fenden Vorgeben, ist zuförderst die gröste Vor- sicht zu gebrauchen, daß man nur mit seinem An- trage nicht gar ausgelacht wird.
§. 22. Ob widersprechende Sätze Grade der Wahr- scheinlichkeit haben:
Grade der Wahrscheinlichkeit entstehen dar- aus, wenn der eine Satz dem Zweiffel weniger un- terworffen ist, als der andere. Und dieses kan sich gar wohl bey zwey gantz verschiedenen hi- storischen Sätzen zutragen, daß dem einem mehr im Wege stehet als dem andern. Aber das ist eine Verwirrung der Begriffe, die zwar sehr ge- wöhnlich, aber keinesweges zu rechtfertigen ist; wenn man zweyen entgegen stehenden Sä- tzen, (contradictorie oppositis) eine Wahrschein- lichkeit beylegt; nehmlich dem einen eine gerin- gere, dem andern eine grössere Wahrscheinlich- keit. Denn unter solchen Sätzen kan nur einer wahrscheinlich seyn. Wir wollen solches nach der Definition der Wahrscheinlichkeit zeigen, der man sich gemeiniglich bedienet: Nehmlich, wo mehrere Requisita, oder auch Anzeichen der Wahr- heit vorhanden sind, als des falschen. Es sey nehmlich ein Factum, dabey zehen Zuschauer ge- wesen: Wenn diese alle unverdächtig sind, und ein- müthig die Sache erzehlen, so wird sie jedermann vor gewiß halten. Gesetzt aber, sie gehen in der Erzehlung von einander ab: So entstehet daraus Ungewißheit. Wären ihrer fünfe dieser Meynung, die andern fünfe der entgegen gesetzten
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v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
fenden Vorgeben, iſt zufoͤrderſt die groͤſte Vor- ſicht zu gebrauchen, daß man nur mit ſeinem An- trage nicht gar ausgelacht wird.
§. 22. Ob widerſprechende Saͤtze Grade der Wahr- ſcheinlichkeit haben:
Grade der Wahrſcheinlichkeit entſtehen dar- aus, wenn der eine Satz dem Zweiffel weniger un- terworffen iſt, als der andere. Und dieſes kan ſich gar wohl bey zwey gantz verſchiedenen hi- ſtoriſchen Saͤtzen zutragen, daß dem einem mehr im Wege ſtehet als dem andern. Aber das iſt eine Verwirrung der Begriffe, die zwar ſehr ge- woͤhnlich, aber keinesweges zu rechtfertigen iſt; wenn man zweyen entgegen ſtehenden Saͤ- tzen, (contradictorie oppoſitis) eine Wahrſchein- lichkeit beylegt; nehmlich dem einen eine gerin- gere, dem andern eine groͤſſere Wahrſcheinlich- keit. Denn unter ſolchen Saͤtzen kan nur einer wahrſcheinlich ſeyn. Wir wollen ſolches nach der Definition der Wahrſcheinlichkeit zeigen, der man ſich gemeiniglich bedienet: Nehmlich, wo mehrere Requiſita, oder auch Anzeichen der Wahr- heit vorhanden ſind, als des falſchen. Es ſey nehmlich ein Factum, dabey zehen Zuſchauer ge- weſen: Wenn dieſe alle unverdaͤchtig ſind, und ein- muͤthig die Sache erzehlen, ſo wird ſie jedermann vor gewiß halten. Geſetzt aber, ſie gehen in der Erzehlung von einander ab: So entſtehet daraus Ungewißheit. Waͤren ihrer fuͤnfe dieſer Meynung, die andern fuͤnfe der entgegen geſetzten
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v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
fenden Vorgeben, iſt zufoͤrderſt die groͤſte Vor-
ſicht zu gebrauchen, daß man nur mit ſeinem An-
trage nicht gar ausgelacht wird.
§. 22.
Ob widerſprechende Saͤtze Grade der Wahr-
ſcheinlichkeit haben:
Grade der Wahrſcheinlichkeit entſtehen dar-
aus, wenn der eine Satz dem Zweiffel weniger un-
terworffen iſt, als der andere. Und dieſes kan
ſich gar wohl bey zwey gantz verſchiedenen hi-
ſtoriſchen Saͤtzen zutragen, daß dem einem mehr
im Wege ſtehet als dem andern. Aber das iſt
eine Verwirrung der Begriffe, die zwar ſehr ge-
woͤhnlich, aber keinesweges zu rechtfertigen iſt;
wenn man zweyen entgegen ſtehenden Saͤ-
tzen, (contradictorie oppoſitis) eine Wahrſchein-
lichkeit beylegt; nehmlich dem einen eine gerin-
gere, dem andern eine groͤſſere Wahrſcheinlich-
keit. Denn unter ſolchen Saͤtzen kan nur einer
wahrſcheinlich ſeyn. Wir wollen ſolches nach der
Definition der Wahrſcheinlichkeit zeigen, der
man ſich gemeiniglich bedienet: Nehmlich, wo
mehrere Requiſita, oder auch Anzeichen der Wahr-
heit vorhanden ſind, als des falſchen. Es ſey
nehmlich ein Factum, dabey zehen Zuſchauer ge-
weſen: Wenn dieſe alle unverdaͤchtig ſind, und ein-
muͤthig die Sache erzehlen, ſo wird ſie jedermann
vor gewiß halten. Geſetzt aber, ſie gehen in
der Erzehlung von einander ab: So entſtehet
daraus Ungewißheit. Waͤren ihrer fuͤnfe dieſer
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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/381>, abgerufen am 24.11.2024.
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