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Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

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Eilfftes Capitel,
auch gleich eine Sprache, darinnen eine historische
Nachricht abgefasset ist, lange nachher im Gebrau-
che ist; so gehen doch wehrender Zeit manche Ver-
änderungen der Wörter vor, daß einige gantz aus
dem Gebrauch
kommen; andere aber neue
Bedeutungen
bekommen. Dieses verursacht
dann, daß wenn man die alten Geschichten in ihren
Quellen lesen will, nicht allein die gemeine Erkent-
niß der Sprache, worinnen sie abgefasset sind, er-
fordert wird, sondern auch Critick und Philolo-
gie:
welche beyde Erkentnisse man bey neuen Ge-
schichten entbehren kan. 3. Diejenigen, welche
Urkunden abfassen, und überhaupt Geschichte
aufzeichnen, sehen gemeiniglich am meisten auf die
ersten Leser, an welche die Schrifft gerichtet
wird. Diese nun, wie sie sich in mehrerer, und öffters
in gantz genauer Verbindung mit der Geschichte
befinden, welche ihnen schrifftlich vorgelegt wird;
also bringen sie, als Leser, manche Erkentniß dar-
zu, welche ihnen die Schrifft verständlich macht:
wie solches von Brieffen, ja auch von Gesprächen
klar ist. (§. 8. 45. der Auslegekunst). Wer aber
nach späten Zeiten über eine solche schrifftliche
Nachricht
kommt, weiß meistens von der Sa-
che weiter nichts, die darinne vorgetragen wird,
als was er davon darinnen aufgezeichnet sindet. Er
bringt also nicht diejenige Erkentniß darzu, mit wel-
cher die ersten Leser versehen waren. Dannenhero
ist kein Wunder, daß er manches nicht so gleich ver-
stehet, welches die ersten Leser ohne den geringsten
Anstoß verstanden haben. Und dieses ist die Ursa-
che, warum man auch die Hermenevtick nöthig

hat,

Eilfftes Capitel,
auch gleich eine Sprache, darinnen eine hiſtoriſche
Nachricht abgefaſſet iſt, lange nachher im Gebrau-
che iſt; ſo gehen doch wehrender Zeit manche Ver-
aͤnderungen der Woͤrter vor, daß einige gantz aus
dem Gebrauch
kommen; andere aber neue
Bedeutungen
bekommen. Dieſes verurſacht
dann, daß wenn man die alten Geſchichten in ihren
Quellen leſen will, nicht allein die gemeine Erkent-
niß der Sprache, worinnen ſie abgefaſſet ſind, er-
fordert wird, ſondern auch Critick und Philolo-
gie:
welche beyde Erkentniſſe man bey neuen Ge-
ſchichten entbehren kan. 3. Diejenigen, welche
Urkunden abfaſſen, und uͤberhaupt Geſchichte
aufzeichnen, ſehen gemeiniglich am meiſten auf die
erſten Leſer, an welche die Schrifft gerichtet
wird. Dieſe nun, wie ſie ſich in mehrerer, und oͤffters
in gantz genauer Verbindung mit der Geſchichte
befinden, welche ihnen ſchrifftlich vorgelegt wird;
alſo bringen ſie, als Leſer, manche Erkentniß dar-
zu, welche ihnen die Schrifft verſtaͤndlich macht:
wie ſolches von Brieffen, ja auch von Geſpraͤchen
klar iſt. (§. 8. 45. der Auslegekunſt). Wer aber
nach ſpaͤten Zeiten uͤber eine ſolche ſchrifftliche
Nachricht
kommt, weiß meiſtens von der Sa-
che weiter nichts, die darinne vorgetragen wird,
als was er davon darinnen aufgezeichnet ſindet. Er
bringt alſo nicht diejenige Erkentniß darzu, mit wel-
cher die erſten Leſer verſehen waren. Dannenhero
iſt kein Wunder, daß er manches nicht ſo gleich ver-
ſtehet, welches die erſten Leſer ohne den geringſten
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che, warum man auch die Hermenevtick noͤthig

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[358/0394] Eilfftes Capitel, auch gleich eine Sprache, darinnen eine hiſtoriſche Nachricht abgefaſſet iſt, lange nachher im Gebrau- che iſt; ſo gehen doch wehrender Zeit manche Ver- aͤnderungen der Woͤrter vor, daß einige gantz aus dem Gebrauch kommen; andere aber neue Bedeutungen bekommen. Dieſes verurſacht dann, daß wenn man die alten Geſchichten in ihren Quellen leſen will, nicht allein die gemeine Erkent- niß der Sprache, worinnen ſie abgefaſſet ſind, er- fordert wird, ſondern auch Critick und Philolo- gie: welche beyde Erkentniſſe man bey neuen Ge- ſchichten entbehren kan. 3. Diejenigen, welche Urkunden abfaſſen, und uͤberhaupt Geſchichte aufzeichnen, ſehen gemeiniglich am meiſten auf die erſten Leſer, an welche die Schrifft gerichtet wird. Dieſe nun, wie ſie ſich in mehrerer, und oͤffters in gantz genauer Verbindung mit der Geſchichte befinden, welche ihnen ſchrifftlich vorgelegt wird; alſo bringen ſie, als Leſer, manche Erkentniß dar- zu, welche ihnen die Schrifft verſtaͤndlich macht: wie ſolches von Brieffen, ja auch von Geſpraͤchen klar iſt. (§. 8. 45. der Auslegekunſt). Wer aber nach ſpaͤten Zeiten uͤber eine ſolche ſchrifftliche Nachricht kommt, weiß meiſtens von der Sa- che weiter nichts, die darinne vorgetragen wird, als was er davon darinnen aufgezeichnet ſindet. Er bringt alſo nicht diejenige Erkentniß darzu, mit wel- cher die erſten Leſer verſehen waren. Dannenhero iſt kein Wunder, daß er manches nicht ſo gleich ver- ſtehet, welches die erſten Leſer ohne den geringſten Anſtoß verſtanden haben. Und dieſes iſt die Urſa- che, warum man auch die Hermenevtick noͤthig hat,

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Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/394>, abgerufen am 24.11.2024.