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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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v. d. historischen Wahrscheinlichkeit.
§. 14.
Uneinigkeiten in historischen Wahrschein-
lichkeiten.

Wenn eine Aussage vor der andern einen solchen
Vorzug hat, wie wir (§. 12.) gewiesen haben,
so wird jeder, der solchen Vorzug einräumet, auch
uns recht geben, und uns einräumen, daß die
Aussage, die wir vor wahrscheinlich halten, auch
ihm wahrscheinlich sey. Wenn aber handgreiff-
liche Anzeichen
wider Aussagen streiten: so
wird man in der Erfahrung finden, daß der eine de-
nen Anzeichen, der andere den Aussagen mehr Ge-
wichte beyleget, und eher Beyfall geben wird. An-
zeichen wider einen jungen Menschen, die einen
Richter fast bewegen möchten, ihn ohne weitläuff-
tigere Untersuchung gleich zu condemniren, wollen
immer noch den Eltern nicht einleuchten: Das
Läugnen des Sohnes gilt bey ihnen immer weit
mehr. Wie schwehr ists nicht bey grossen Herren,
daß ihnen durch Anzeichen die Treue ihrer Vertrau-
ten verdächtig werde. Hingegen finden wir wie-
der bey soupconneuxen Leuten, daß ihnen ein gerin-
ges Anzeichen die Sache so zuverläßig vorstellen
kan, daß sie sich durch noch so viel Aussagen nicht
wieder zur Ruhe bringen lassen. Hier lässet sich
die Krafft der Anzeichen und die Krafft der Aussa-
gen nicht gegen einander abwägen: weil es Dinge
von gantz verschiedener Art sind.

§. 15.
Die wahrscheinliche Erkentniß ist gantz ein ander
Werck, als die gewisse.

Ueberhaupt, wenn man einmahl nicht auf dem

rechten
v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
§. 14.
Uneinigkeiten in hiſtoriſchen Wahrſchein-
lichkeiten.

Wenn eine Ausſage vor der andern einen ſolchen
Vorzug hat, wie wir (§. 12.) gewieſen haben,
ſo wird jeder, der ſolchen Vorzug einraͤumet, auch
uns recht geben, und uns einraͤumen, daß die
Ausſage, die wir vor wahrſcheinlich halten, auch
ihm wahrſcheinlich ſey. Wenn aber handgreiff-
liche Anzeichen
wider Ausſagen ſtreiten: ſo
wird man in der Erfahrung finden, daß der eine de-
nen Anzeichen, der andere den Ausſagen mehr Ge-
wichte beyleget, und eher Beyfall geben wird. An-
zeichen wider einen jungen Menſchen, die einen
Richter faſt bewegen moͤchten, ihn ohne weitlaͤuff-
tigere Unterſuchung gleich zu condemniren, wollen
immer noch den Eltern nicht einleuchten: Das
Laͤugnen des Sohnes gilt bey ihnen immer weit
mehr. Wie ſchwehr iſts nicht bey groſſen Herren,
daß ihnen durch Anzeichen die Treue ihrer Vertrau-
ten verdaͤchtig werde. Hingegen finden wir wie-
der bey ſoupconneuxen Leuten, daß ihnen ein gerin-
ges Anzeichen die Sache ſo zuverlaͤßig vorſtellen
kan, daß ſie ſich durch noch ſo viel Ausſagen nicht
wieder zur Ruhe bringen laſſen. Hier laͤſſet ſich
die Krafft der Anzeichen und die Krafft der Ausſa-
gen nicht gegen einander abwaͤgen: weil es Dinge
von gantz verſchiedener Art ſind.

§. 15.
Die wahrſcheinliche Erkentniß iſt gantz ein ander
Werck, als die gewiſſe.

Ueberhaupt, wenn man einmahl nicht auf dem

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[335/0371] v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. §. 14. Uneinigkeiten in hiſtoriſchen Wahrſchein- lichkeiten. Wenn eine Ausſage vor der andern einen ſolchen Vorzug hat, wie wir (§. 12.) gewieſen haben, ſo wird jeder, der ſolchen Vorzug einraͤumet, auch uns recht geben, und uns einraͤumen, daß die Ausſage, die wir vor wahrſcheinlich halten, auch ihm wahrſcheinlich ſey. Wenn aber handgreiff- liche Anzeichen wider Ausſagen ſtreiten: ſo wird man in der Erfahrung finden, daß der eine de- nen Anzeichen, der andere den Ausſagen mehr Ge- wichte beyleget, und eher Beyfall geben wird. An- zeichen wider einen jungen Menſchen, die einen Richter faſt bewegen moͤchten, ihn ohne weitlaͤuff- tigere Unterſuchung gleich zu condemniren, wollen immer noch den Eltern nicht einleuchten: Das Laͤugnen des Sohnes gilt bey ihnen immer weit mehr. Wie ſchwehr iſts nicht bey groſſen Herren, daß ihnen durch Anzeichen die Treue ihrer Vertrau- ten verdaͤchtig werde. Hingegen finden wir wie- der bey ſoupconneuxen Leuten, daß ihnen ein gerin- ges Anzeichen die Sache ſo zuverlaͤßig vorſtellen kan, daß ſie ſich durch noch ſo viel Ausſagen nicht wieder zur Ruhe bringen laſſen. Hier laͤſſet ſich die Krafft der Anzeichen und die Krafft der Ausſa- gen nicht gegen einander abwaͤgen: weil es Dinge von gantz verſchiedener Art ſind. §. 15. Die wahrſcheinliche Erkentniß iſt gantz ein ander Werck, als die gewiſſe. Ueberhaupt, wenn man einmahl nicht auf dem rechten

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/371>, abgerufen am 24.11.2024.