Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
Zweytes Capitel,
§. 11.
Wenn die Aussicht deutlich erkannt wird.

Da uns anfangs durchs Gesicht allemahl ei-
ne gantze Aussicht vorgestellet wird: so lernen wir
nach und nach die darinnen enthaltenen Cörper
von einander unterscheiden; und erhalten auf sol-
che Art einen deutlichen Begriff von der gan-
tzen Aussicht. Denn indem wir auf diesen oder
jenen Cörper insbesondere sehen, so erhalten wir
davon einen klaren Begriff (§. 7.); und zwar
auf eben die Art, wie es bey der gantzen Aus-
sicht geschiehet (§. 8.): nur daß wir zugleich be-
mercken, daß es nur ein Theil der gantzen Aus-
sicht sey. Dannenhero, wenn wir bald diesen,
bald jenen Theil nach einander ansehen, und die
erlangten klaren Begriffe davon im Sinne behal-
ten, so wird die totalidee, oder der Begriff der
gantzen Aussicht, deutlich.

§. 12.
Wenn der Stand gar zu offte verändert
wird?

Wenn wir unsern Stand offte oder augen-
blicklich verändern, so können wir von den um-
stehenden Cörpern weder einen klaren noch deut-
lichen Begriff erlangen. Denn wenn wir unsern
Stand augenblicklich verändern, so entstehet auch
alle Augenblicke ein neuer Prospeckt oder Aus-
sicht: wie aus der Optick klar ist; und wir kön-
nen auf jeden Prospeckt nur einen Blick thun.
Dieses ist denn auch der erste Anblick; daraus
aber kein klarer Begriff entstehen kan (§. 9.).

Einen
Zweytes Capitel,
§. 11.
Wenn die Ausſicht deutlich erkannt wird.

Da uns anfangs durchs Geſicht allemahl ei-
ne gantze Ausſicht vorgeſtellet wird: ſo lernen wir
nach und nach die darinnen enthaltenen Coͤrper
von einander unterſcheiden; und erhalten auf ſol-
che Art einen deutlichen Begriff von der gan-
tzen Ausſicht. Denn indem wir auf dieſen oder
jenen Coͤrper insbeſondere ſehen, ſo erhalten wir
davon einen klaren Begriff (§. 7.); und zwar
auf eben die Art, wie es bey der gantzen Aus-
ſicht geſchiehet (§. 8.): nur daß wir zugleich be-
mercken, daß es nur ein Theil der gantzen Aus-
ſicht ſey. Dannenhero, wenn wir bald dieſen,
bald jenen Theil nach einander anſehen, und die
erlangten klaren Begriffe davon im Sinne behal-
ten, ſo wird die totalidee, oder der Begriff der
gantzen Ausſicht, deutlich.

§. 12.
Wenn der Stand gar zu offte veraͤndert
wird?

Wenn wir unſern Stand offte oder augen-
blicklich veraͤndern, ſo koͤnnen wir von den um-
ſtehenden Coͤrpern weder einen klaren noch deut-
lichen Begriff erlangen. Denn wenn wir unſern
Stand augenblicklich veraͤndern, ſo entſtehet auch
alle Augenblicke ein neuer Proſpeckt oder Aus-
ſicht: wie aus der Optick klar iſt; und wir koͤn-
nen auf jeden Proſpeckt nur einen Blick thun.
Dieſes iſt denn auch der erſte Anblick; daraus
aber kein klarer Begriff entſtehen kan (§. 9.).

Einen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0070" n="34"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Zweytes Capitel,</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 11.<lb/>
Wenn die Aus&#x017F;icht deutlich erkannt wird.</head><lb/>
          <p>Da uns anfangs durchs Ge&#x017F;icht allemahl ei-<lb/>
ne gantze Aus&#x017F;icht vorge&#x017F;tellet wird: &#x017F;o lernen wir<lb/>
nach und nach die darinnen enthaltenen Co&#x0364;rper<lb/>
von einander unter&#x017F;cheiden; und erhalten auf &#x017F;ol-<lb/>
che Art einen <hi rendition="#fr">deutlichen</hi> Begriff von der gan-<lb/>
tzen Aus&#x017F;icht. Denn indem wir auf die&#x017F;en oder<lb/>
jenen Co&#x0364;rper insbe&#x017F;ondere &#x017F;ehen, &#x017F;o erhalten wir<lb/>
davon einen <hi rendition="#fr">klaren</hi> Begriff (§. 7.); und zwar<lb/>
auf eben die Art, wie es bey der gantzen Aus-<lb/>
&#x017F;icht ge&#x017F;chiehet (§. 8.): nur daß wir zugleich be-<lb/>
mercken, daß es nur ein Theil der gantzen Aus-<lb/>
&#x017F;icht &#x017F;ey. Dannenhero, wenn wir bald die&#x017F;en,<lb/>
bald jenen Theil nach einander an&#x017F;ehen, und die<lb/>
erlangten klaren Begriffe davon im Sinne behal-<lb/>
ten, &#x017F;o wird die totalidee, oder der Begriff der<lb/>
gantzen Aus&#x017F;icht, deutlich.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 12.<lb/>
Wenn der Stand gar zu offte vera&#x0364;ndert<lb/>
wird?</head><lb/>
          <p>Wenn wir un&#x017F;ern Stand offte oder augen-<lb/>
blicklich vera&#x0364;ndern, &#x017F;o ko&#x0364;nnen wir von den um-<lb/>
&#x017F;tehenden Co&#x0364;rpern weder einen klaren noch deut-<lb/>
lichen Begriff erlangen. Denn wenn wir un&#x017F;ern<lb/>
Stand augenblicklich vera&#x0364;ndern, &#x017F;o ent&#x017F;tehet auch<lb/>
alle Augenblicke ein neuer Pro&#x017F;peckt oder Aus-<lb/>
&#x017F;icht: wie aus der Optick klar i&#x017F;t; und wir ko&#x0364;n-<lb/>
nen auf jeden Pro&#x017F;peckt nur <hi rendition="#fr">einen</hi> Blick thun.<lb/>
Die&#x017F;es i&#x017F;t denn auch der <hi rendition="#fr">er&#x017F;te</hi> Anblick; daraus<lb/>
aber kein klarer Begriff ent&#x017F;tehen kan (§. 9.).<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Einen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[34/0070] Zweytes Capitel, §. 11. Wenn die Ausſicht deutlich erkannt wird. Da uns anfangs durchs Geſicht allemahl ei- ne gantze Ausſicht vorgeſtellet wird: ſo lernen wir nach und nach die darinnen enthaltenen Coͤrper von einander unterſcheiden; und erhalten auf ſol- che Art einen deutlichen Begriff von der gan- tzen Ausſicht. Denn indem wir auf dieſen oder jenen Coͤrper insbeſondere ſehen, ſo erhalten wir davon einen klaren Begriff (§. 7.); und zwar auf eben die Art, wie es bey der gantzen Aus- ſicht geſchiehet (§. 8.): nur daß wir zugleich be- mercken, daß es nur ein Theil der gantzen Aus- ſicht ſey. Dannenhero, wenn wir bald dieſen, bald jenen Theil nach einander anſehen, und die erlangten klaren Begriffe davon im Sinne behal- ten, ſo wird die totalidee, oder der Begriff der gantzen Ausſicht, deutlich. §. 12. Wenn der Stand gar zu offte veraͤndert wird? Wenn wir unſern Stand offte oder augen- blicklich veraͤndern, ſo koͤnnen wir von den um- ſtehenden Coͤrpern weder einen klaren noch deut- lichen Begriff erlangen. Denn wenn wir unſern Stand augenblicklich veraͤndern, ſo entſtehet auch alle Augenblicke ein neuer Proſpeckt oder Aus- ſicht: wie aus der Optick klar iſt; und wir koͤn- nen auf jeden Proſpeckt nur einen Blick thun. Dieſes iſt denn auch der erſte Anblick; daraus aber kein klarer Begriff entſtehen kan (§. 9.). Einen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/70
Zitationshilfe: Chladni, Johann Martin: Allgemeine Geschichtswissenschaft. Leipzig, 1752. , S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/chladni_geschichtswissenschaft_1752/70>, abgerufen am 23.11.2024.