Ueberzeigen ist überhaupt nicht einerley mit Beweisen und der Sache gewiß machen. Phil. Defin. p. 25. sondern bedeutet so viel, als durch vorhandene Zweiffel und Scrupel zur Gewißheit durchdringen. Dieses lässet sich denn auf die histo- rische Erkentniß leicht appliciren. Zur Gewißheit an sich gehören nur Aussagen von Autoren, die ein völliges Ansehen haben, (§. 24. C. 9.) wenn sich aber, wie gar öffters geschiehet, wegen entge- gen stehender Zeugnisse und Anzeichen Zweiffel fin- det, so haben wir gewiesen, wie dieser Zweiffel ge- hoben werden müsse; (§. 3. sq.) und dadurch die Gewißheit gleichsam erpresset werden könne. Ja da auch Sachen vorkommen, da es auf Wahr- scheinlichkeit ankommt, und wo wir weiter nichts verlangen, als daß die Sache dem andern eben so wahrscheinlich werden und seyn möge, als wie sie uns ist. Ohngeachtet nun solches nicht alle- mahl möglich ist, wegen der angeführten Ursachen: (§. 15. 24.) dennoch, so weit solches angehet, ist es auch erkläret worden. (§. 16. sq.) Und also ist diese Einleitung zur historischen Erkentniß zu- gleich eine Anleitung in historischen Dingen, so- wohl sich als andere zu überzeigen, und in hi- storischen Streitigkeiten der Wahrheit nichts zu vergeben. (§. 20.) Welcher Nutzen denn unse- re Bemühung die historische Erkentniß in ein grös- ser Licht zu setzen gnugsam rechtfertigen wird. Des Pyrrhonismi historici nicht zu gedencken, welcher sich in unsern Tagen hier und da geäussert, am er-
sten
v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
§. 26. Die Kunſt, bey Geſchichten zu uͤberzeigen.
Ueberzeigen iſt uͤberhaupt nicht einerley mit Beweiſen und der Sache gewiß machen. Phil. Defin. p. 25. ſondern bedeutet ſo viel, als durch vorhandene Zweiffel und Scrupel zur Gewißheit durchdringen. Dieſes laͤſſet ſich denn auf die hiſto- riſche Erkentniß leicht appliciren. Zur Gewißheit an ſich gehoͤren nur Ausſagen von Autoren, die ein voͤlliges Anſehen haben, (§. 24. C. 9.) wenn ſich aber, wie gar oͤffters geſchiehet, wegen entge- gen ſtehender Zeugniſſe und Anzeichen Zweiffel fin- det, ſo haben wir gewieſen, wie dieſer Zweiffel ge- hoben werden muͤſſe; (§. 3. ſq.) und dadurch die Gewißheit gleichſam erpreſſet werden koͤnne. Ja da auch Sachen vorkommen, da es auf Wahr- ſcheinlichkeit ankommt, und wo wir weiter nichts verlangen, als daß die Sache dem andern eben ſo wahrſcheinlich werden und ſeyn moͤge, als wie ſie uns iſt. Ohngeachtet nun ſolches nicht alle- mahl moͤglich iſt, wegen der angefuͤhrten Urſachen: (§. 15. 24.) dennoch, ſo weit ſolches angehet, iſt es auch erklaͤret worden. (§. 16. ſq.) Und alſo iſt dieſe Einleitung zur hiſtoriſchen Erkentniß zu- gleich eine Anleitung in hiſtoriſchen Dingen, ſo- wohl ſich als andere zu uͤberzeigen, und in hi- ſtoriſchen Streitigkeiten der Wahrheit nichts zu vergeben. (§. 20.) Welcher Nutzen denn unſe- re Bemuͤhung die hiſtoriſche Erkentniß in ein groͤſ- ſer Licht zu ſetzen gnugſam rechtfertigen wird. Des Pyrrhoniſmi hiſtorici nicht zu gedencken, welcher ſich in unſern Tagen hier und da geaͤuſſert, am er-
ſten
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0387"n="351"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b">v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.</hi></fw><lb/><divn="2"><head>§. 26.<lb/>
Die Kunſt, bey Geſchichten zu uͤberzeigen.</head><lb/><p><hirendition="#fr">Ueberzeigen</hi> iſt uͤberhaupt nicht einerley mit<lb/><hirendition="#fr">Beweiſen</hi> und der Sache gewiß machen. <hirendition="#aq">Phil.<lb/>
Defin. p.</hi> 25. ſondern bedeutet ſo viel, als durch<lb/>
vorhandene Zweiffel und Scrupel zur Gewißheit<lb/>
durchdringen. Dieſes laͤſſet ſich denn auf die hiſto-<lb/>
riſche Erkentniß leicht appliciren. Zur Gewißheit<lb/>
an ſich gehoͤren nur <hirendition="#fr">Ausſagen</hi> von Autoren, die<lb/>
ein <hirendition="#fr">voͤlliges</hi> Anſehen haben, (§. 24. C. 9.) wenn<lb/>ſich aber, wie gar oͤffters geſchiehet, wegen entge-<lb/>
gen ſtehender Zeugniſſe und Anzeichen Zweiffel fin-<lb/>
det, ſo haben wir gewieſen, wie dieſer Zweiffel ge-<lb/>
hoben werden muͤſſe; (§. 3. ſq.) und dadurch die<lb/>
Gewißheit gleichſam erpreſſet werden koͤnne. Ja<lb/>
da auch Sachen vorkommen, da es auf <hirendition="#fr">Wahr-<lb/>ſcheinlichkeit</hi> ankommt, und wo wir weiter<lb/>
nichts verlangen, als daß die Sache dem andern<lb/>
eben ſo wahrſcheinlich werden und ſeyn moͤge, als<lb/>
wie ſie uns iſt. Ohngeachtet nun ſolches nicht alle-<lb/>
mahl moͤglich iſt, wegen der angefuͤhrten Urſachen:<lb/>
(§. 15. 24.) dennoch, ſo weit ſolches angehet, iſt<lb/>
es auch erklaͤret worden. (§. 16. ſq.) Und alſo iſt<lb/>
dieſe <hirendition="#fr">Einleitung</hi> zur hiſtoriſchen Erkentniß zu-<lb/>
gleich eine Anleitung in <hirendition="#fr">hiſtoriſchen</hi> Dingen, ſo-<lb/>
wohl <hirendition="#fr">ſich</hi> als <hirendition="#fr">andere</hi> zu <hirendition="#fr">uͤberzeigen</hi>, und in hi-<lb/>ſtoriſchen <hirendition="#fr">Streitigkeiten</hi> der Wahrheit nichts zu<lb/>
vergeben. (§. 20.) Welcher Nutzen denn unſe-<lb/>
re Bemuͤhung die hiſtoriſche Erkentniß in ein groͤſ-<lb/>ſer Licht zu ſetzen gnugſam rechtfertigen wird. Des<lb/><hirendition="#aq">Pyrrhoniſmi hiſtorici</hi> nicht zu gedencken, welcher<lb/>ſich in unſern Tagen hier und da geaͤuſſert, am er-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſten</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[351/0387]
v. d. hiſtoriſchen Wahrſcheinlichkeit.
§. 26.
Die Kunſt, bey Geſchichten zu uͤberzeigen.
Ueberzeigen iſt uͤberhaupt nicht einerley mit
Beweiſen und der Sache gewiß machen. Phil.
Defin. p. 25. ſondern bedeutet ſo viel, als durch
vorhandene Zweiffel und Scrupel zur Gewißheit
durchdringen. Dieſes laͤſſet ſich denn auf die hiſto-
riſche Erkentniß leicht appliciren. Zur Gewißheit
an ſich gehoͤren nur Ausſagen von Autoren, die
ein voͤlliges Anſehen haben, (§. 24. C. 9.) wenn
ſich aber, wie gar oͤffters geſchiehet, wegen entge-
gen ſtehender Zeugniſſe und Anzeichen Zweiffel fin-
det, ſo haben wir gewieſen, wie dieſer Zweiffel ge-
hoben werden muͤſſe; (§. 3. ſq.) und dadurch die
Gewißheit gleichſam erpreſſet werden koͤnne. Ja
da auch Sachen vorkommen, da es auf Wahr-
ſcheinlichkeit ankommt, und wo wir weiter
nichts verlangen, als daß die Sache dem andern
eben ſo wahrſcheinlich werden und ſeyn moͤge, als
wie ſie uns iſt. Ohngeachtet nun ſolches nicht alle-
mahl moͤglich iſt, wegen der angefuͤhrten Urſachen:
(§. 15. 24.) dennoch, ſo weit ſolches angehet, iſt
es auch erklaͤret worden. (§. 16. ſq.) Und alſo iſt
dieſe Einleitung zur hiſtoriſchen Erkentniß zu-
gleich eine Anleitung in hiſtoriſchen Dingen, ſo-
wohl ſich als andere zu uͤberzeigen, und in hi-
ſtoriſchen Streitigkeiten der Wahrheit nichts zu
vergeben. (§. 20.) Welcher Nutzen denn unſe-
re Bemuͤhung die hiſtoriſche Erkentniß in ein groͤſ-
ſer Licht zu ſetzen gnugſam rechtfertigen wird. Des
Pyrrhoniſmi hiſtorici nicht zu gedencken, welcher
ſich in unſern Tagen hier und da geaͤuſſert, am er-
ſten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/387>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.