t, und al&#x017F;o de-<lb/>
&#x017F;to mehr erleichtert wird. Und &#x017F;o wird aus einer<lb/><hi rendition="#fr">natu&#x0364;rlichen</hi> Handlung zugleich eine <hi rendition="#fr">politi&#x017F;che</hi><lb/>
Handlung. Manchmahl &#x017F;iehet man bey angeneh-<lb/>
men Handlungen gar nicht auf das damit verknu&#x0364;pf-<lb/>
te Vergnu&#x0364;gen, &#x017F;ondern bloß auf die Ab&#x017F;icht, die<lb/>
dadurch &#x017F;oll erhalten werden. <hi rendition="#fr">Staatsma&#x0364;nner</hi><lb/>
thun vieles aus <hi rendition="#fr">Ab&#x017F;ichten,</hi> was andere bloß zur<lb/>
Lu&#x017F;t thun: Sie geben Ga&#x017F;tmahle, o&#x0364;ffters gar nicht<lb/>
zum Vergnu&#x0364;gen, &#x017F;ondern es nur an keinen a&#x0364;u&#x017F;erli-<lb/>
chen Zeichen der Freund&#x017F;chafft fehlen zu la&#x017F;&#x017F;en: oder<lb/>
nur, weil es die Gewohnheit und Be&#x017F;chaffenheit<lb/>
ihres Standes erfordert: Sie nehmen Promena-<lb/>
den fu&#x0364;r, o&#x0364;ffters nur, um nicht zu Hau&#x017F;e zu &#x017F;eyn,<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Zu&#x017F;pruch, oder Concurrenz zu vermeiden;<lb/>
oder gewi&#x017F;&#x017F;e Entreuven, die nicht abgeredet &#x017F;chei-<lb/>
nen &#x017F;ollen, zu haben. Die gantze Sache kan al&#x017F;o<lb/>
entweder nur <hi rendition="#fr">Ver&#x017F;tellung</hi> &#x017F;eyn, wenn man nach<lb/>
dem Vergnu&#x0364;gen gar nichts fragt: oder das Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen kan nur eine <hi rendition="#fr">Nebenur&#x017F;ach</hi> &#x017F;eyn. Folg-<lb/>
lich fu&#x0364;hret uns der allgemeine Begriff &#x017F;olcher Hand-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">lung</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[254/0290] Achtes Capitel, in Anſehung der Urſache weiter kein Zweifel uͤbrig. (§. 4.) Allein es koͤnnen dergleichen Handlungen auch aus Abſichten vorgenommen werden. Denn da Handlungen, die mit keiner Luſt verknuͤpft ſind, ja die ſo gar beſchwehrlich ſind, um der nuͤtzlichen, oder ſcheinbaren Folgen dennoch vorgenommen werden, (n. 2. §. 3): warum ſollte man nicht auch angenehme Handlungen, wenn ſie nuͤtzliche Folgen noch darneben haben, um dieſer Folgen willen, oder aus Abſichten unternehmen koͤnnen. Der Unterſcheid iſt nur, daß alsdenn die Sache der Seele auf zweyerley Art angenehm iſt, und alſo de- ſto mehr erleichtert wird. Und ſo wird aus einer natuͤrlichen Handlung zugleich eine politiſche Handlung. Manchmahl ſiehet man bey angeneh- men Handlungen gar nicht auf das damit verknuͤpf- te Vergnuͤgen, ſondern bloß auf die Abſicht, die dadurch ſoll erhalten werden. Staatsmaͤnner thun vieles aus Abſichten, was andere bloß zur Luſt thun: Sie geben Gaſtmahle, oͤffters gar nicht zum Vergnuͤgen, ſondern es nur an keinen aͤuſerli- chen Zeichen der Freundſchafft fehlen zu laſſen: oder nur, weil es die Gewohnheit und Beſchaffenheit ihres Standes erfordert: Sie nehmen Promena- den fuͤr, oͤffters nur, um nicht zu Hauſe zu ſeyn, gewiſſen Zuſpruch, oder Concurrenz zu vermeiden; oder gewiſſe Entreuven, die nicht abgeredet ſchei- nen ſollen, zu haben. Die gantze Sache kan alſo entweder nur Verſtellung ſeyn, wenn man nach dem Vergnuͤgen gar nichts fragt: oder das Ver- gnuͤgen kan nur eine Nebenurſach ſeyn. Folg- lich fuͤhret uns der allgemeine Begriff ſolcher Hand- lung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/290
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/290>, abgerufen am 21.11.2024.