Die niedliche Beata hatte nach diesen Zeilen bei mir sehr gewonnen; schon ihre Ansicht, das Kloster sei für unbefangene Herzen nicht gebaut, also doch wahrscheinlich für büßende, schuldbewußte Gemüther, gefiel mir, und ich schrieb ihr auf die¬ selbe Art, wie das lose Kind es auch gethan, daß es mir schiene, als könne man wohl die Schwester Pförtnerin mit einigen Ducaten breit schlagen, und daß ich, wenn Adeline nur erst aus den Mauren unbemerkt heraus sei, schon für das Übrige auf's Beste sorgen wolle. Beata empfing auf die erwähnte Weise meine geheime Nachricht, und am vierten Tage schrieb sie, mit der Pfört¬ nerin sei es nichts; allein im Klostergarten, zu welchem ihre Freundin zu jeder Stunde ohne Beschwerde gelangen könne, befinde sich eine alte Pforte, die seit langen Jahren nicht benutzt sei, und wohl geöffnet werden könne. Vermöge ich, das Schloß aufzumachen, so solle ich es schnell auf dem alten Wege, nämlich über meine Palette, melden, und dann sei Alles zur Flucht reif. Auch von Adeline lagen wenige Zeilen bei, worin sie mich um Befreiung in den rührendsten Ausdrücken bat, und ich schlich in der folgenden Nacht mit meinem Freunde Kluge nach dem Klostergarten. Eine Blendlaterne ließ uns die zerbrechliche Pforte bald finden; mein Freund verstand sich auf
Die niedliche Beata hatte nach dieſen Zeilen bei mir ſehr gewonnen; ſchon ihre Anſicht, das Kloſter ſei fuͤr unbefangene Herzen nicht gebaut, alſo doch wahrſcheinlich fuͤr buͤßende, ſchuldbewußte Gemuͤther, gefiel mir, und ich ſchrieb ihr auf die¬ ſelbe Art, wie das loſe Kind es auch gethan, daß es mir ſchiene, als koͤnne man wohl die Schweſter Pfoͤrtnerin mit einigen Ducaten breit ſchlagen, und daß ich, wenn Adeline nur erſt aus den Mauren unbemerkt heraus ſei, ſchon fuͤr das Übrige auf's Beſte ſorgen wolle. Beata empfing auf die erwaͤhnte Weiſe meine geheime Nachricht, und am vierten Tage ſchrieb ſie, mit der Pfoͤrt¬ nerin ſei es nichts; allein im Kloſtergarten, zu welchem ihre Freundin zu jeder Stunde ohne Beſchwerde gelangen koͤnne, befinde ſich eine alte Pforte, die ſeit langen Jahren nicht benutzt ſei, und wohl geoͤffnet werden koͤnne. Vermoͤge ich, das Schloß aufzumachen, ſo ſolle ich es ſchnell auf dem alten Wege, naͤmlich uͤber meine Palette, melden, und dann ſei Alles zur Flucht reif. Auch von Adeline lagen wenige Zeilen bei, worin ſie mich um Befreiung in den ruͤhrendſten Ausdruͤcken bat, und ich ſchlich in der folgenden Nacht mit meinem Freunde Kluge nach dem Kloſtergarten. Eine Blendlaterne ließ uns die zerbrechliche Pforte bald finden; mein Freund verſtand ſich auf
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Die niedliche Beata hatte nach dieſen Zeilen
bei mir ſehr gewonnen; ſchon ihre Anſicht, das
Kloſter ſei fuͤr unbefangene Herzen nicht gebaut,
alſo doch wahrſcheinlich fuͤr buͤßende, ſchuldbewußte
Gemuͤther, gefiel mir, und ich ſchrieb ihr auf die¬
ſelbe Art, wie das loſe Kind es auch gethan, daß
es mir ſchiene, als koͤnne man wohl die Schweſter
Pfoͤrtnerin mit einigen Ducaten breit ſchlagen,
und daß ich, wenn Adeline nur erſt aus den
Mauren unbemerkt heraus ſei, ſchon fuͤr das
Übrige auf's Beſte ſorgen wolle. Beata empfing
auf die erwaͤhnte Weiſe meine geheime Nachricht,
und am vierten Tage ſchrieb ſie, mit der Pfoͤrt¬
nerin ſei es nichts; allein im Kloſtergarten, zu
welchem ihre Freundin zu jeder Stunde ohne
Beſchwerde gelangen koͤnne, befinde ſich eine alte
Pforte, die ſeit langen Jahren nicht benutzt ſei,
und wohl geoͤffnet werden koͤnne. Vermoͤge ich,
das Schloß aufzumachen, ſo ſolle ich es ſchnell
auf dem alten Wege, naͤmlich uͤber meine Palette,
melden, und dann ſei Alles zur Flucht reif. Auch
von Adeline lagen wenige Zeilen bei, worin ſie
mich um Befreiung in den ruͤhrendſten Ausdruͤcken
bat, und ich ſchlich in der folgenden Nacht mit
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Eine Blendlaterne ließ uns die zerbrechliche Pforte
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Clauren, Heinrich: Liebe und Irrthum. Nordhausen, 1827, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/clauren_liebe_1827/213>, abgerufen am 27.11.2024.
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