Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
v. d. historischen Wahrscheinlichkeit.
§. 26.
Die Kunst, bey Geschichten zu überzeigen.

Ueberzeigen ist überhaupt nicht einerley mit
Beweisen und der Sache gewiß machen. Phil.
Defin. p.
25. sondern bedeutet so viel, als durch
vorhandene Zweiffel und Scrupel zur Gewißheit
durchdringen. Dieses lässet sich denn auf die histo-
rische Erkentniß leicht appliciren. Zur Gewißheit
an sich gehören nur Aussagen von Autoren, die
ein völliges Ansehen haben, (§. 24. C. 9.) wenn
sich aber, wie gar öffters geschiehet, wegen entge-
gen stehender Zeugnisse und Anzeichen Zweiffel fin-
det, so haben wir gewiesen, wie dieser Zweiffel ge-
hoben werden müsse; (§. 3. sq.) und dadurch die
Gewißheit gleichsam erpresset werden könne. Ja
da auch Sachen vorkommen, da es auf Wahr-
scheinlichkeit
ankommt, und wo wir weiter
nichts verlangen, als daß die Sache dem andern
eben so wahrscheinlich werden und seyn möge, als
wie sie uns ist. Ohngeachtet nun solches nicht alle-
mahl möglich ist, wegen der angeführten Ursachen:
(§. 15. 24.) dennoch, so weit solches angehet, ist
es auch erkläret worden. (§. 16. sq.) Und also ist
diese Einleitung zur historischen Erkentniß zu-
gleich eine Anleitung in historischen Dingen, so-
wohl sich als andere zu überzeigen, und in hi-
storischen Streitigkeiten der Wahrheit nichts zu
vergeben. (§. 20.) Welcher Nutzen denn unse-
re Bemühung die historische Erkentniß in ein grös-
ser Licht zu setzen gnugsam rechtfertigen wird. Des
Pyrrhonismi historici nicht zu gedencken, welcher
sich in unsern Tagen hier und da geäussert, am er-

sten
v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
§. 26.
Die Kunſt, bey Geſchichten zu uͤberzeigen.

Ueberzeigen iſt uͤberhaupt nicht einerley mit
Beweiſen und der Sache gewiß machen. Phil.
Defin. p.
25. ſondern bedeutet ſo viel, als durch
vorhandene Zweiffel und Scrupel zur Gewißheit
durchdringen. Dieſes laͤſſet ſich denn auf die hiſto-
riſche Erkentniß leicht appliciren. Zur Gewißheit
an ſich gehoͤren nur Ausſagen von Autoren, die
ein voͤlliges Anſehen haben, (§. 24. C. 9.) wenn
ſich aber, wie gar oͤffters geſchiehet, wegen entge-
gen ſtehender Zeugniſſe und Anzeichen Zweiffel fin-
det, ſo haben wir gewieſen, wie dieſer Zweiffel ge-
hoben werden muͤſſe; (§. 3. ſq.) und dadurch die
Gewißheit gleichſam erpreſſet werden koͤnne. Ja
da auch Sachen vorkommen, da es auf Wahr-
ſcheinlichkeit
ankommt, und wo wir weiter
nichts verlangen, als daß die Sache dem andern
eben ſo wahrſcheinlich werden und ſeyn moͤge, als
wie ſie uns iſt. Ohngeachtet nun ſolches nicht alle-
mahl moͤglich iſt, wegen der angefuͤhrten Urſachen:
(§. 15. 24.) dennoch, ſo weit ſolches angehet, iſt
es auch erklaͤret worden. (§. 16. ſq.) Und alſo iſt
dieſe Einleitung zur hiſtoriſchen Erkentniß zu-
gleich eine Anleitung in hiſtoriſchen Dingen, ſo-
wohl ſich als andere zu uͤberzeigen, und in hi-
ſtoriſchen Streitigkeiten der Wahrheit nichts zu
vergeben. (§. 20.) Welcher Nutzen denn unſe-
re Bemuͤhung die hiſtoriſche Erkentniß in ein groͤſ-
ſer Licht zu ſetzen gnugſam rechtfertigen wird. Des
Pyrrhoniſmi hiſtorici nicht zu gedencken, welcher
ſich in unſern Tagen hier und da geaͤuſſert, am er-

ſten
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0387" n="351"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">v. d. hi&#x017F;tori&#x017F;chen Wahr&#x017F;cheinlichkeit.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 26.<lb/>
Die Kun&#x017F;t, bey Ge&#x017F;chichten zu u&#x0364;berzeigen.</head><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Ueberzeigen</hi> i&#x017F;t u&#x0364;berhaupt nicht einerley mit<lb/><hi rendition="#fr">Bewei&#x017F;en</hi> und der Sache gewiß machen. <hi rendition="#aq">Phil.<lb/>
Defin. p.</hi> 25. &#x017F;ondern bedeutet &#x017F;o viel, als durch<lb/>
vorhandene Zweiffel und Scrupel zur Gewißheit<lb/>
durchdringen. Die&#x017F;es la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et &#x017F;ich denn auf die hi&#x017F;to-<lb/>
ri&#x017F;che Erkentniß leicht appliciren. Zur Gewißheit<lb/>
an &#x017F;ich geho&#x0364;ren nur <hi rendition="#fr">Aus&#x017F;agen</hi> von Autoren, die<lb/>
ein <hi rendition="#fr">vo&#x0364;lliges</hi> An&#x017F;ehen haben, (§. 24. C. 9.) wenn<lb/>
&#x017F;ich aber, wie gar o&#x0364;ffters ge&#x017F;chiehet, wegen entge-<lb/>
gen &#x017F;tehender Zeugni&#x017F;&#x017F;e und Anzeichen Zweiffel fin-<lb/>
det, &#x017F;o haben wir gewie&#x017F;en, wie die&#x017F;er Zweiffel ge-<lb/>
hoben werden mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e; (§. 3. &#x017F;q.) und dadurch die<lb/>
Gewißheit gleich&#x017F;am erpre&#x017F;&#x017F;et werden ko&#x0364;nne. Ja<lb/>
da auch Sachen vorkommen, da es auf <hi rendition="#fr">Wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlichkeit</hi> ankommt, und wo wir weiter<lb/>
nichts verlangen, als daß die Sache dem andern<lb/>
eben &#x017F;o wahr&#x017F;cheinlich werden und &#x017F;eyn mo&#x0364;ge, als<lb/>
wie &#x017F;ie uns i&#x017F;t. Ohngeachtet nun &#x017F;olches nicht alle-<lb/>
mahl mo&#x0364;glich i&#x017F;t, wegen der angefu&#x0364;hrten Ur&#x017F;achen:<lb/>
(§. 15. 24.) dennoch, &#x017F;o weit &#x017F;olches angehet, i&#x017F;t<lb/>
es auch erkla&#x0364;ret worden. (§. 16. &#x017F;q.) Und al&#x017F;o i&#x017F;t<lb/>
die&#x017F;e <hi rendition="#fr">Einleitung</hi> zur hi&#x017F;tori&#x017F;chen Erkentniß zu-<lb/>
gleich eine Anleitung in <hi rendition="#fr">hi&#x017F;tori&#x017F;chen</hi> Dingen, &#x017F;o-<lb/>
wohl <hi rendition="#fr">&#x017F;ich</hi> als <hi rendition="#fr">andere</hi> zu <hi rendition="#fr">u&#x0364;berzeigen</hi>, und in hi-<lb/>
&#x017F;tori&#x017F;chen <hi rendition="#fr">Streitigkeiten</hi> der Wahrheit nichts zu<lb/>
vergeben. (§. 20.) Welcher Nutzen denn un&#x017F;e-<lb/>
re Bemu&#x0364;hung die hi&#x017F;tori&#x017F;che Erkentniß in ein gro&#x0364;&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er Licht zu &#x017F;etzen gnug&#x017F;am rechtfertigen wird. Des<lb/><hi rendition="#aq">Pyrrhoni&#x017F;mi hi&#x017F;torici</hi> nicht zu gedencken, welcher<lb/>
&#x017F;ich in un&#x017F;ern Tagen hier und da gea&#x0364;u&#x017F;&#x017F;ert, am er-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ten</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[351/0387] v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit. §. 26. Die Kunſt, bey Geſchichten zu uͤberzeigen. Ueberzeigen iſt uͤberhaupt nicht einerley mit Beweiſen und der Sache gewiß machen. Phil. Defin. p. 25. ſondern bedeutet ſo viel, als durch vorhandene Zweiffel und Scrupel zur Gewißheit durchdringen. Dieſes laͤſſet ſich denn auf die hiſto- riſche Erkentniß leicht appliciren. Zur Gewißheit an ſich gehoͤren nur Ausſagen von Autoren, die ein voͤlliges Anſehen haben, (§. 24. C. 9.) wenn ſich aber, wie gar oͤffters geſchiehet, wegen entge- gen ſtehender Zeugniſſe und Anzeichen Zweiffel fin- det, ſo haben wir gewieſen, wie dieſer Zweiffel ge- hoben werden muͤſſe; (§. 3. ſq.) und dadurch die Gewißheit gleichſam erpreſſet werden koͤnne. Ja da auch Sachen vorkommen, da es auf Wahr- ſcheinlichkeit ankommt, und wo wir weiter nichts verlangen, als daß die Sache dem andern eben ſo wahrſcheinlich werden und ſeyn moͤge, als wie ſie uns iſt. Ohngeachtet nun ſolches nicht alle- mahl moͤglich iſt, wegen der angefuͤhrten Urſachen: (§. 15. 24.) dennoch, ſo weit ſolches angehet, iſt es auch erklaͤret worden. (§. 16. ſq.) Und alſo iſt dieſe Einleitung zur hiſtoriſchen Erkentniß zu- gleich eine Anleitung in hiſtoriſchen Dingen, ſo- wohl ſich als andere zu uͤberzeigen, und in hi- ſtoriſchen Streitigkeiten der Wahrheit nichts zu vergeben. (§. 20.) Welcher Nutzen denn unſe- re Bemuͤhung die hiſtoriſche Erkentniß in ein groͤſ- ſer Licht zu ſetzen gnugſam rechtfertigen wird. Des Pyrrhoniſmi hiſtorici nicht zu gedencken, welcher ſich in unſern Tagen hier und da geaͤuſſert, am er- ſten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/387
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/387>, abgerufen am 24.11.2024.