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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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zog sich in den Hintergrund des Zimmers, und
die fremde Dame, welche Heinrich nie gesehn zu
haben sich erinnerte, blieb stehn. Schön war sie;
aber mit Tinchen, meinte er, hielte sie wohl
eigentlich einen Vergleich nicht aus. Sie hatte
eine sehr liebliche Fülle, ganz deutlich konnte er
es sehn, wie der volle Schwanenbusen sich leise
hob und neigte, als ob irgend eine innere Bewe¬
gung das Blut des Mädchens aufgeregt, allein
eine zarte Blässe, welche sich über ihr Gesicht
zog, gab ihr ein krankes Ansehn, wenn sie auch
dadurch interessanter wurde. Aber wer in aller
Welt mogte das sein? -- Wie kam Staunitz,
der sein Herz bereits an Tina, verschenkt, und an
sie mit festen Banden geknüpft war, wie kam
der dazu, seinen Arm um den schlanken Leib einer
Dritten zu schlingen? -- Vielleicht war es eine
Verwandte des Forstinspectors, und Staunitz, als
ein junger, lebhafter Mann, machte sich einen
Scherz. Aber dem widersprachen die ernsthaften
Gesichter des Paares. Sollte Staunitz auch
etwa so ein Bruder Lüderlich, so ein geckenhafter
Thunichtgut sein, und hier etwas Liebes sitzen
haben? -- Nein, dazu war er zu ehrlich, von zu
festen Grundsätzen!

Jetzt noch in das Haus zu gehn, war nicht

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zog ſich in den Hintergrund des Zimmers, und
die fremde Dame, welche Heinrich nie geſehn zu
haben ſich erinnerte, blieb ſtehn. Schoͤn war ſie;
aber mit Tinchen, meinte er, hielte ſie wohl
eigentlich einen Vergleich nicht aus. Sie hatte
eine ſehr liebliche Fuͤlle, ganz deutlich konnte er
es ſehn, wie der volle Schwanenbuſen ſich leiſe
hob und neigte, als ob irgend eine innere Bewe¬
gung das Blut des Maͤdchens aufgeregt, allein
eine zarte Blaͤſſe, welche ſich uͤber ihr Geſicht
zog, gab ihr ein krankes Anſehn, wenn ſie auch
dadurch intereſſanter wurde. Aber wer in aller
Welt mogte das ſein? — Wie kam Staunitz,
der ſein Herz bereits an Tina, verſchenkt, und an
ſie mit feſten Banden geknuͤpft war, wie kam
der dazu, ſeinen Arm um den ſchlanken Leib einer
Dritten zu ſchlingen? — Vielleicht war es eine
Verwandte des Forſtinſpectors, und Staunitz, als
ein junger, lebhafter Mann, machte ſich einen
Scherz. Aber dem widerſprachen die ernſthaften
Geſichter des Paares. Sollte Staunitz auch
etwa ſo ein Bruder Luͤderlich, ſo ein geckenhafter
Thunichtgut ſein, und hier etwas Liebes ſitzen
haben? — Nein, dazu war er zu ehrlich, von zu
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Jetzt noch in das Haus zu gehn, war nicht

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[99/0105] zog ſich in den Hintergrund des Zimmers, und die fremde Dame, welche Heinrich nie geſehn zu haben ſich erinnerte, blieb ſtehn. Schoͤn war ſie; aber mit Tinchen, meinte er, hielte ſie wohl eigentlich einen Vergleich nicht aus. Sie hatte eine ſehr liebliche Fuͤlle, ganz deutlich konnte er es ſehn, wie der volle Schwanenbuſen ſich leiſe hob und neigte, als ob irgend eine innere Bewe¬ gung das Blut des Maͤdchens aufgeregt, allein eine zarte Blaͤſſe, welche ſich uͤber ihr Geſicht zog, gab ihr ein krankes Anſehn, wenn ſie auch dadurch intereſſanter wurde. Aber wer in aller Welt mogte das ſein? — Wie kam Staunitz, der ſein Herz bereits an Tina, verſchenkt, und an ſie mit feſten Banden geknuͤpft war, wie kam der dazu, ſeinen Arm um den ſchlanken Leib einer Dritten zu ſchlingen? — Vielleicht war es eine Verwandte des Forſtinſpectors, und Staunitz, als ein junger, lebhafter Mann, machte ſich einen Scherz. Aber dem widerſprachen die ernſthaften Geſichter des Paares. Sollte Staunitz auch etwa ſo ein Bruder Luͤderlich, ſo ein geckenhafter Thunichtgut ſein, und hier etwas Liebes ſitzen haben? — Nein, dazu war er zu ehrlich, von zu feſten Grundſaͤtzen! Jetzt noch in das Haus zu gehn, war nicht 7*

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/105>, abgerufen am 23.11.2024.