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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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Was war das nun wieder für eine sonderbare
Nachricht, wie vieldeutig dieser im ganzen so
schmeichelhafte Brief? -- Was sollte, was konnte
sich in Blumenau verändert haben? Wußte etwa
Staunitz oder Tina um das Testament, um den
innigen Wunsch des Verstorbenen, und wollten
beide zu Gunsten Blauensteins sich entsagen? --
Aber nein, das war ja nicht möglich, weshalb
sollte auch Staunitz der Comtesse nur als seiner
Braut Erwähnung thun, da er doch hatte frei
reden können! -- So viel hatten nun die geheim¬
nißvollen Zeilen bewirkt, daß Blauensteins Pläne
im Betreff der Entsagung zerschellten, das war
nicht zu läugnen. Den Brief mit Stillschweigen
übergehn, das wäre unartig gewesen, jetzt gleich
nach Blumenau zu reisen ging auch nicht, denn
noch war die schmerzliche Wunde, die ihm des
Vaters Tod geschlagen, zu neu, ohnehin die Zeit
zum Reisen höchst ungünstig, und es blieb nichts
übrig, als Staunitz sogleich zu antworten.

Blauenstein flog zum Pulte; er wollte die
Zeit nützen, und schrieb in seiner augenblicklichen
Aufregung, daß er durch den Verlust seines Vaters
eine neue Wunde zu einer bereits geschlagenen
erhalten, daß er unmöglich so bald wieder an
einen Ort zurückkehren könne, wo er des Lebens

Was war das nun wieder fuͤr eine ſonderbare
Nachricht, wie vieldeutig dieſer im ganzen ſo
ſchmeichelhafte Brief? — Was ſollte, was konnte
ſich in Blumenau veraͤndert haben? Wußte etwa
Staunitz oder Tina um das Teſtament, um den
innigen Wunſch des Verſtorbenen, und wollten
beide zu Gunſten Blauenſteins ſich entſagen? —
Aber nein, das war ja nicht moͤglich, weshalb
ſollte auch Staunitz der Comteſſe nur als ſeiner
Braut Erwaͤhnung thun, da er doch hatte frei
reden koͤnnen! — So viel hatten nun die geheim¬
nißvollen Zeilen bewirkt, daß Blauenſteins Plaͤne
im Betreff der Entſagung zerſchellten, das war
nicht zu laͤugnen. Den Brief mit Stillſchweigen
uͤbergehn, das waͤre unartig geweſen, jetzt gleich
nach Blumenau zu reiſen ging auch nicht, denn
noch war die ſchmerzliche Wunde, die ihm des
Vaters Tod geſchlagen, zu neu, ohnehin die Zeit
zum Reiſen hoͤchſt unguͤnſtig, und es blieb nichts
uͤbrig, als Staunitz ſogleich zu antworten.

Blauenſtein flog zum Pulte; er wollte die
Zeit nuͤtzen, und ſchrieb in ſeiner augenblicklichen
Aufregung, daß er durch den Verluſt ſeines Vaters
eine neue Wunde zu einer bereits geſchlagenen
erhalten, daß er unmoͤglich ſo bald wieder an
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[162/0168] Was war das nun wieder fuͤr eine ſonderbare Nachricht, wie vieldeutig dieſer im ganzen ſo ſchmeichelhafte Brief? — Was ſollte, was konnte ſich in Blumenau veraͤndert haben? Wußte etwa Staunitz oder Tina um das Teſtament, um den innigen Wunſch des Verſtorbenen, und wollten beide zu Gunſten Blauenſteins ſich entſagen? — Aber nein, das war ja nicht moͤglich, weshalb ſollte auch Staunitz der Comteſſe nur als ſeiner Braut Erwaͤhnung thun, da er doch hatte frei reden koͤnnen! — So viel hatten nun die geheim¬ nißvollen Zeilen bewirkt, daß Blauenſteins Plaͤne im Betreff der Entſagung zerſchellten, das war nicht zu laͤugnen. Den Brief mit Stillſchweigen uͤbergehn, das waͤre unartig geweſen, jetzt gleich nach Blumenau zu reiſen ging auch nicht, denn noch war die ſchmerzliche Wunde, die ihm des Vaters Tod geſchlagen, zu neu, ohnehin die Zeit zum Reiſen hoͤchſt unguͤnſtig, und es blieb nichts uͤbrig, als Staunitz ſogleich zu antworten. Blauenſtein flog zum Pulte; er wollte die Zeit nuͤtzen, und ſchrieb in ſeiner augenblicklichen Aufregung, daß er durch den Verluſt ſeines Vaters eine neue Wunde zu einer bereits geſchlagenen erhalten, daß er unmoͤglich ſo bald wieder an einen Ort zuruͤckkehren koͤnne, wo er des Lebens

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/168>, abgerufen am 18.05.2024.