Was war das nun wieder für eine sonderbare Nachricht, wie vieldeutig dieser im ganzen so schmeichelhafte Brief? -- Was sollte, was konnte sich in Blumenau verändert haben? Wußte etwa Staunitz oder Tina um das Testament, um den innigen Wunsch des Verstorbenen, und wollten beide zu Gunsten Blauensteins sich entsagen? -- Aber nein, das war ja nicht möglich, weshalb sollte auch Staunitz der Comtesse nur als seiner Braut Erwähnung thun, da er doch hatte frei reden können! -- So viel hatten nun die geheim¬ nißvollen Zeilen bewirkt, daß Blauensteins Pläne im Betreff der Entsagung zerschellten, das war nicht zu läugnen. Den Brief mit Stillschweigen übergehn, das wäre unartig gewesen, jetzt gleich nach Blumenau zu reisen ging auch nicht, denn noch war die schmerzliche Wunde, die ihm des Vaters Tod geschlagen, zu neu, ohnehin die Zeit zum Reisen höchst ungünstig, und es blieb nichts übrig, als Staunitz sogleich zu antworten.
Blauenstein flog zum Pulte; er wollte die Zeit nützen, und schrieb in seiner augenblicklichen Aufregung, daß er durch den Verlust seines Vaters eine neue Wunde zu einer bereits geschlagenen erhalten, daß er unmöglich so bald wieder an einen Ort zurückkehren könne, wo er des Lebens
Was war das nun wieder fuͤr eine ſonderbare Nachricht, wie vieldeutig dieſer im ganzen ſo ſchmeichelhafte Brief? — Was ſollte, was konnte ſich in Blumenau veraͤndert haben? Wußte etwa Staunitz oder Tina um das Teſtament, um den innigen Wunſch des Verſtorbenen, und wollten beide zu Gunſten Blauenſteins ſich entſagen? — Aber nein, das war ja nicht moͤglich, weshalb ſollte auch Staunitz der Comteſſe nur als ſeiner Braut Erwaͤhnung thun, da er doch hatte frei reden koͤnnen! — So viel hatten nun die geheim¬ nißvollen Zeilen bewirkt, daß Blauenſteins Plaͤne im Betreff der Entſagung zerſchellten, das war nicht zu laͤugnen. Den Brief mit Stillſchweigen uͤbergehn, das waͤre unartig geweſen, jetzt gleich nach Blumenau zu reiſen ging auch nicht, denn noch war die ſchmerzliche Wunde, die ihm des Vaters Tod geſchlagen, zu neu, ohnehin die Zeit zum Reiſen hoͤchſt unguͤnſtig, und es blieb nichts uͤbrig, als Staunitz ſogleich zu antworten.
Blauenſtein flog zum Pulte; er wollte die Zeit nuͤtzen, und ſchrieb in ſeiner augenblicklichen Aufregung, daß er durch den Verluſt ſeines Vaters eine neue Wunde zu einer bereits geſchlagenen erhalten, daß er unmoͤglich ſo bald wieder an einen Ort zuruͤckkehren koͤnne, wo er des Lebens
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Was war das nun wieder fuͤr eine ſonderbare
Nachricht, wie vieldeutig dieſer im ganzen ſo
ſchmeichelhafte Brief? — Was ſollte, was konnte
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Staunitz oder Tina um das Teſtament, um den
innigen Wunſch des Verſtorbenen, und wollten
beide zu Gunſten Blauenſteins ſich entſagen? —
Aber nein, das war ja nicht moͤglich, weshalb
ſollte auch Staunitz der Comteſſe nur als ſeiner
Braut Erwaͤhnung thun, da er doch hatte frei
reden koͤnnen! — So viel hatten nun die geheim¬
nißvollen Zeilen bewirkt, daß Blauenſteins Plaͤne
im Betreff der Entſagung zerſchellten, das war
nicht zu laͤugnen. Den Brief mit Stillſchweigen
uͤbergehn, das waͤre unartig geweſen, jetzt gleich
nach Blumenau zu reiſen ging auch nicht, denn
noch war die ſchmerzliche Wunde, die ihm des
Vaters Tod geſchlagen, zu neu, ohnehin die Zeit
zum Reiſen hoͤchſt unguͤnſtig, und es blieb nichts
uͤbrig, als Staunitz ſogleich zu antworten.
Blauenſtein flog zum Pulte; er wollte die
Zeit nuͤtzen, und ſchrieb in ſeiner augenblicklichen
Aufregung, daß er durch den Verluſt ſeines Vaters
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erhalten, daß er unmoͤglich ſo bald wieder an
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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/168>, abgerufen am 20.02.2025.
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