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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827.

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"Spricht Sie diese Gegend als heimisch an?"
fragte Tina, und drängte die hervorquellenden
Ringellocken mit der kleinen Schwanenhand in
ihr Spitzenhäubchen zurück. "Es giebt Gegenden,
die man mit einem kaum erklärbaren Wohlgefallen
betritt, bei denen es uns scheint, als ob sie uns
längst innig befreundet, dem sehnsüchtigen Herzen
so recht vertraut wären. In solchen Orten, sagt
man, soll es uns wohlergehn, da soll das Glück
beginnen, wenn es uns lange ungetreu war! --
Wie würde es uns erfreuen, wenn Ihnen diese Berge,
diese Thäler nicht ganz gleichgültig blieben!"

"Meine Erwartungen waren gespannt," erwie¬
derte Blauenstein mit einem Blicke, welcher seiner
wie in bräutlicher Liebe erwachenden Nachbarin
recht unzweideutig sagte, wie sein Inneres für
sie glühe, "aber wie hatte ich glauben können,
daß sie nicht weit übertroffen werden würden!
Nur eine Bewohnerin dieses Paradieses, wie Sie,
mein Fräulein, macht den Gedanken an dasselbe
verschwinden; sie muß dem Fremdlinge unendlich
mehr gelten, der Vertrauen, Theilnahme sucht,
und dieser schönen Gaben auf eine so beneidens¬
werthe Art theilhaft wird! Was das Herz ver¬
heißt, das ist auch die Stimme unseres bessern
Schicksals!"

„Spricht Sie dieſe Gegend als heimiſch an?“
fragte Tina, und draͤngte die hervorquellenden
Ringellocken mit der kleinen Schwanenhand in
ihr Spitzenhaͤubchen zuruͤck. „Es giebt Gegenden,
die man mit einem kaum erklaͤrbaren Wohlgefallen
betritt, bei denen es uns ſcheint, als ob ſie uns
laͤngſt innig befreundet, dem ſehnſuͤchtigen Herzen
ſo recht vertraut waͤren. In ſolchen Orten, ſagt
man, ſoll es uns wohlergehn, da ſoll das Gluͤck
beginnen, wenn es uns lange ungetreu war! —
Wie wuͤrde es uns erfreuen, wenn Ihnen dieſe Berge,
dieſe Thaͤler nicht ganz gleichguͤltig blieben!“

„Meine Erwartungen waren geſpannt,“ erwie¬
derte Blauenſtein mit einem Blicke, welcher ſeiner
wie in braͤutlicher Liebe erwachenden Nachbarin
recht unzweideutig ſagte, wie ſein Inneres fuͤr
ſie gluͤhe, „aber wie hatte ich glauben koͤnnen,
daß ſie nicht weit uͤbertroffen werden wuͤrden!
Nur eine Bewohnerin dieſes Paradieſes, wie Sie,
mein Fraͤulein, macht den Gedanken an daſſelbe
verſchwinden; ſie muß dem Fremdlinge unendlich
mehr gelten, der Vertrauen, Theilnahme ſucht,
und dieſer ſchoͤnen Gaben auf eine ſo beneidens¬
werthe Art theilhaft wird! Was das Herz ver¬
heißt, das iſt auch die Stimme unſeres beſſern
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[15/0021] „Spricht Sie dieſe Gegend als heimiſch an?“ fragte Tina, und draͤngte die hervorquellenden Ringellocken mit der kleinen Schwanenhand in ihr Spitzenhaͤubchen zuruͤck. „Es giebt Gegenden, die man mit einem kaum erklaͤrbaren Wohlgefallen betritt, bei denen es uns ſcheint, als ob ſie uns laͤngſt innig befreundet, dem ſehnſuͤchtigen Herzen ſo recht vertraut waͤren. In ſolchen Orten, ſagt man, ſoll es uns wohlergehn, da ſoll das Gluͤck beginnen, wenn es uns lange ungetreu war! — Wie wuͤrde es uns erfreuen, wenn Ihnen dieſe Berge, dieſe Thaͤler nicht ganz gleichguͤltig blieben!“ „Meine Erwartungen waren geſpannt,“ erwie¬ derte Blauenſtein mit einem Blicke, welcher ſeiner wie in braͤutlicher Liebe erwachenden Nachbarin recht unzweideutig ſagte, wie ſein Inneres fuͤr ſie gluͤhe, „aber wie hatte ich glauben koͤnnen, daß ſie nicht weit uͤbertroffen werden wuͤrden! Nur eine Bewohnerin dieſes Paradieſes, wie Sie, mein Fraͤulein, macht den Gedanken an daſſelbe verſchwinden; ſie muß dem Fremdlinge unendlich mehr gelten, der Vertrauen, Theilnahme ſucht, und dieſer ſchoͤnen Gaben auf eine ſo beneidens¬ werthe Art theilhaft wird! Was das Herz ver¬ heißt, das iſt auch die Stimme unſeres beſſern Schickſals!“

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Zitationshilfe: Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/21>, abgerufen am 21.11.2024.